Jesus hilft – zu seiner Zeit, auf seine Weise

Predigt über Johannes 11,1-45 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute abend werden wir wissen, wie die Bundestagswahl ausgegangen ist. Vielleicht werden wir auch schon wissen, wer in den nächsten Jahren unser Land regieren wird. Aber wer auch immer das ist – wir können nicht mit Sicherheit wissen, ob die neugewählte Regierung dann in der Lage sein wird, einerseits das Gute in unserem Land zu bewahren, anderer­seits bei den Krisen, Missständen und Problemen Abhilfe zu schaffen. Auch nach der Wahl wissen wir noch nicht, ob und wie gut die neugewählte Regierung helfen wird.

Bei Jesus ist das anders. Er ist schon immer der Herr gewesen, und er wird es auch bleiben, ganz ohne Wahl. Ihm ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Und wir wissen: Er hilft. Allerdings: Wie er hilft und zu welchem Zeitpunkt, damit überrascht er uns Menschen immer wieder. Genau darum geht es bei den Ereig­nissen, von denen der Apostel Johannes im 11. Kapitel seines Evangeliums berichtet.

Der Hilfe bedürftig war ein guter Freund von Jesus: Lazarus aus Betanien, der Bruder von Maria und Marta. Immer, wenn Jesus nach Jerusalem zog, kehrte er bei ihnen ein. Nun war Lazarus schwer krank, aber Jesus war weit weg. Jesus hatte sich mit seinen Jüngern an eine einsame Stelle am Jordan zurück­gezogen, denn immer heftiger verfolgten ihn die führenden Leute des jüdischen Volks. Da bringt ein Bote die Nachricht: „Dein Freund Lazarus ist krank.“ Aber Jesus bleibt, wo er ist. Seine Jünger denken, er will sich nicht dem Risiko aussetzen, dass man ihn gefangen nimmt, so nahe bei der Hauptstadt. Aber Jesus begründet seine Untätigkeit anders. Er sagt: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherr­lichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherr­licht werde.“ Merkwürdig und geheimnis­voll, diese Worte! Jesus erweist sich als all­wissender Herrscher, denn er sieht den guten Ausgang der Krankheit voraus. Mehr noch, er kennt den Zweck der Krankheit: Sie dient der Ehre Gottes und der Verherr­lichung des Gottes­sohns!

Liebe Gemeinde, das gilt nicht nur für den Lazarus damals, das gilt damals wie heute für alle Menschen, die Jesu Freunde sind und an ihn glauben: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen!“, so hat es Paulus formuliert (Röm. 8,28). Auch unsere Krank­heiten, auch alle unsere Nöte und Probleme legt Gott uns nicht deshalb auf, um uns zu Tode zu ärgern, sondern deshalb, damit auch durch diese scheinbar negativen Erfahrungen sich der Sinn unseres Lebens erfüllt – nämlich dass wir etwas sind zur Ehre Gottes! Wenn du krank bist, wenn du arm bist, wenn du traurig bist, wenn du Probleme hast, dann glaube nur getrost: Das ist nicht zum Tode, sondern zur Verherr­lichung Gottes und seines Sohnes Jesus Christus! Denn Jesus will sich auch an dir herrlich erweisen, will dir da heraus­helfen – zu seiner Zeit und auf seine Weise.

Zur Über­raschung seiner Jünger macht Jesus sich dann zwei Tage später doch auf den Weg nach Betanien. Er zeigt damit: Jetzt ist meine Zeit da – auch wenn das menschlich gesehen unbegreif­lich ist. Die menschliche Vernunft sagt nämlich: Entweder hätte Jesus gleich dem Lazarus zu Hilfe eilen sollen, oder er hätte zu seiner eigenen Sicherheit lieber ganz an dem einsamen Ort bleiben sollen. Aber Jesus sagt als souveräner Herr: Jetzt ist die Zeit zu helfen – zwei Tage später, als die menschliche Vernunft es für richtig hält. Warum das so ist, das können die Menschen erst im Nachhinein erkennen.

