Vertrauen und Geduld

Predigt über Hebräer 10,35‑39 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gottes letztes Wort in dieser Welt ist ein Gnadenwort. Es heißt Jesus Christus. Mit Jesu Kommen haben die „letzten Tage“ begonnen, wie es in der Bibel wiederholt heißt, die Endzeit. Keine neue Botschaft haben wir von Gott mehr zu erwarten über das Evangelium von Jesus Christus hinaus. Darum beginnt der Hebräer­brief mit der Fest­stellung: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn“ (Hebr. 1,1). Und dann entfaltet der Hebräer­brief in vollen neun Kapiteln dieses Gnadenwort, diese herrliche Botschaft von Jesus Christus. Da erfahren wir, dass er als Gottes Sohn nicht nur über allen Propheten steht, sondern auch über allen Engeln. Sein hohe­priester­liches Amt wird breit entfaltet, wie er für aller Menschen Sünde Sühnung geschaffen hat. Mit vielen biblischen Geschichten und Zitaten führt uns der Hebräer­brief vor Augen, wie Jesus dadurch die Ver­heißungen des Alten Testaments erfüllt hat. Durch Christi einmaliges Opfer am Kreuz erlangen alle Glaubenden Vergebung der Sünden und ewiges Leben.

Nach dieser herrlichen Entfaltung des Evangeliums geht der Hebräer­brief dazu über, den christ­lichen Leser zum Festhalten am Glauben zu ermahnen. Dass nur ja niemand, der zum Glauben gekommen und getauft ist, das durch Jesus erworbene Heil wieder verliert! Und da sind wir dann im zehnten Kapitel des Hebräer­briefs angelangt und bei unserem Predigt­text, wo es heißt: „Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.“ Zwei Gesichts­punkte des Glaubens sind es, auf wir hier nach­drücklich hingewiesen werden: auf das Vertrauen und auf die Geduld. Lasst uns beides genauer betrachten.

Die Hauptsache beim Glauben ist das Vertrauen, nämlich die Zuversicht, dass Gottes letztes Wort an unsere Welt nicht trügt und auch nicht ungültig werden kann. Es hat eine große „Be­lohnung“, heißt es; mit dieser „Belohnung“ ist das ewige Leben gemeint. „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16), so hat es Christus selbst ver­sprochen. Es geht hier also nicht um fromme Leistung oder gelingendes Leben, sondern es geht ganz schlicht darum, ob wir für uns gelten lassen, was Jesus erworben und uns in der Taufe zugeeignet hat.

Dieses Vertrauen sollen wir nicht wegwerfen. Was wäre denn solches „Weg­werfen“? Ich möchte es mit einem Beispiel illustrie­ren, das vielleicht etwas merkwürdig ist, aber doch ziemlich gut passt. Einige von euch kennen vielleicht den Spielfilm „Mr. Bean macht Ferien“. Da nimmt Mr. Bean an einer Tombola teil. Er hat ein Los gekauft mit einer drei­stelligen Nummer. Gerade wird der Hauptgewinn gezogen: eine luxuriöse Urlaubs­reise nach Cannes und ein Camcorder. Die Nummer des Gewinners wird ausgerufen: „919“. Mr. Bean schaut auf sein Los – und wirft es enttäuscht weg. Weil er den Zettel falsch herum hält, erkennt er darauf die Nummer 616 und meint, das sei eine Niete. Wenn er den Zettel richtig herum gelesen hätte, dann hätte er gemerkt, dass er gewonnen hat; 919 hätte er dann korrekt gelesen, nicht 616. So aber warf er sein Los und damit den sicheren Gewinn einfach weg. Ebenso dumm handeln alle, die durch die Taufe Christen geworden sind, aber ihren Glauben an Jesus einfach weggeworfen haben. Sie sind Haupt­gewinner, sie haben einen Platz in Gottes Familie gewonnen und die ewige Seligkeit im Himmel, aber sie achten nicht darauf und werfen diese großartige Verheißung einfach weg. Es ist so, also ob sie falsch herum auf das Evangelim schauen. Sie hören zwar dasselbe Evangelium wie wir und sie sind mit derselben Taufe getauft, aber sie sehen nicht, was für einen großen Schatz sie damit haben! Darum, liebe Brüder und Schwestern, lasst uns diesen Schatz niemals unter­schätzen. „Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“

Freilich: Auch wenn wir mit der Taufe das große Los in Händen halten und nicht wegwerfen, gibt es doch einen Feind, der es uns aus der Hand reißen will. Das ist der Teufel. Mit List und mit Gewalt will er uns den Glauben rauben, mit raffi­nierten Ablenkungs­manövern und mit brutalen Schicksals­schlägen. Darum kommt es darauf an, dass wir den Glauben beharrlich festhalten und uns nicht beirren lassen. Darauf weist der zweite Glaubens-Gesichts­punkt hin, den unser Predigttext betont: die Geduld. Nicht nur das Vetrauen auf Gottes Verheißung ist wichtig, sondern auch das Beharren in diesem Vertrauen, das unbeirrte Festhalten durch alle Höhen und Tiefen des Lebens hindurch bis hin zu dem Tag, an dem Gott uns aus der Welt ruft. Mit Geduld ist in diesem Zusammen­hang also fast so etwas wie Glaubens-Sturheit gemeint. Wir lesen: „Geduld habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.“

