Weltgeschichte und Heilsgeschichte

Predigt über Lukas 2,1‑7 zum 1. Weihnachtsfeiertag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Weihnachts­geschichte beginnt nicht mit den Worten „Es war einmal“, sie ist kein Märchen. Die Weihnachts­geschichte beginnt mit den Worten „Es begab sich aber zu der Zeit…“, zu der geschicht­lich genau bestimm­baren Zeit nämlich, als Augustus Kaiser des römischen Weltreichs war und Quirinius dessen Statthalter im Gebiet Israels, der damaligen römischen Provinz Syrien. Die Weihnachts­geschichte ist kein Märchen, sondern ein Stück Welt­geschichte, noch dazu ein einzig­artiges. Denn kein anderes Ereignis der Welt­geschichte ist bis heute so lebendig im Gedächtnis der Menschheit verankert wie dieses. Jedes Jahr feiert man auf der ganzen Welt tagelang dieses Ereignis, und man tut es schon zwei Jahr­tausende lang. Aber es ist nicht nur ein heraus­ragendes Ereignis der Menschheits­geschichte, sondern zugleich ein heraus­ragendes Ereignis in Gottes Heils­geschichte: Sein Sohn, wahrer und ewiger Gott, lässt sich herab in unsere Welt, um uns zu erlösen. Wäre es nicht Weihnachten geworden, dann wären wir in unseren Sünden verloren, und es gäbe keine Hoffnung in dieser bösen Welt. Aber, Gott sei Lob und Dank, nun feiern wir Weih­nachten, das heraus­ragende Ereignis der Menschheits­geschichte und zugleich von Gottes Geschichte – so wie das Jesuskind Gott und Mensch zugleich ist. Mit Martin Luther bekennen wir ja zum 2. Glau­bens­artikel: „Ich glaube, dass Jesus Christus, wahr­haftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahr­haftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr…“

Gaius Octavius Augustus war von einem berühmten Mann erzogen worden, von seinem Großonkel Julius Caesar nämlich. Den Namen dieses Onkels übernahm er als Herrscher­titel: „Cäsar“, daraus wurde später unser deutsches Wort „Kaiser“ und das russische Wort „Zar“. Kaiser Augustus war zu seinen Lebzeiten der mächtigste Mann der Welt. Er führte sein Riesenreich mit straffer Hand. Er unterteilte es in viele Provinzen, denen jeweils ein Prokurator vorstand, ein Statt­halter, ein Herrscher, der nur dem Kaiser in Rom und dem römischen Senat Rechen­schaft schuldig war. In Palästina war das zu jener Zeit Quirinius, in alten Bibel­übersetzun­gen auch „Cyrenius“ genannt. Eine wichtige und damals ganz moderne Regierungs­maßnahme des Kaisers Augustus bestand darin, alle erwachsenen Bürger seines Reiches, die nicht Sklaven waren, zu re­gistrieren. „Schätzung“ wird diese Maßnahme in der Bibel genannt. Es ging letztlich um Geld, um sehr viel Geld sogar: Es ging darum, wieviel Steuern der Kaiser aus den einzelnen Provinzen fordern konnte. Es war eine ähnlich umfang­reiche Verwaltungs­aktion wie die Maßnahme der Bundes­regierung in diesem Jahr, mit der alle Bundes­bürger vom Baby bis zum Greis eine un­veränder­liche Steuer­nummer erhielten. Der Zweck dieser ver­einheit­lichten Steuer­nummer ist genau derselbe wie das Gebot vom Kaiser Augustus, dass sich jeder für die Schätzung an seinen Geburtsort begeben soll: Es sollte keine Durch­einander entstehen, es sollte sich niemand der Schätzung entziehen, aber es sollte auch niemand doppelt gezählt werden.

