Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
In der vergangenen Woche beeindruckten junge Menschen aus der ganzen Welt durch ihre sportlichen Leistungen. Jahrelang haben sie sich beim Training gequält und haben dann ihr Letztes gegeben bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Den Besten unter ihnen jubelte die Menge begeistert zu, wenn sie schneller liefen, höher sprangen oder weiter warfen als die anderen, oder gar: als je ein Mensch zuvor. Wer eine Medaille gewann, der hat es an die Spitze geschafft, der hat sich durch seine Leistung selbst erhöht.
Nun kann man natürlich fragen: Wofür machen die Spitzensportler das? Wofür soll das gut sein, dass einer ein paar Zehntelsekunden schneller ist als andere, dass er ein paar Zentimeter höher springt oder weiter wirft? Eigentlich hilft das doch niemandem. Dem Sportler selbst bringt es lediglich das schöne Gefühl, richtig gut zu sein, und es bringt ihm Beifall und öffentliche Anerkennung. Seien wir ehrlich: Für sich selbst genommen sind sportliche Spitzenleistungen nicht wirklich wichtig.
Und wie steht es mit anderen menschlichen Leistungen? Wie steht es etwa mit den Künstlern? Wenn eine Sängerin herzergreifend singt, wenn ein Maler ein beeindruckendes Kunstwerk schafft, wenn eine Schauspielerin uns gut unterhält, dann haben solche Leistungen schon eher einen Nutzen, auch wenn der Künstler ähnlich wie der Sportler vor allem sich selbst verwirklichen und andere Menschen beeindrucken möchte. Noch höheren Wert haben freilich die Leistungen der Wissenschaft. Wenn zum Beispiel ein Medizinprofessor in jahrelanger mühevoller Forschungsarbeit eine Therapie gegen eine heimtückische Krankheit entwickelt und dafür den Nobelpreis bekommt, dann hat diese wissenschaftliche Leistung einen Wert an sich; das befriedigende Gefühl für den Forscher selbst und sein öffentlicher Ruhm sind nur nebensächliche Begleiterscheinungen. Noch größeren Wert aber kann die Leistung des Politikers haben, der zum Beispiel flächendeckend eine hervorragende medizinische Versorgung der ganzen Bevölkerung durchsetzt, oder der es schafft, einen Krieg zu beenden und gerechte Lebensbedingungen für alle herbeizuführen. Auch so ein Politiker mag dabei große persönliche Befriedigung empfinden; auch er wird dafür viel Beifall erhalten und möglicherweise sogar mit dem Friedensnobelpreis geehrt werden. Aber der eigentliche Wert seiner Leistung liegt darin, dass er für die Menschen so viel Gutes tut.
Können wir noch weiter gehen? Gibt es Leistungen mit noch mehr Gewicht? Kann es Größeres geben, als den Menschen Gutes zu tun? Vielleicht: Gott Gutes zu tun, Gott zu ehren? Wenn wir ernst nehmen, was die Bibel uns sagt, dann ist die Ehre Gottes tatsächlich das Größte und Wichtigste im Leben. Sind dann also die wertvollsten Leistungen Leistungen der Frömmigkeit, von besonders heiligen Menschen vollbracht? Menschen, die mit höheren Dingen umgehen als mit den Dingen des irdischen Lebens? Und kann ein derart Heiliger nicht auch mit einer besonders hohen Auszeichnung rechnen, gar mit einem Ehrenplatz im Himmel?
Zu Jesu Zeiten gab es bei den Juden die Gruppe der Pharisäer. Das waren solche Menschen, die mit größtem Eifer und höchsten Leistungen Gott ehren wollten. Der Pharisäer aus dem Gleichnis Jesu war ein Musterbeispiel dafür. Er fastete nicht nur einmal pro Woche, wie es vom Durchschnittsjuden erwartet wurde, sondern gleich an zwei Tagen. Und er gab zehn Prozent heilige Abgabe nicht nur von allem Geld, das er verdiente, sondern sogar von jedem Sträußchen Dill, das er in seinem Kräutergarten abschnitt. „Ich gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme“, verkündete er stolz in seinem Gebet. Er war stolz wie ein Medaillengewinner beim Sport, dass er viele andere mit seinen frommen Leistungen übertraf. Er betete: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ Ja, der Pharisäer war stolz auf seine frommen Leistungen; sie gaben ihm persönliche Befriedigung. Und sie verhalfen ihm in damaliger Zeit auch zu breiter öffentlicher Anerkennung. Die Pharisäer wurden von den meisten anderen Juden dafür bewundert, dass sie so streng und konsequent Gottes Ehre suchten.
Nun wissen wir ja alle: Jesus selbst gehörte nicht zu denen, die die Pharisäer bewunderten. Im Gegenteil, er kritisierte sie, er tadelte sie – nicht zuletzt auch mit dem Gleichnis, das wir hier bedenken. Die Frage ist nur: Was hat Jesus denn an den Pharisäern auszusetzen? Sie trachteten ja nicht nach unwichtigen Leistungen in Sport und Kulturleben, sie beschränkten sich nicht auf irdische Belange wie Wissenschaft und Politik, sondern sie wollten zuallererst Gott ehren und für ihn etwas leisten. Eigentlich müsste Jesus das doch gefallen haben! Und doch urteilt Jesus über den Pharisäer: „Er verließ den Tempel nicht gerechtfertigt.“ Und: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“ Nicht gerechtfertigt, von Gott erniedrigt – das ist ein vernichtendes Urteil! Denn das bedeutet doch: Gott wird die Leistungen des Pharisäers im Jüngsten Gericht nicht anerkennen. Er wird ihn nicht gerecht sprechen und in den Himmel erhöhen, sondern schuldig sprechen und in die Hölle erniedriegen. Nicht gerechtfertigt, das bedeutet: keinen Zugang zur ewigen Seligkeit, von einem Ehrenplatz im Himmel ganz zu schweigen!