An diese Mahnung schließt sich nun aber gleich ein tröstlicher Satz an, damit wir vor ihr nicht erschrecken müssen: „Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange aus­bleiben.“ Gott sorgt dafür, dass unsere Geduld nicht über die Gebühr strapaziert wird. Nur noch eine kleine Weile, dann haben die An­fechtungen und Leiden dieser Welt ein Ende! Nur noch eine kleine Weile, dann kommt Jesus Christus wieder in Herrlich­keit und holt uns in den Himmel! Er wird nicht lange ausbleiben – nur noch eine kleine Weile!

Nun ist aber „eine kleine Weile“ ein dehnbarer Begriff. Wenn eine Familie auf der Urlaubs­reise im Auto unterwegs ist und nach vielen Stunden Fahrzeit das kleine Kind fragt: „Wann sind wir endlich da?“, dann kann es sein, dass die Mutter tröstend antwortet: „Nur noch eine kleine Weile!“; dabei sind es immer noch gut hundert Kilometer. Für die Eltern mag das wirklich nicht mehr viel sein, dem Kind aber kommt es wie eine Ewigkeit vor. Bei Gott ist der Begriff der „kleinen Weile“ noch viel dehnbarer: Tausend Jahre sind bei ihm wie ein einziger Tag und umgekehrt, so erfahren wir aus der Bibel (2. Petrus 3,8). Und schon zweitausend Jahre ist es her, dass Jesus versprach, wieder­zukommen! Ist also das Wort von der „kleinen Weile“, das uns das geduldige Ausharren er­träglicher machen will, nur eine Ver­tröstung, so wie man Kinder vertröstet?

Nein, es ist etwas anderes. Ganz bewusst verschweigt uns Gott den genauen Termin von Christi Wiederkehr. Ganz bewusst verschweigt er uns auch den Tag, an dem jeder einzelne von uns diese Welt verlassen muss. Denn wenn es um die Glaubens-Geduld geht, um das Ausharren in der Hoffnung, dann braucht keiner sich die Kraft einzuteilen wie ein Langstrecken­läufer. Es geht nur darum, am heutigen Tag Gott treu zu bleiben und für Jesu Wieder­kommen bereit zu sein. Um morgen und um nächstes Jahr brauchen wir uns nicht zu sorgen; erst wenn morgen heute ist, kommt es darauf an, auch an diesem Tag die Geduld des Glaubens zu bewahren. Mit anderen Worten: Wir können nicht auf Vorrat glauben, sondern wir können uns das Vertrauen nur immer wieder neu von Gott erbitten und schenken lassen. Die „kleine Weile“ des Ausharrens ist nichts anderes als der heutige Tag, der sich leicht bestehen lässt, wenn ich das Morgen Gott überlasse. Wenn wir es so betrachten, dann ist das Wort aus dem Hebräer­brief keine Vertröstung und auch keine geplatzte Hoffnung einer früh­christlichen Nah­erwartung, sondern es ist eine große Hilfe und Ermunterung zur Glaubens-Geduld: „Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange aus­bleiben.“ Der geduldig Glaubende nimmt jeden Tag für sich als ein Tag des Wartens und der Vorfreude auf den wieder­kommenden Herrn.

Zum Vertrauen ruft uns dieses Gotteswort auf und zur Geduld. Beides, der Glaube und das Ausharren im Glauben, wird noch durch eine Verheißung aus dem Alten Testament bekräftigt. Da hat Gott durch den Propheten Habakuk über den erlösten Menschen gesagt: „Mein Gerechter wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurück­weicht, hat meine Seele keinen Gefallen an ihm.“ Wir sehen in dieser Verheißung auch die Kehrseite, Gottes Warnung: Es gibt die Gefahr, vom Glauben abzufallen und bei Gott in Ungnade zu fallen. Dass wir es also nur nicht auf die leichte Schulter nehmen und lau werden! Es steht ein großer Ernst hinter der Mahnung, den Glauben nicht weg­zuwerfen, sondern geduldig daran fest­zuhalten. Dabei geht es jedoch nicht um unsere Glaubens­kraft, Willens­anstrengung und Leistung, sondern es geht darum, dass wir Gott alles zutrauen und uns darauf verlassen, dass die Erlösung Jesu Christi und seine Taufgnade an uns über die Maßen wertvoll ist und ohne Ein­schränkung gilt. Wer davon ausgeht, der kann in froher Heils­gewissheit nach­sprechen, was ihm Gottes Wort vorspricht – im letzten Satz unseres Predigt­textes: „Wir aber sind nicht von denen, die zurück­weichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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