So kam es also zu dem kaiser­lichen Gebot, zu dem kaiser­lichen „Dogma“, wie es im Griechi­schen heißt: Jeder musste in seine Heimatstadt ziehen; wenn er's nicht tat, hatte er mit schwerer Bestrafung zu rechnen. Hinter dem kaiser­lichen Muss steckt nun allerdings ein göttliches Muss – wie gesagt, wir haben es hier nicht nur mit Welt­geschichte, sondern zugleich mit Gottes Heils­geschichte zu tun! Gott hat an den Schalt­hebeln der Welt­geschichte gezogen, dem Augustus die Idee mit der Schätzung ins Herz gegeben und auf diese Weise bewirkt, dass schließlich auch Josef und Maria von Nazareth aufbrachen und nach Bethlehem zogen. Josef musste nach Bethlehem, weil er als Nachfahre des Königs David aus dieser Stadt stammte, und Maria gehörte als seine Frau zu ihm und musste deshalb mitziehen. Freiwillig hätten die beiden diese Reise bestimmt nicht auf sich genommen, wegen Marias Schwanger­schaft. Aber der Messias musste in Bethlehem geboren werden, das hatte schon der Prophet Micha voraus­gesagt: „Du, Beth­lehem…, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr ist…“ (Micha 5,1). Bethlehem war die Heimatstadt des Königs David gewesen. Dem hatte Gott verheißen, dass einer seiner Nachkommen ein ewiges Friedens­reich aufrichten werde – eben der Messias, der ver­sprochene Erlöser, der Davidssohn. Also musste Jesus in Bethlehem geboren werden, in der Stadt Davids, damit es allen deutlich wird: Dieser Jesus ist der ver­sprochene Davidssohn, er erfüllt die Weis­sagungen der Propheten über den Messias.

Josef und Maria machten sich also gzwungener­maßen auf den Weg – gezwungen vom kaiser­lichen Gebot und vom göttlichen Muss. In welchem Verhältnis standen die beiden eigentlich zueinander? Josef zog mit Maria, „seinem vertrauten Weibe“, so hören wir es seit alters in der Weihnachts­geschichte. Modernere Bibel­übersetzun­gen sprechen von seiner Verlobten oder von seiner Frau – was war sie denn nun eigentlich? Schon bevor Maria schwanger wurde, waren die beiden rechts­kräftig verlobt; das heißt nach biblischem Ver­ständnis, sie hatten sich un­widerruflich die Ehe ver­sprochen. Als Josef dann von Marias Schwanger­schaft erfuhr, wollte er sie zunächst heimlich verlassen, weil er dachte, da steckt ein anderer Mann dahinter. Aber als Gott ihm eröffnete, dass Maria als Jungfrau vom Heiligen Geist schwanger geworden war, da nahm er sie „zu sich“, wie es heißt: Er nahm sie in seinen Haushalt auf. Mit anderen Worten: Sie heirateten und gehörten nun zusammen als Mann und Frau. Nur Geschlechts­verkehr hatten sie noch nicht mit­einander. Im Matthäus­evangelium steht: „Er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar“ (Matth. 1,24‑25). Als Maria und Josef nach Bethlehem unterwegs waren, da waren sie also schon ver­heiratet, hatten aber ihre Ehe noch nicht „voll­zogen“, wie man sagt. Diese Tatsache ist deshalb wichtig, weil daraus folgt: Jesus wurde nicht als uneheliches Kind geboren, sondern als ältester Sohn der Eheleute Josef und Maria. Er gehörte damit zur Sippe des Josef und galt als einer aus dem Hause Davids: Der Gottessohn wurde ein Davidssohn.

Die Reise von Nazareth nach Bethlehem war be­schwerlich und dauerte mehrere Tage. Sie führte in das judäische Bergland. „Sie zogen hinauf“, heißt es im Original­text der Weihnachts­geschichte, denn Bethlehem liegt etwa 700 Meter über dem Meeres­spiegel. Als sie in dem kleinen Ort eintrafen, da „kam die Zeit, dass sie gebären sollte“, so heißt es. Wörtlich übersetzt steht da: „Die Tage waren erfüllt“, Marias Schwanger­schaft neigte sich dem Ende zu und der Geburts­termin stand vor der Tür. Den konnte man schon damals genauso gut abschätzen wie heute. Wir sehen daran: Jesus bekam keine Sonder­bedingungen als Gottessohn, er wuchs neun Monate lang im Mutterleib heran wie jeder normale Mensch. Neun Monate waren vergangen, seit der Engel Maria mitgeteilt hatte, dass sie vom Heiligen Geist schwanger ist. Der wahre Gott wird wahrer Mensch von Anfang an; er wird neun Monate lang im Mutterleib aus­getragen.