Es gibt nur einen Grund für dieses Urteil über den Pharisäer, und der lautet: Wir können Gott nicht mit unseren Leistungen beeindrucken! Im menschlichen Bereich haben Leistungen ihren Wert und ihre Berechtigung, aber nicht vor Gott. Wenn wir etwas Gutes geleistet haben, dann können wir uns persönlich darüber freuen, und wir können uns auch an den Leistungen anderer Menschen mitfreuen, ihnen meinetwegen auch zujubeln. Aber denke nur ja niemand, er könne mit frommen Leistungen Anerkennung vor Gott finden. Wer so denkt, der macht sich etwas vor, der bildet sich etwas ein. Wer sich vor Gott selbst erhöht, der merkt nicht, wie schwach und erbärmlich er in Wahrheit vor seinem Schöpfer dasteht. Denn um wirklich heilig zu leben, bedarf es viel mehr, als ein paar Gebote zu halten, zweimal in der Woche zu fasten und konsequent zehn Prozent Kirchensteuer zu zahlen. Um wirklich heilig zu leben, müsste sich ein Mensch in lauter Liebe aufopfern für Gott und für seine Mitmenschen, ganz konsequent, ganz selbstlos. Nur einer hat das bisher geschafft, und der heißt Jesus. Er ist der Einzige, der mit seiner Leistung vom Vater im Himmel anerkannt wurde.
Manche Leute sagen: Das ist ja dann eine ziemlich traurige Sache, das Christsein. Wenn man sich immer nur erniedrigen und demütigen soll vor Gott und kein bisschen stolz sein kann auf seine Leistung, dann wird man ja ganz niedergeschlagen. Wer sich nichts zutraut und gering von sich denkt, der nimmt Schaden an seinem Selbstwertgefühl und wird womöglich seelisch krank. Ja, so sagen viele. Und es ist auch etwas Wahres dran: Wer an sich selbst nichts Positives findet, der muss letztlich verzweifeln. Und doch ist das genau unsere Situation vor Gott: Wir sind Sünder, wir werden seinen Ansprüchen nicht gerecht, wir enttäuschen ihn. Alle Psychologie kann uns nicht über die Wahrheit hinwegtäuschen, die Gottes Wort uns ungeschminkt vor Augen hält.
Aber damit ist noch nicht alles gesagt, das Wichtigste fehlt noch. Und nun kommen wir zu dem anderen Mann in dem Gleichnis, zum Zöllner. Der hat sich keine Illusionen gemacht über seine Stellung vor Gott. Der wusste: Auch wenn er es als Mann der Wirtschaft zu großen Leistungen und Erfolgen gebracht hat, so ist er doch vor Gott ein Versager. Er erniedrigte sich vor ihm und nannte sich einen Sünder. War er denn nun verzweifelt, war er seelisch am Ende? Nein, keineswegs. Denn er wusste ja, wo er Hilfe finden konnte. Verzweifelt ist nur einer, der keine Hoffnung mehr hat, der nicht mehr weiß, wo er sich hinwenden soll. Der Zöllner aber wanderte mit seiner Not zum Tempel und breitete sie vor Gott aus. Er senkte den Kopf, schlug an seine Brust und sagte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Seht, das ist das Wichtigste: Dass er Gott um Hilfe bittet! Das ist der Unterschied zwischen verzweifelten Menschen und uns Christen: Dass wir Gott um Hilfe bitten und die gewisse Hoffnung haben: Er hilft uns auch, hat uns schon geholfen, durch Jesus Christus, seinen Sohn! Denn Jesus hat verheißen: „Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Wer erkennt, dass er mit seinen Leistungen zumindest bei Gott nicht punkten kann, und wer ihn um Rettung und Hilfe bitte, der empfängt die Kraft des Heiligen Geistes und kann frohgemut weiterleben. Auch auf Gottes Gerichtstag kann er ohne Angst zugehen, denn er weiß ja, was Jesus von dem sündigen Zöllner gesagt hat: „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“ Gerechtfertigt – er war nun um des Opfers Jesu willen gerecht und rein vor Gottes Augen. Seine Sünden waren vergeben; da blieb nichts zurück, was ihm am Gerichtstag vorgeworfen würde.
Wer sich selbst erhöht vor Gott, der macht sich etwas vor, denn kein Mensch kann Leistungen vollbringen, mit denen er sich bei Gott ins rechte Licht setzen kann. Wer sich selbst erniedrigt vor Gott und seine Sünden bekennt, der muss keineswegs verzweifeln. Er findet Hilfe und Heil bei Jesus. Dadurch findet er auch die Freude des Evangeliums, die alle Freude über selbst erbrachte Leistungen bei weitem übersteigt. Es ist eine wahrhaft kindliche Freude. Ein Kind weiß ganz genau: Ich kann nicht solche Leistungen erbringen wie die Erwachsenen; ich kann nicht so schnell laufen, so hoch springen oder so weit werfen wie sie. Aber ich bin geborgen, ich werde versorgt, mir wird geholfen, wenn ich Hilfe suche. Seht, genauso sollen wir uns vor Gott erniedrigen. Jesus sagte bei anderer Gelegenheit: „Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |