Gottes Wort, der köstliche Same

Predigt über Lukas 8,4-15 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jesus war berühmt geworden. Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen zusammen, um ihn zu erleben. Einige hielten sich ständig in seiner Nähe auf und zogen mit ihm umher, das waren seine Jünger und Jüngerinnen. Sie verehrten und liebten ihn, sie erhofften sich alles Heil von ihm, sie glaubten an ihn. Andere kamen nur für einen Tag aus Neugier; sie wollten den berühmten Rabbi nur mal kennenlernen, von dem sie schon so viel gehört hatten. Wieder andere waren einfach begeistert von ihm; sie waren gewissermaßen seine Fans und jubelten ihm zu, wie heute die Menschenmassen einem Schauspieler zujubeln oder einer Pop-Gruppe oder einem berühmten Sportler. Wieder andere kamen als Skeptiker; sie hatten eigentlich nichts übrig für den ganzen Jesus-Rummel und wollten sich bloß ein Bild machen von ihm. Einige Pharaisäer kamen sogar als erklärte Gegner zu ihm; sie stellten ihm mit Fangfragen Fallen und wollten um jeden Preis etwas finden, womit sie ihn anklagen konnten.

Vor dieser großen, bunt zusammengewürfelten Schar beginnt Jesus nun zu predigen. Er fordert alle auf, gut zuzuhören: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Er erzählt ihnen das Gleichnis vom vierfachen Acker. Damit macht er das, was er gerade tut, zum Thema seiner Predigt: Er predigt mit diesem Gleichnis über das Predigen. Er selbst ist der Sämann, von dem er erzählt; mit seinem Predigen streut er den Samen aufs Land. Die vielen verschiedenen Zuhörer sind die verschiedenen Bodenarten, auf die der Same fällt: Alle hören dasselbe, aber nicht alle nehmen es auf dieselbe Weise auf. Das Wichtigste in diesem Gleichnis aber ist der Same. „Der Same ist das Wort“, so erklärt es Jesus selbst. Der Same ist das Wichtigste und zugleich das Wunderbarste in dieser Geschichte vom Sämann.

Habt ihr euch schon einmal näher damit beschäftigt, was für ein Wunderwerk der Schöpfung so ein Samenkorn ist, ein Weizenkorn, ein Haferkorn oder auch ein Körnchen Gerste? Es ist wirklich ganz erstaunlich, was da alles drinsteckt! Außen ist eine relativ harte Schale, die das Innenleben schützt. Aber nicht nur das: Diese Schale enthält auch Vitamine und Proteine, die zur Zeit der Keimung dem Keimling zugute kommen. Der größte Teil des Samenkorns besteht sodann aus dem Nährgewebe, dem sogenannten Mehlkörper. Das ist das Mehl, das der Müller aus dem Getreide mahlen kann. Dieser Mehlkörper ist dicht gepackt mit biologischer Energie, mit Kohlehydraten. Auch dieses Energiepaket kommt zur Zeit der Keimung dem Keimling zugute. Und dann ist da im Getreidekorn drittens noch der Keimling. Der ist zwar am kleinsten, aber der ist die Hauptsache. Der Keimling ist nämlich eine richtige lebendige Pflanze im Miniaturformat, ein Pflanzen-Embryo gewissermaßen. Im Ansatz ist alles dran an diesem Keimling, was eine Getreidepflanze ausmacht, von der Wurzel bis zur Ähre. Der gesamte Bauplan der Pflanze ruht im Keimling, so wie es bei jedem Lebewesen im Anfangsstadium der Fall ist.

Solange das Getreidekorn in der ausgereiften Ähre ist oder trocken lagert, befindet sich dieser Pflanzen-Embryo in einem Ruhezustand, er schläft gewissermaßen. Das Wachstum ist gestoppt, weil ihm das Wasser fehlt. Wenn nun das Samenkorn in die Erde fällt und feucht wird, dann quillt es auf, und der Keimling wächst weiter, durchbricht die harte Schale, bildet Wurzelhärchen sowie einen Keim aus. Dafür nutzt es die Nährstoffe und die Vitamine aus Mehlkörper und Schale. Ja, so ein Samenkorn ist wirklich ein Wunderwerk der Schöpfung! Freilich benötigt es bestimmte Bedingungen, um zu keimen und zu einer Pflanze zu werden: Es braucht Feuchtigkeit, Sauerstoff und die richtige Temperatur. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, dann muss die kleine Pflanze im Samenkorn sterben.

Ebenso ein Wunderwerk ist Gottes Wort, ja, eigentlich ein noch viel größeres. „Der Same ist das Wort Gottes“, sagte Jesus. Der Keimling in diesem Samen ist das, was Gott zu tun beabsichtigt. Als Gott zu Anbeginn der Welt sagte: „Es werde Licht“, da war das noch ungeschaffene Licht schon als Keimling in diesem Wort enthalten. Wenn Jesus sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“, denn steckt in diesem Wort die volle Gerechtigkeit, Reinheit und Heiligkeit drin, die er dem Menschen schenken will. Mehlkörper und Schale aber entsprechen der Wachstumskraft, die dem Wort Gottes innewohnt. Gottes Wort ist Energie-geladen; es hat die Kraft durchzusetzen, was es sagt. „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes“, heißt es Römerbrief (Röm. 1,16); wörtlich steht da: „eine dynamis“ – wie Dynamit! Das Schöpferwort „Es werde Licht“ hatte die Kraft, das Licht ins Dasein zu rufen. Das Lösewort „Dir sind deine Sünden vergeben“ hat die Kraft, einen Menschen von aller Sündenschuld vor Gott zu befreien. Wir können gar nicht genug staunen über Gottes Wort, diesen wunderbaren Samen, und wir können unsern Herrn nie genug dafür loben und preisen!