Beim Aufbruch kommt es zu einem interessan­ten Gespräch mit den Jüngern. Die wollen Jesus nämlich nicht ziehen lassen; sie haben Angst, dass er gesteinigt wird. Jesus erwidert: „Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wer bei Tag umhergeht, der stößt sich nicht; denn er sieht das Licht dieser Welt. Wer aber bei Nacht umhergeht, der stößt sich, denn es ist kein Licht in ihm.“ Mit anderen Worten: Wer einen langen Fußweg vor sich hat, sollte es so einrichten, dass er zur richtigen Zeit unterwegs ist, bei Tageslicht nämlich. Damit macht Jesus seinen Jüngern deutlich, was wir eben schon erkannt haben: Jesus, der Herr, kennt die rechte Zeit; er weiß genau, wann es für ihn Zeit ist zu helfen, auch wenn wir Menschen zuweilen überhaupt kein Verständnis haben für seinen Zeitplan. Wie Jesus aber helfen will, das fasst er in die geheimnis­vollen Worte: „Lazarus, unser Freund schläft, aber ich gehe hin, ihn auf­zuwecken.“ Wiederum sind die Jünger verständnis­los und erwidern: „Dann brauchst du ja gar nicht erst hinzugehen, wenn er sich gerade gesund schläft.“ Ja, man kann sich wirklich tief in solche Miss­verständ­nisse hinein­reiten, und dann versteht man Jesus überhaupt nicht mehr. Dabei ist es doch so klar und einfach: Wer mit Jesus stirbt, der stirbt nicht wirklich, sondern für den ist der Tod nur ein Schlaf, aus dem es ein fröhliches Erwachen geben wird. Genau das will Jesus an Lazarus demonstrie­ren. Jesus muss also bei seinen Jüngern ganz deutlich werden. Er sagt: „Lazarus ist gestorben, aber das ist gut so, denn nun könnt ihr etwas erleben, was euren Glauben stark machen wird. Also los, gehen wir zu Lazarus nach Betanien!“ So gehen denn die Jünger mit, immer noch verständnis­los, und Thomas sieht immer noch schwarz: „Schön, dann gehen wir eben mit und werden zusammen mit Jesus um­gebracht!“ Ja, liebe Gemeinde, so verbiestert sind wir Menschen manchmal, dass wir nicht einsehen wollen, dass bei Jesus alles gut wird.

Ein bis zwei Tage braucht man zu Fuß vom Jordan bis Betanien. Als Jesus dort mit seinen Jüngern eintrifft, ist Lazarus schon vier Tage tot. Selbst wenn Jesus sich beeilt hätte, er hätte nicht kommen können, bevor Lazarus starb. Viele Verwandte, Nachbarn und Freunde sind zum Trauerhaus gekommen. Es wird lautstark geweint und geklagt, es wird gesungen und gebetet. Die beiden nächsten Angehörigen des Lazarus, seine beiden Schwestern, stehen noch unter Schock. Maria hat sich ins Haus zurück­gezogen. Marta, die Aktivere, eilt Jesus entgegen, als sie hört, dass er kommt. Fast hört es sich an wie Vorwurf, was sie ihm gleich zur Begrüßung sagt: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Vor allem aber kommt ihr großes Vertrauen zu Jesus damit zum Ausdruck, das auch jetzt noch ungebrochen ist. „Was du bittest von Gott, das wird er dir geben“, fügt sie gleich an. Da verspricht ihr Jesus: „Dein Bruder wird auf­erstehen.“

Auch das verspricht Jesus jedem, der zu ihm gehört: Jeder, der an ihn glaubt, wird auferstehen zum ewigen Leben. So klar und einfach ist das, so groß ist Jesu Macht, so hilft er auch über den Tod hinaus, nimmt dem Tod seine Macht. Für Marta ist das auch ganz klar. Sie sagt: „Ich weiß, am Jüngsten Tag wird er auf­erstehen.“ Da sagt Jesus wieder etwas Merk­würdiges, was über die Worte der Frau hinausgeht: „Ich bin die Auf­erstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Jesus lässt damit offen, wann und wie er den Lazarus von den Toten auferwecken wird, ob erst am Jüngsten Tag oder schon vorher. Das Wann und Wie ist seine Sache, da brauchen wir gar nicht so genau Bescheid zu wissen. Wichtig ist allein, dass wir die Hilfe von ihm erwarten, von keinem anderen – das meint Jesus mit diesem berühmten Ich-bin-Wort. Auch die anderen Ich-bin-Worte Jesu machen das deutlich, zum Beispiel dies: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh. 14,6). Wir brauchen nicht zu wissen, wann und wie Gott uns hilft, wichtig ist allein zu vertrauen, dass er's durch seinen Sohn tut. „Glaubst du das?“, fragt Jesus Marta. „Glaubst du das?“, fragt er auch uns. Und wir wollen es machen wie sie, wir wollen mit kindlichem Glauben antworten: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“

