Gemeinschaft mit Gott

Predigt über Johannes 16,23b-33 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Als ich ein Grund­schüler war, wollte ich zusammen mit zwei Mitschülern einmal meine Klassen­lehrerin zu Hause besuchen. Weil sie ziemlich weit weg wohnte, brauchten wir einen Erwachsenen, der uns mit dem Auto hinbrachte. Der Vater meines besten Freundes hatte ein Auto, aber ich traute mich nicht, ihn direkt zu fragen. Darum bat ich meinen besten Freund, seinen Vater zu bitten, dass er uns mit dem Auto hinfährt. So geschah es denn auch. Der Vater willigte ein, und wir konnten unseren Besuch machen.

Das ist nichts Ungewöhn­liches und in manchen Kulturen sogar der Normalfall, dass man einen Mit­menschen nicht direkt um etwas bittet, sondern dass man eine Mittels­person vorschickt. In Botswana habe ich das auch oft erlebt. Da kam zum Beispiel eine Mutter und bat für ihre erwachsene Tochter um eine Anstellung als Haushalts­hilfe. Auch in der Bibel finden wir Beispiel für solches Bitten durch eine Mittels­person. Das Volk Israel war nach der Gottes­offenbarung am Berg Sinai so erschrocken, dass es Mose bat, er soll in Zukunft als Mittler fungieren und stell­vertretend für das Volk mit Gott reden. Auch das Priester­amt des Alten Testaments hatte so eine Mittler­rolle zwischen den Menschen und Gott. Noch zu Jesu Zeiten hatten die Juden eine so große Scheu vor Gott dem Vater, dass sie es nicht einmal wagten, seinen Namen in den Mund zu nehmen.

Aber dann lehrte Jesus seine Jünger, dass nun eine ganz neue Zeit anbricht. Er lehrte sie mit den Worten, die wir eben gehört haben. Er lehrte sie, als er das Passa­mahl mit ihnen feierte, einen Tag vor seinem Tod. Mit einer feierlichen Bekräftigung begann er diese Rede und sagte: „Amen, amen, ich sage euch“ – zu deutsch: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“. Er sagte ihnen, dass sie nun direkt mit all ihren Anliegen zum himm­lischen Vater kommen können, ohne einen Mittels­mann wie Mose. Er verkündete: „Ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott aus­gegangen bin.“

Das hat sich nach Ostern erfüllt. Seit Jesus gestorben und auferstanden ist, können wir unseren himmlischen Vater ohne Mittels­person direkt bitten. Wir brauchen keinen Mose wie das Volk Israel am Sinai, und wir brauchen auch keinen besten Freund wie ich als Schulkind mit meiner Bitte an seinen Vater. Der Grund: Wir können sicher sein, dass der Vater im Himmel uns lieb hat und unser Bitten wohl­wollend hört. Wir können dessen sicher sein, obwohl wir Sünder sind. Wir können dessen sicher sein, weil Jesus am Kreuz die Sünden­schuld stell­vertretend für uns abgebüßt hat. Das Kreuz ist die Brücke über den Abgrund der Sünde, auf der wir direkten Zugang zum himmlischen Vater haben.

Wenn wir auf dieser Kreuzes­brücke zum himmlischen Vater kommen, dann dürfen wir auch alles mitbringen, was uns belastet: den Rucksack der eigenen Sorgen, die Koffer voller Nöte unserer Mit­menschen sowie alles andere Gepäck, bei dem wir nicht wissen, wohin damit. „Beten im Namen Jesu“ können wir das nennen, wenn wir über die Kreuzes­brücke mit all dem lästigen Gepäck zu Gott dem Vater gehen. Darum hat Jesus für die Zeit nach Ostern gelehrt, also für unsere Zeit: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude voll­kommen sei.“

Das Ent­scheidende bei solchem Bitten ist gar nicht, dass wir Gott über unsere Wünsche informieren. Er weiß ja sowieso schon, was wir brauchen, und er weiß es sogar besser als wir selbst. Das Ent­scheidende ist die liebevolle Gemein­schaft, die wir mit dem himmlischen Vater haben dürfen durch seinen Sohn Jesus Christus. Durch Jesus gehören wir zu Gottes Familie dazu, zu Gottes Haushalt. Da wissen wir, dass wir alle zusammen­gehören: der Vater und sein Sohn Jesus und die Apostel und die ganze Christenheit und auch wir, die wir hier ver­sammelt sind. Dass wir den Vater einfach so bitten ohne Mittels­person, das ist Zeichen dieser Vertrautheit; das ist Zeichen, dass es familiär zugeht in Gottes Reich. Unser Beten ist Zeichen einer Vertrautheit mit Gott, die den Bereich des Gebets eigentlich weit über­schreitet und unser ganzes Leben umfasst. Im Namen Jesu sollen wir nicht nur beten, sondern im Namen Jesu sollen wir alles tun, was wir tun. Am vergangenen Sonntag haben wir es in der Epistel­lesung gehört: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesus und danket Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol. 3,17).