Diese Zeit war um, als Josef und Maria Bethlehem erreichten. Und da gab es ja nun das Problem mit der Unterbringung. „Es war kein Raum in der Herberge“, heißt es in der Weihnachts­geschichte. Wir wissen eigentlich nicht so genau, was wir uns unter dieser „Herberge“ vorstellen sollen: ein Gasthaus? Eine „Herberge zur Heimat“, sprich: ein Obdachlosen­asyl? Eine Kara­wanserei, also eine Art antikes Motel für Reisende auf Eseln und Kamelen? Ein Privathaus von Josefs Verwandten, die noch in Bethlehem wohnten? Zu der Frage ist viel geforscht und geschrieben worden, aber so ganz genau lässt sich das nicht klären. Eins ist aber sicher: Diese „Herberge“ war so überfüllt von anderen Menschen, dass es dort keinen Platz für Josef und Maria gab, und schon gar keinen Platz, um ein Kind zur Welt zu bringen. Nun hatte man damals in dieser bergigen Gegend die Häuser oft ganz in der Nähe von Felsen­höhlen gebaut; kaum ein Haus war ohne seine Höhle, so wie es heute kaum ein Haus ohne Garage gibt. Dort konnte das Vieh, das jede Familie besaß, nachts und bei schlechtem Wetter Zuflucht finden. Auch gab es da Futter­behälter für das Vieh, grob aus Holz gezimmert oder auch in den Felsen gehauen. So eine Stall-Höhle muss es gewesen sein, die Josef und Maria als Not­unterkunft in Bethlehem bezogen. Keine zweihundert Jahre nach Jesu Geburt ist eine bestimmte Höhle von allen Bewohnern Bethlehems eindeutig als Jesu Geburts­höhle benannt worden, und es spricht vieles dafür, dass es wirklich seine Geburts­höhle war. Später hat man über dieser Höhle eine Kirche errichtet, und noch heute steht an dieser Stelle eine Kirche, die berühmte Geburts­kirche von Bethlehem. Wer nach Israel reist, kann also noch heute die Stelle dieser Höhle sehen.

Hier gebar Maria „ihren ersten Sohn“, so heißt es. Das wird deshalb betont, weil die ersten Söhne in Israel in besonderer Weise als Gottes Eigentum galten. Maria und Josef haben für ihn ja dann auch vierzig Tage später ein entsprechendes Opfer dar­gebracht, wie es das Mose-Gesetz für erst­geborene Söhne vorschrieb. Jesus ist Gottes ein­geborener Sohn, also der einzige Sohn Gottes im eigent­lichen Sinne; der einzige, der göttliches Wesen hat. Dieser eingeborene Sohn Gottes wird nun der erst­geborene Sohn Marias und damit Gottes Eigentum. Indem Gott Mensch wird, unterwirft er sich seinem eigenen Gesetz! Das ist das Wunder der Heiligen Nacht: „Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute. Gottes Kind, das verbind't sich mit unserm Blute.“

Liebe Gemeinde, hier versagt unser Verstand, hier versagt unsere Sprache. Hier können wir einfach nur staunen und anbeten. Der eingeborene Sohn vom ewigen Vater als erst­geborener Sohn von Josef und Maria! Der allmächtige Gott in einer Viehstall-Höhle! Der Schöpfer aller Dinge in einem Futtertrog! Gott in Windeln! Und das alles wegen uns: damit wir armen Sünder selig werden. Gott sei Lob und Dank dafür in alle Ewigkeit! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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