Wo Leistung nicht zählt

Predigt über Lukas 18,9‑14 zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In der ver­gangenen Woche beein­druckten junge Menschen aus der ganzen Welt durch ihre sportlichen Leistungen. Jahre­lang haben sie sich beim Training gequält und haben dann ihr Letztes gegeben bei der Leich­tathletik-Weltmeister­schaft. Den Besten unter ihnen jubelte die Menge begeistert zu, wenn sie schneller liefen, höher sprangen oder weiter warfen als die anderen, oder gar: als je ein Mensch zuvor. Wer eine Medaille gewann, der hat es an die Spitze geschafft, der hat sich durch seine Leistung selbst erhöht.

Nun kann man natürlich fragen: Wofür machen die Spitzen­sportler das? Wofür soll das gut sein, dass einer ein paar Zehntel­sekunden schneller ist als andere, dass er ein paar Zentimeter höher springt oder weiter wirft? Eigentlich hilft das doch niemandem. Dem Sportler selbst bringt es lediglich das schöne Gefühl, richtig gut zu sein, und es bringt ihm Beifall und öffentliche An­erkennung. Seien wir ehrlich: Für sich selbst genommen sind sportliche Spitzen­leistungen nicht wirklich wichtig.

Und wie steht es mit anderen menschlichen Leistungen? Wie steht es etwa mit den Künstlern? Wenn eine Sängerin herz­ergreifend singt, wenn ein Maler ein beein­druckendes Kunstwerk schafft, wenn eine Schau­spielerin uns gut unterhält, dann haben solche Leistungen schon eher einen Nutzen, auch wenn der Künstler ähnlich wie der Sportler vor allem sich selbst ver­wirklichen und andere Menschen beein­drucken möchte. Noch höheren Wert haben freilich die Leistungen der Wissen­schaft. Wenn zum Beispiel ein Medizin­professor in jahre­langer mühe­voller Forschungs­arbeit eine Therapie gegen eine heim­tückische Krankheit entwickelt und dafür den Nobel­preis bekommt, dann hat diese wissen­schaftliche Leistung einen Wert an sich; das befriedigende Gefühl für den Forscher selbst und sein öffent­licher Ruhm sind nur neben­sächliche Begleit­erscheinungen. Noch größeren Wert aber kann die Leistung des Politikers haben, der zum Beispiel flächen­deckend eine hervor­ragende medizinische Ver­sorgung der ganzen Be­völkerung durchsetzt, oder der es schafft, einen Krieg zu beenden und gerechte Lebens­bedingungen für alle herbei­zuführen. Auch so ein Politiker mag dabei große persönliche Befriedi­gung empfinden; auch er wird dafür viel Beifall erhalten und möglicher­weise sogar mit dem Friedens­nobelpreis geehrt werden. Aber der eigentliche Wert seiner Leistung liegt darin, dass er für die Menschen so viel Gutes tut.

Können wir noch weiter gehen? Gibt es Leistungen mit noch mehr Gewicht? Kann es Größeres geben, als den Menschen Gutes zu tun? Vielleicht: Gott Gutes zu tun, Gott zu ehren? Wenn wir ernst nehmen, was die Bibel uns sagt, dann ist die Ehre Gottes tatsächlich das Größte und Wichtigste im Leben. Sind dann also die wert­vollsten Leistungen Leistungen der Frömmig­keit, von besonders heiligen Menschen vollbracht? Menschen, die mit höheren Dingen umgehen als mit den Dingen des irdischen Lebens? Und kann ein derart Heiliger nicht auch mit einer besonders hohen Aus­zeichnung rechnen, gar mit einem Ehren­platz im Himmel?

Zu Jesu Zeiten gab es bei den Juden die Gruppe der Pharisäer. Das waren solche Menschen, die mit größtem Eifer und höchsten Leistungen Gott ehren wollten. Der Pharisäer aus dem Gleichnis Jesu war ein Muster­beispiel dafür. Er fastete nicht nur einmal pro Woche, wie es vom Durchschnitts­juden erwartet wurde, sondern gleich an zwei Tagen. Und er gab zehn Prozent heilige Abgabe nicht nur von allem Geld, das er verdiente, sondern sogar von jedem Sträuß­chen Dill, das er in seinem Kräuter­garten abschnitt. „Ich gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme“, verkündete er stolz in seinem Gebet. Er war stolz wie ein Medaillen­gewinner beim Sport, dass er viele andere mit seinen frommen Leistungen übertraf. Er betete: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehe­brecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ Ja, der Pharisäer war stolz auf seine frommen Leistungen; sie gaben ihm persönliche Befriedigung. Und sie verhalfen ihm in damaliger Zeit auch zu breiter öffent­licher An­erkennung. Die Pharisäer wurden von den meisten anderen Juden dafür bewundert, dass sie so streng und konsequent Gottes Ehre suchten.

Nun wissen wir ja alle: Jesus selbst gehörte nicht zu denen, die die Pharisäer be­wunderten. Im Gegenteil, er kritisierte sie, er tadelte sie – nicht zuletzt auch mit dem Gleichnis, das wir hier bedenken. Die Frage ist nur: Was hat Jesus denn an den Pharisäern aus­zusetzen? Sie trachteten ja nicht nach un­wichtigen Leistungen in Sport und Kultur­leben, sie beschränkten sich nicht auf irdische Belange wie Wissenschaft und Politik, sondern sie wollten zualler­erst Gott ehren und für ihn etwas leisten. Eigentlich müsste Jesus das doch gefallen haben! Und doch urteilt Jesus über den Pharisäer: „Er verließ den Tempel nicht gerecht­fertigt.“ Und: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“ Nicht gerecht­fertigt, von Gott erniedrigt – das ist ein ver­nichtendes Urteil! Denn das bedeutet doch: Gott wird die Leistungen des Pharisäers im Jüngsten Gericht nicht an­erkennen. Er wird ihn nicht gerecht sprechen und in den Himmel erhöhen, sondern schuldig sprechen und in die Hölle er­niedriegen. Nicht gerecht­fertigt, das bedeutet: keinen Zugang zur ewigen Seligkeit, von einem Ehren­platz im Himmel ganz zu schweigen!

