Liebe Brüder und Schwestern in Christus,
Wenn ich krank bin und geheilt werden will, dann gehe ich zum Arzt. Vom Arzt erwarte ich, dass er mir aufgrund seines Fachwissens und seiner Erfahrung hilft. Ich möchte, dass er mich gründlich untersucht, eine exakte Diagnose stellt und einen durchdachten Therapievorschlag macht. Ein guter Arzt muss ein guter Naturwissenschaftler sein, er muss die grundlegenden biochemischen und physikalischen Zusammenhänge des menschlichen Körpers kennen. Ein guter Arzt muss zugleich ein guter Beobachter und Menschenkenner sein, um sich von meinem Gesundheitszustand ein umfassendes Bild machen zu können. Wäre er weder ein guter Naturwissenschaftler noch ein guter Beobachter und Menschenkenner, dann könnte ich ebensogut zu Hause bleiben und die Apotheken-Rundschau lesen.
Der Evangelist Lukas war von Beruf Arzt – ich nehme an, ein guter. Er hatte eine gründliche Ausbildung auf dem Stand der antiken Naturwissenschaften, er war ein guter Beobachter und Menschenkenner. Darüber hinaus hatte er eine hohe Sprachbegabung; kein anderer Autor des Neuen Testaments hat einen so brillanten griechischen Schreibstil wie er. Dieser kluge und hochgelehrte Mann war Christ geworden, und er wurde ein Mitarbeiter des Apostels Paulus. Lukas begleitete Paulus auf einigen seiner Missionsreisen. Irgendwann gab der Heilige Geist dem Lukas die Idee ein, die Geschehnisse von Jesu Erdenleben aufzuschreiben. Sicher war ihm bewusst geworden, dass die Jünger und die anderen Augenzeugen Jesu alt geworden waren und bald nicht mehr selbst von Jesus verkündigen konnten; da wollte er ihr Zeugnis festhalten. So machte er sich an die Vorarbeiten für das Lukas-Evangelium und für dessen Fortsetzung, die Apostelgeschichte.
Wie gesagt, als Arzt war Lukas ein guter Beobachter und Menschenkenner. Diese Gaben setzte er nun ein, um genau zu recherchieren, wie es denn damals mit Jesus gewesen war und was Jesus gesagt beziehungsweise getan hatte. Im Vorwort seines Evangeliums schreibt er: „Ich habe alles von Anfang an sorgfältig erkundet.“ Für „sorgfältig“ wählte er das griechische Wort „akriboos“, daher kommt unser Fremdwort „akribisch“. Akribisch genau hat er Spuren verfolgt und festgehalten, was die Augen- und Ohrenzeugen in ihren Predigten und wohl auch in persönlichen Gesprächen zu berichten hatten. Ich nehme an, dass er außer den Aposteln auch viele andere Zeitgenossen Jesu befragt hat, auch Jüngerinnen, wahrscheinlich sogar Jesu Mutter Maria. Denn die wunberbaren Berichte von Marias Schwangerschaft und von dem neugeborenen Jesus in einer Futterkrippe finden wir nur bei Lukas, bei keinem anderen Evangelisten! Wie wir überhaupt dem Lukas die Kenntnis mancher Ereignisse aus dem Leben Jesu zu verdanken haben, die nur er aufgeschrieben hat. Da ahnen wir, warum der Heilige Geist sich gerade den Arzt Lukas ausgesucht hat, um dieses Buch des Neuen Testaments zu schreiben. Wenn auch viele seiner Zeitgenossen etwas von Jesus aufgeschrieben haben und wenn auch drei dieser Schriften als Evangelien in die Heilige Schrift gelangt sind, so ist das Lukas-Evangelium die einzige unter den Evangelienschriften, die auf gründlichen Recherchen eines hoch gebildeten Naturwissenschaftlers und Gelehrten fußt.
Nach eigenem Bekunden schreibt Lukas von „Geschichten“, eigentlich von „Geschehnissen“, die „unter uns (wirklich) geschehen sind“. Oder wörtlich: die „sich erfüllt haben“. Damit bezeugt er, dass es sich nicht um zufällige Ereignisse handelt, auch nicht um Ereignisse, die Menschen aus ihren eigenen Interessen herbeigeführt haben. Vielmehr sind es Ereignisse, mit denen Gott sein Versprechen erfüllt hat, das er seinem Volk Israel und allen Menschen schon viele Jahrhunderte lang gegen hatte: dass nämlich der Erlöser kommt, der Davidssohn, der Friedenskönig, der die Menschen mit Gott versöhnt und sie in Gottes ewiges Reich führt. Das hat sich mit Jesus „erfüllt“ – nichts anderes will Lukas mit seinem akribisch genau recherchierten Evangelium bezeugen. Er hat es alles „in guter Ordnung“ aufgeschrieben, im Wesentlichen zeitlich geordnet von der Vorgeschichte der Geburt Jesu bis hin zur Himmelfahrt. Der zweite Teil seines Berichts, die Apostelgeschichte, setzt wieder bei der Himmelfahrt ein und zeigt, wie das Evangelium von Jesus Christus sich danach ausgebreitet hat, bis es das damalige Zentrum aller Kultur und Macht erreichte: Rom.
Lukas beginnt seinen Bericht wie einen persönlichen Brief. Er redet darin einen gewissen „hochgeehrten Theophilus“ an, einen Christen, der in den Grundlagen des Glaubens bereits unterrichtet worden ist. Wir wissen nicht, ob es diesen „Theophil“ in der Urchristenheit tatsächlich gegeben hat oder ob Lukas in ihm einfach jeden christlichen Leser oder Hörer seines Werkes persönlich anreden wollte. „Theophilus“ bedeutet nämlich „Gottesfreund“, und es kann damit jeder Gottesfreund gemeint sein, jeder, der durch Jesus zur Freunschaft mit Gott gefunden hat.