Noch ein anderes Zeichen der Vertraut­heit mit Gott lehrt Jesus uns in diesem Zusammen­hang. Er erinnert seine Jünger zunächst daran, dass er ihnen in Gleich­nissen vom Himmel­reich erzählte. Wir kennen ja noch heute die wunder­baren Himmelreich-Gleichnisse unseres Herrn. Aber wer sich in diese Gleichnisse vertieft, der merkt schnell: Manches bleibt darin rätselhaft in der Schwebe. Gleichnisrede erklärt nicht nur, sondern verhüllt gleichzeitig, lässt Dinge im Halb­dunkel. Jetzt, sagte Jesus, hat das Reden in Gleichnissen ein Ende, und redete mit seinen Jüngern un­verhüllt. Er sagte ihnen nun ohne Gleichnis direkt auf den Kopf zu, dass sie durch ihn Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel haben und dass der Vater sie lieb hat. Indem er das ohne Gleichnis sagt, nimmt er den Schleier der Rätsel­haftig­keit von seiner Rede weg und zeigt ihnen damit, dass sie nun seine und des Vaters engste Vertraute sind. Vielleicht haben sich die Jünger dabei an ein Wort aus dem 4. Buch Mose erinnert, wo Gott über Mose, dem Mittels­mann Israels am Berg Sinai, sagt: „Von Mund zu Mund rede ich mit ihm, nicht durch dunkle Worte oder Gleichnisse.“ In der Zeit nach Ostern sind nun alle Glau­benden so eng mit Gott verbunden wie damals nur Mose auf dem Berg Sinai. Das gilt auch für dich, lieber Christ: Du bist kein Zaun­gast von Gottes Reich, ja überhaupt kein Gast, sondern du bist Gottes Haus­genosse, du gehörst zu seiner engsten Familie, und das für immer. Ist das nicht großartig?

Die Apostel, die das damals zum ersten­mal hörten, waren überwältigt vor Freude. Wir können uns vorstellen, dass ihre Augen strahlten, als sie ihrem Herrn erwiderten: „Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott aus­gegangen bist.“ In diesen Worten zeigte sich ihr Vertrauen, denn sie sagen damit: Jesus ist über jede Prüfungs­frage erhaben; was er sagt, kann ungeprüft als wahr und zuverlässig geglaubt werden.

Ja, liebe Gemeinde, in herrlichen Zeiten leben wir! Wir sind erlöst durch Jesus, der für uns gestorben und auf­erstanden ist. Durch ihn gehören wir zu Gottes Familie. Durch ihn haben wir Gewissheit, dass Gott uns maßlos liebt. In seinem Namen tun wir alles, was wir tun im Leben. In seinem Namen kommen wir als liebe Kinder direkt zum lieben Vater mit allen Bitten und Anliegen, und wir haben dabei das Vertrauen: Er wird uns auch erhören. Ja, in herrlichen Zeiten leben wir, nachdem es Ostern geworden ist.

In herrlichen Zeiten? Ist das nicht zu blau­äugig? Ist das nicht total unrealistisch und weltfremd? Wieviel belastet uns! Wieviel Schweres müssen wir ertragen, wieviele Schmerzen und Ent­täuschungen! Wieviel Leid und Elend durchzieht die Welt, und wir laden es auf unseren eigenen Seelen? Das sollen herrliche Zeiten sein?

Jesus weiß das. Er wusste es schon immer. Auch hat er es seinen Jüngern nie verschwiegen. In der Rede von den herr-lichen Zeiten nach Ostern hat er auch gesagt: „In der Welt habt ihr Angst.“ Dabei steckt in dem Original­wort für „Angst“ noch viel mehr drin, als man es dem deutschen Wörtchen „Angst“ ansieht. „Bedrängnis“ könnte man übersetzen, oder „Trübsal“ oder „Schwierig­keiten“ oder „Leid“. Jesus hat seinen Jüngern voraus­gesagt (und das gilt bis heute auch für uns): „In der Welt habt ihr Angst, Bedrängnis, Trübsal, Schwierig­keiten und Leid.“ Ja, wie kommt das denn, lieber Herr Jesus, wo wir doch jetzt zu Gottes Familie gehören und wo uns der Vater doch so lieb hat?

Es kommt daher, dass wir, solange wir auf Erden leben, eigentlich Bürger zweier Welten sind. Leiblich gehören wir einer kranken Welt an, einer vergänglichen Welt, einer von Sünde und Leid gezeichneten Welt, und da können Angst und Bedrängnis nicht ausbleiben. Geistlich gehören wir aber bereits zu Gottes neuer Welt, zu seinem Reich, zu seiner Familie. Das ist das Ent­scheidende: Gottes Reich – die Welt, die ewig bleibt. Da legen wir alle Probleme Gott zu Füßen, da beten wir voller Vertrauen zum Vater im Himmel. Wir tun es im Namen Jesu, und wir wissen: Bei Gott ist das alles gut aufgehoben, ganz egal, wie er erhört, wann er erhört und wieviel wir von seiner Erhörung merken. Im Namen Jesu tun wir dann auch alles andere: Wir arbeiten, wir ruhen, wir helfen, wir lieben, wir nehmen dankbar Gottes Gaben an, wir loben ihn in der Gemeinde. Das alles ist keine Ergänzung zum Gebet, sondern das alles geschieht zusammen mit unserem Gebet, unter Gebet – alles im Namen Jesu! Es wäre falsch zu meinen: Was in unserer Macht steht, das müssen wir schon selbst ohne Gottes Hilfe tun, und was nicht in unserer Macht steht, das müssen wir ihm im Gebet anbefehlen. Nein, alles befehlen wir dem himmlischen Vater im Gebet an und lassen uns dann von ihm zeigen, wo er unseren tat­kräftigen Einsatz braucht.

Solange wir Bürger dieser beiden Welten sind, werden wir noch Angst haben und Leid erfahren. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt der Herr. Aber wir wissen, dass wir die kranke Welt einmal verlassen werden. Dann werden wir nur noch in der anderen Welt des Gottes­reichs sein, in der Welt der Freude. „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude voll­kommen sei“, sagt Jesus. Ja, einmal wird unsere Freude ganz und gar voll­kommen sein – an dem Tag, an dem Gott auch die letzte unserer Bitten erfüllt haben wird. Und weil wir das wissen, können wir uns jetzt schon freuen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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