Aber wie beim richtigen Samenkorn, so kommt es auch beim Wort Gottes auf die richtigen äußeren Bedingungen an. Was das Evangelium von der Sündenvergebung anbetrifft, so kommt es darauf an, dass das Lösewort in ein aufnahmebereites Menschenherz fällt, das gern alle Sündenschuld los werden will und sich gern von Jesus Christus helfen lässt. Wo ein Mensch hochmütig, verschlossen oder ablehnend ist, da muss das köstliche Samenkorn sterben, da wird es nichts mit Sündenvergebung, Liebe und ewigem Leben, da bringt es keine Frucht. Die Feinde Jesu, die nur zuhören, um eine Anklage gegen ihn zu finden, die gleichen dem Weg: Das Samenkorn wird kaputt getreten, Gottes Wort wird zerstört. Die oberflächlichen Jesus-Fans gleichen dem Felsen: Sobald die Nachfolge anstrengend und schwierig wird, macht es ihnen keinen Spaß mehr, bei Jesus zu sein, und sie fallen ab. Das Wort Gottes kann sich bei ihnen nicht festwurzeln. Ach, das ist die große geistliche Gefahr unserer Zeit; reihenweise fallen die Christen vom Glauben ab. Es ist vielen einfach zu anstrengend, als christliche Minderheit in einem zunehmend gottlos werdenden Volk zu leben; sie scheuen die Leiden der Anfechtung und des Außenseitertums. Wieder andere gleichen denen, die nur kurz mal bei Jesus vorbeischauen und erwarten, dass er ihnen behilflich ist, ihr Leben nach ihrem Geschmack einzurichten. Bei ihnen fällt Gottes Wort unter die Dornen; da gibt es zuviel anderes im Herzen, was den Samen erstickt, was ihm den Sauerstoff nimmt. Vor allem ist hier das Geld-Verdienen zu nennen, aber auch das Geld-Ausgeben. „Sie ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens“, lehrte der Herr.

Ja, Jesus macht mit seinem Gleichnis deutlich, wie Gottes frohe Botschaft bei einigen Menschen gute Wachstumsbedingungen findet und bei anderen nicht. Dass er diese Lehre in das Bild vom Samen und vom Ackerboden kleidet, ja, dass er überhaupt viel in Gleichnissen redet, das hat auch in sich selbst eine bildhafte Bedeutung. Als seine Jünger ihn nach dem Gleichnis fragten, da sagte er ihnen nämlich zunächst: „Euch ist's gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.“ Die Jünger gleichen dem guten Ackerboden: Sie verstehen, was Gottes Wort bedeutet, weil sie dafür offen sind und gute Wachstumsbedingungen bieten. Bei den anderen Menschen aber fehlen die guten Wachstumsbedingungen; sie verstehen nur Bahnhof, wenn sie die Gleichnisse hören. Sie merken zum Beispiel nicht, dass Jesus mit diesem Gleichnis den wunderbaren Charakter und die Kraft von Gottes Wort entfaltet. Sie denken, er redet bloß über Landwirtschaft, und sie halten Gottes Wort für frommes Gerede, so, wie wenn einem ein Freund gut zuredet.

Bemerkenswert an dieser Predigt ist, dass Jesus nur beschreibt. Er verzichtet darauf, irgendwelche Anweisungen zu geben, auch fordert er nichts von seinen Hörern. Seine Predigt will den Hörern einfach vor Augen führen, wie wunderbar Gottes Wort ist. Wenn dieses Wort nicht zum Zuge kommt, wenn es nicht Frucht bringt zum ewigen Leben, dann liegt das nicht am Wort, sondern dann liegt das am Menschen, der für Gottes Wort nicht die nötigen Wachstumsbedingungen bietet. Diese Erkenntnis ist überaus tröstlich für uns, die wir für Gottes Wort offen sind und uns nach guter Glaubensfrucht sehnen. Denn wir lernen dabei: Glauben ist keine Kraftanstrengung, und christlich zu leben ist es auch nicht. Es kommt gar nicht auf unseren Willen und unsere Mühe an. Wenn es so wäre, dann müssten wir freilich dauernd verzweifeln an unserem Kleinglauben, unseren Zweifeln. Nein, die Pflanze des Glaubens kommt mit dem Wort Gottes zu uns als ein wunderbarer Keimling, der sich bei uns entfalten will. Martin Luther hat es trefflich im Kleinen Katechismus erklärt. Er sagte zum dritten Glaubensartikel: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zum ihm kommen kann…“ Der Glaube kommt als göttliches Wunder zu uns, als Keimling im Wort, das auch alle Nährstoffe zum Keimen in sich trägt, alle Kraft. Wir brauchen nichts zu tun als unser Herz zu öffnen und diesen köstlichen Samen hineinfallen zu lassen, dann wird er schon Frucht bringen. Also: Herzen auf und Ohren auf für Gottes Wort! „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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