Nun findet Marta, dass auch Maria zu Jesus kommen muss. Schnell läuft sie ins Haus zurück und macht ihrer Schwester Beine. Auch das gehört zum richtigen Jesus-Glauben dazu, dass wir uns darum bemühen, andere zu Jesus zu bringen! Als Maria zu Jesus kommt, sagt sie dasselbe, was ihre Schwester schon sagte: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Dann bricht sie in lautes Weinen aus, und die Verwandten und die Nachbarn, die dabeistehen, weinen mit. Hatte Jesus Maria lieb? Gewiss, sie und Marta, und auch Lazarus hat er sehr lieb gehabt, es waren seine Freunde. Weint er nun mit ihnen mit? Nein, das tut er nicht. Er tut wieder etwas, was wir nicht verstehen: Er wird zornig. Er ärgert sich über diese Trauer. Er ärgert sich über den Unglauben, der der Grund dieser Trauer ist. Vertrauten sie denn nicht darauf, dass er helfen würde? Zu seiner Zeit und auf seine Art? Wenn sie Vertrauen hätten, bräuchten sie doch nicht so verzweifelt zu weinen. Ach, liebe Brüder und Schwestern, dass doch in Zeiten der Not und Trauer unser Vertrauen größer sein möchte als unsere Traurig­keit!

Dann lässt Jesus sich zu dem Felsengrab führen, in dem Lazarus liegt. Auf dem Weg muss er selber weinen – nicht aus Trauer über den Verlust, sondern aus Trauer über den Unglauben der Menschen. Sein Zorn hat sich in Traurigkeit verkehrt. So ist er, der Gottessohn Jesus Christus, zugleich durch und durch Mensch, mit allen mensch­lichen Gefühlen. Aber schon verkehrt sich die Trauer wieder in Zorn, denn er muss wieder Zweifel­reden mit anhören. Da sagt einer: „Wenn Jesus Blinde geheilt hat, hätte er dann nicht auch den Lazarus gesund machen können?“ Auch Maria ist immer noch voller Zweifel. Als Jesus befiehlt, den Verschluss­stein zu entfernen, wendet sie ein: „Herr, die Leiche wird schon stinken!“ Jesus fordert sie auf, Vertrauen zu haben: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlich­keit Gottes sehen?“ Dann wird der Stein beiseite geschoben, Jesus schickt laut und deutlich ein Dankgebet gen Himmel; er sagt seinem Vater: „Danke, dass du mich erhört hast!“ Dann ruft er den toten Lazarus – da wird er lebendig und tritt heraus, noch in Grabtücher ein­gewickelt. Jesu Ruf ist der Ruf des Schöpfers, der die Macht hat, Tote lebendig zu machen! Jesus hilft, wie kein Mensch helfen kann. Jesus macht lebendig, zu seiner Zeit und auf seine Weise.

Da glauben die Leute. Jetzt glauben sie. Und feiern ihn wie einen König. Einige Tage später bereiten sie ihm einen Triumphzug in Jerusalem. Aber noch ein paar Tage später, und ihr Glaube ist wieder abge­storben. Aufgehetzt durch ihre Oberen, brüllen sie: „Kreuzige, kreuzige!“ So kommt es, wie die Jünger befürch­teten und wie er selbst es schon längst voraus­gewusst hatte: Der Weg nach Betanien führt ihn selbst letztlich in den Tod. Nur kurze Zeit später ruht sein eigener Leichnam in einem Felsengrab, mit einem großen Stein ver­schlossen. Aber auch hier wird seine Herrlich­keit offenbar, in noch viel größerem Maße sogar als bei der Auf­erweckung des Lazarus. Auch hier zeigt sich sein Zeitplan und seine unbegreif­liche Art. Zwei Tage hatte er gewartet, bis er nach Betanien aufbrach; zwei Tage liegt er selbst im Grab – und ersteht am dritten Tag in aller Herrlich­keit. Er, der gesagt hat: „Ich bin die Auf­erstehung und das Leben.“ Er, der allein auch uns von allem Bösen errettet und einst aus dem Tod erwecken wird. Nach seinem Zeitplan, auf seine Weise. Er hat es versprochen und ist dafür selbst in den Tod gegangen. Er kann helfen, er wird auch helfen, darauf können wir uns verlassen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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