Ganz wichtig ist in dieser Vorrede zum Lukasevangelium noch das, was Lukas am Ende schrieb. Da offenbart er nämlich den Zweck des ganzen Unternehmens. Er hat alles gründlich recherchiert und wohlgeordnet aufgeschrieben, damit „du“, hochgeehrter Theophilus, lieber Gottesfreund, „den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist.“ Das Lukasevangelium, die Apostelgeschichte, das ganze Neue Testament, ja, die ganze Bibel enthält den „sicheren Grund“ der christlichen Lehre! Unsere Zaunmauer an der Ecke Sembritzkistraße steht fest und schön auf dem „sicheren Grund“ eines neuen Fundaments, und so steht auch unser christlicher Glaube auf dem sicheren Grund der Ereignisse von Jesus Christus, die in der Bibel überliefert sind. Wer im Schlaubetal spazieren geht, der tut gut daran, auf dem „sicheren Grund“ der vorgegebenen befestigten Wege zu bleiben und nicht querfeldein zu marschieren, weil er dann leicht im Sumpf stecken bleiben kann. So bewahrt uns der sichere Lehrgrund der Bibel davor, im Sumpf eigener religiöser Spekulationen stecken zu bleiben. Martin Luther und das lutherische Bekenntnis bekennen sich ebenfalls zur Bibel als dem einzigen zuverlässigen und „sicheren Grund“ der Lehre, als „Maßstab und Richtschnur“ für alles verbindliche Lehren in der Kirche.
Das Lukas-Evangelium und die ganze Bibel als „sicherer Grund“ des christlichen Glaubens – was hat das für uns zu bedeuten? Drei Dinge möchte ich da vor allem nennen.
Erstens: Wir können uns auf die Bibel verlassen. Und wir können uns darauf verlassen, dass die Ereignisse, von denen sie berichtet, tatsächlich so geschehen sind. Jesus ist am Kreuz wirklich für unsere Sünden gestorben, und er ist am dritten Tage wahrhaftig von den Toten auferstanden – das sind keine Märchen und Mythen, dass sind keine frommen Einbildungen, sondern das sind Fakten. Der Arzt Lukas, der Naturwissenschaftler, gute Beobachter und Menschenkenner, hat sie für uns sorgfätig erkundet und gut geordnet aufgeschrieben. Lasst euch von niemandem irre machen, liebe Brüder und Schwestern in Christus! Denn es gibt viele Theologen und andere Christen, die die Bibel kritisch lesen und behaupten, das sei ja gar nicht alles so gewesen, wie es da steht. Und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, dass die Worte der Bibel für willkürliche Deutungen freigegeben werden, sodass jeder sie als Sprungbrett für eigene Gedanken und Einsichten verwenden kann. Davor muss ich warnen: Wer das Zeugnis der Bibel nicht so nimmt, wie es da steht, der verlässt den sicheren Grund der Lehre und begibt sich in den Sumpf eigenmächtiger Deutungen und Glaubensvorstellungen.
Zweitens: Benutzt die Bibel als Halt für euren Glauben! Unser Glaube ist ja zuweilen schwach und angefochten. Immer wieder treten Ereignisse ein in unserem Leben, die unsere Glaubenszuversicht ins Wanken bringen können. Nun überlegt mal: Was macht man, wenn einem plötzlich schwindlig wird, zum Beispiel auf einer steilen Treppe? Man greift nach einem Halt, man greift nach dem Geländer, das hoffentlich fest verankert ist. Seht, so soll der angefochtene Glaube stets nach Gottes Wort greifen. Die Bibel ist der „sichere Grund“, die Bibel ist ein fest verankertes Geländer für alle, die sich mit ihrem Glauben schwach und schwindlig fühlen. Wer Glaubensprobleme hat, sollte das nicht einfach so hinnehmen und vor allen Dingen sich dann nicht von Gottes Wort entfernen, sondern er sollte desto fleißiger in der Bibel lesen, Gottesdienste und Bibelstunden besuchen. Da findet der Glaube wieder festen Halt.
Drittens: Wenn ich krank bin und geheilt werden will, dann gehe ich zu einem Arzt, der medizinisch gründlich ausgebildet ist. Was für den Leib gilt, der ja bekanntlich ein Verfallsdatum trägt, das muss erst recht für die Seele gelten, die ewig leben soll. Wenn die Seele krank ist, wenn die Sünde in mir ihr Unwesen treibt, dann suche ich Hilfe dort, wo sie gründlich fundiert ist. Es würde mir nichts nützen, wenn mir Leute dann irgendwelchen spirituellen oder esoterischen Quark zu essen geben; ich möchte auf einer verlässlichen Basis geheilt werden. Und auch da komme ich wieder auf Gottes Wort in der Bibel zurück, auf den sicheren Grund des christlichen Glaubens. Ich weiß, dass dieses Wort mich gesund macht und ewig leben lässt; ich weiß, dass es diese Kraft hat: das Wort von der Taufe und das Wort von der Sündenvergebung, das Jesus seinen Jüngern anvertraut hat, sowie das Wort bei der Einsetzung des Heiligen Abendmahls, das auch Lukas in seinem Evangelium überliefert hat. Da habe ich die richtige Therapie für meine Sünde, gegründet auf dem Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen meines Herrn Jesus Christus, wie es mir Lukas und die anderen Gotteszeugen als „sicheren Grund“ der Lehre und des christlichen Glaubens überliefert haben. Gott sei ewig Lob und Dank dafür! Amen.
PREDIGTKASTEN |