Es gibt nur einen Grund für dieses Urteil über den Pharisäer, und der lautet: Wir können Gott nicht mit unseren Leistungen beein­drucken! Im menschlichen Bereich haben Leistungen ihren Wert und ihre Berechti­gung, aber nicht vor Gott. Wenn wir etwas Gutes geleistet haben, dann können wir uns persönlich darüber freuen, und wir können uns auch an den Leistungen anderer Menschen mit­freuen, ihnen meinet­wegen auch zujubeln. Aber denke nur ja niemand, er könne mit frommen Leistungen An­erkennung vor Gott finden. Wer so denkt, der macht sich etwas vor, der bildet sich etwas ein. Wer sich vor Gott selbst erhöht, der merkt nicht, wie schwach und erbärmlich er in Wahrheit vor seinem Schöpfer dasteht. Denn um wirklich heilig zu leben, bedarf es viel mehr, als ein paar Gebote zu halten, zweimal in der Woche zu fasten und kon­sequent zehn Prozent Kirchen­steuer zu zahlen. Um wirklich heilig zu leben, müsste sich ein Mensch in lauter Liebe auf­opfern für Gott und für seine Mitmenschen, ganz kon­sequent, ganz selbstlos. Nur einer hat das bisher geschafft, und der heißt Jesus. Er ist der Einzige, der mit seiner Leistung vom Vater im Himmel anerkannt wurde.

Manche Leute sagen: Das ist ja dann eine ziemlich traurige Sache, das Christ­sein. Wenn man sich immer nur erniedrigen und demütigen soll vor Gott und kein bisschen stolz sein kann auf seine Leistung, dann wird man ja ganz nieder­geschlagen. Wer sich nichts zutraut und gering von sich denkt, der nimmt Schaden an seinem Selbstwert­gefühl und wird womöglich seelisch krank. Ja, so sagen viele. Und es ist auch etwas Wahres dran: Wer an sich selbst nichts Positives findet, der muss letztlich verzweifeln. Und doch ist das genau unsere Situation vor Gott: Wir sind Sünder, wir werden seinen Ansprüchen nicht gerecht, wir enttäuschen ihn. Alle Psycho­logie kann uns nicht über die Wahrheit hinweg­täuschen, die Gottes Wort uns ungeschminkt vor Augen hält.

Aber damit ist noch nicht alles gesagt, das Wichtigste fehlt noch. Und nun kommen wir zu dem anderen Mann in dem Gleichnis, zum Zöllner. Der hat sich keine Illusionen gemacht über seine Stellung vor Gott. Der wusste: Auch wenn er es als Mann der Wirtschaft zu großen Leistungen und Erfolgen gebracht hat, so ist er doch vor Gott ein Versager. Er erniedrigte sich vor ihm und nannte sich einen Sünder. War er denn nun verzweifelt, war er seelisch am Ende? Nein, keines­wegs. Denn er wusste ja, wo er Hilfe finden konnte. Verzweifelt ist nur einer, der keine Hoffnung mehr hat, der nicht mehr weiß, wo er sich hin­wenden soll. Der Zöllner aber wanderte mit seiner Not zum Tempel und breitete sie vor Gott aus. Er senkte den Kopf, schlug an seine Brust und sagte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Seht, das ist das Wichtigste: Dass er Gott um Hilfe bittet! Das ist der Unter­schied zwischen verzweifelten Menschen und uns Christen: Dass wir Gott um Hilfe bitten und die gewisse Hoffnung haben: Er hilft uns auch, hat uns schon geholfen, durch Jesus Christus, seinen Sohn! Denn Jesus hat verheißen: „Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Wer erkennt, dass er mit seinen Leistungen zumindest bei Gott nicht punkten kann, und wer ihn um Rettung und Hilfe bitte, der empfängt die Kraft des Heiligen Geistes und kann froh­gemut weiterleben. Auch auf Gottes Gerichtstag kann er ohne Angst zugehen, denn er weiß ja, was Jesus von dem sündigen Zöllner gesagt hat: „Dieser ging gerecht­fertigt hinab in sein Haus.“ Gerecht­fertigt – er war nun um des Opfers Jesu willen gerecht und rein vor Gottes Augen. Seine Sünden waren vergeben; da blieb nichts zurück, was ihm am Gerichtstag vor­geworfen würde.

Wer sich selbst erhöht vor Gott, der macht sich etwas vor, denn kein Mensch kann Leistungen vollbringen, mit denen er sich bei Gott ins rechte Licht setzen kann. Wer sich selbst erniedrigt vor Gott und seine Sünden bekennt, der muss keines­wegs verzweifeln. Er findet Hilfe und Heil bei Jesus. Dadurch findet er auch die Freude des Evangeliums, die alle Freude über selbst erbrachte Leistungen bei weitem übersteigt. Es ist eine wahrhaft kindliche Freude. Ein Kind weiß ganz genau: Ich kann nicht solche Leistungen erbringen wie die Er­wachsenen; ich kann nicht so schnell laufen, so hoch springen oder so weit werfen wie sie. Aber ich bin geborgen, ich werde versorgt, mir wird geholfen, wenn ich Hilfe suche. Seht, genauso sollen wir uns vor Gott erniedrigen. Jesus sagte bei anderer Gelegenheit: „Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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