Teilhaber am Evangelium

Predigt über 1. Korinther 9,16‑23 zum 2. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich fange heute mal von hinten an, vom letzten Satz unseres Predigt­textes. Da schreibt der Apostel Paulus: „Alles tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teil­zuhaben.“ Wörtlich steht da: „… um sein Teilhaber zu werden.“ Was ist das – ein Teilhaber des Evan­geliums? Das Evangelium ist eine Botschaft, eine gute Botschaft, Gottes gute Botschaft, die beste Botschaft der Welt! Diese Botschaft lautet: Gott hat dich lieb, und wenn du zu Jesus gehörst, dann gehörst du für immer zu Gott, ganz gleich wer du bist und wie gut du bist. Nun kann man in zweierlei Hinsicht an dieser Botschaft teilhaben: erstens passiv, zweitens aktiv. Passiv kann man am Evangelium teilhaben, indem man diese Botschaf hört und glaubt. Man hat dann mit dieser Botschaft das, was sie verspricht, nämlich Gemein­schaft mit Gott und ewiges Leben. Aktiv kann man am Evangelium teilhaben, indem man mithilft, diese Botschaft zu verbreiten und anderen von Jesus Gottes Liebe weiter­zusagen.

Der Apostel Paulus verstand sich als Teilhaber des Evangeliums in beiderlei Hinsicht. Jesus war in sein Leben getreten, er hatte sich taufen lassen und lebte in der Gewissheit, dass ihn nichts „scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“, nicht einmal der Tod (Römer 8,39); insofern war er ein passiver Teilhaber am Evangelium. Zugleich aber setzte er sich wie kaum ein Zweiter für die Ausbreitung des Evangeliums ein, unternahm Missions­reisen und gründete neue christliche Gemeinden; insofern war er auch ein aktiver Teilhaber am Evangelium.

Grund­sätzlich gilt das für alle Christen: Wir alle sind sowohl passive als auch aktive Teilhaber am Evangelium. Wir sind getauft, wir hören und glauben Gottes gute Botschaft, wir lassen uns mit ewigem Leben beschenken. Zugleich sind wir aber dazu aufgerufen, bei der Ausbreitung von Gottes froher Botschaft mit­zuhelfen, jeder nach seinen Gaben und Möglich­keiten. Teilhabe am Evangelium, das ist das Wesen des Christ­seins: empfangen und weiter­geben, hören und reden, sich von Gott helfen lassen und anderen helfen. Teilhabe am Evangelium ist Maria-Sein und Marta-Sein; es ist wie einatmen und ausatmen.

Was wir im Predigttext über die Teilhabe des Apostels Paulus am Evangelium lesen, bezieht sich vor allem auf die aktive Seite, also auf das Weitergeben der Frohen Botschaft. Deshalb sind diese Worte besonders interessant und wichtig für Pastoren und andere Mitarbeiter der Kirche. Aber wir haben ja gesehen: Im weiteren Sinne sind alle Christen kirchliche Mit­arbeiter, gerufen und gesandt zur Ausbreitung des Evan­geliums, durch das ihnen zugleich auch selbst geholfen wird. Darum lasst uns diese Worte jetzt als Gottes Mitarbeiter hören.

Zunächst gibt Paulus Rechen­schaft darüber, warum er das Evangelium verkündigt. Er tut es nicht in erster Linie aus Neigung oder aus ver­nünftigen Über­legungen heraus, sondern er tut es aus Pflicht­gefühl. Jesus selbst hat ihn als Apostel dazu ver­pflichtet, sein Bote zu sein. Als guter Theologe kannte Paulus die Geschichte mit Jona und wusste daher: Weglaufen ist zwecklos; Gottes Auftrag kann man nicht entrinnen. „Mir ist das Amt an­vertraut“, sagt Paulus, und: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“ Das gilt für alle Pastoren, denen das Predigtamt anvertraut ist: Wehe, wenn sie das das Evangelium nicht predigen! Zwar haben sie dieses Amt nicht in einer direkten per­sönlichen Begegnung mit Jesus Christus anvertraut bekommen; das unter­scheidet sie von Paulus und den anderen Aposteln. Aber der Auftrag und das Amt gelten für sie genauso ver­bindlich. Ein schreck­liches Gericht wartet auf jene Pastoren, die eine andere Botschaft verkündigen als das Evangelium von Jesus Christus, oder die sich in anderen Aktivitäten verlieren, oder die den Dienst am Wort aus Faulheit ver­nachlässi­gen. „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“

Diese göttliche Inpflicht­nahme bedeutet aber nicht auto­matisch, dass das Predigtamt haupt­beruflich ausgeübt wird. Der Eindruck kann ja heutzutage leicht entstehen, weil die Pastoren Angestellte der Kirche sind, die übrigen Mitarbeiter dagegen sind ehren­amtlich tätig. Paulus selbst ist ein Gegen­beispiel: Er hat zwar das Predigtamt aufgetragen bekommen, aber er lebt nicht davon. Zwar könnte er davon leben, er spricht ja hier aus­drücklich von einem „Recht am Evangelium“ und betont auch in anderen Briefen mehrfach, dass die Gemeinden für den Unterhalt ihrer Hirten aufkommen sollen. Aber für sich selbst verzichtete Paulus auf eine Besoldung. Das war seine besondere Genugtuung, daran hatte er Freude, „dass ich“, so schreibt er, „von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache“. Wir wissen, dass Paulus sich seinen Lebens­unterhalt mit dem Handwerk eines Zeltmachers verdiente. So kann man sagen, dass Paulus ehren­amtlich tätig war. Damit ist Paulus ein Vorbild sowohl für haupt­amtliche Pastoren als auch für ehren­amtliche kirchliche Mit­arbeiter. Den Pastoren führt er als Be­auftragten Gottes den Ernst ihrer Ver­pflichtung vor Augen: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“ Die anderen kirchlichen Mitarbeiter haben zwar nicht diesen direkten Ver­kündigungs­auftrag, wohl aber sollen sie mit ihren Gaben und Möglich­keiten in der christ­lichen Gemeinde dazu beitragen, dass die Botschaft des Evangeliums sich weiter ausbreitet. Nach dem Vorbild des Paulus können sie es fröhlich tun auch dann, wenn es keine materiellen Vorteile bringt, wenn es sich nicht „auszahlt“. Denn der Lohn für jede aktive Teilhabe am Evangelium ist ganz einfach das Vorrecht, in Gottes Reich mitarbeiten zu dürfen – so wie Wilhelm Löhe es im Gelöbnis der Neuen­dettelsauer Diakonissen für den Bereich der Diakonie formuliert hat: „Ich diene nicht um Lohn noch Dank, sondern aus Dank und Liebe. Mein Lohn ist, dass ich darf.“

Nachdem Paulus sich darüber verbreitet hat, warum er das Evangelium predigt, geht er darauf ein wie er es tut. Da erfahren wir zunächst einen Grundsatz seiner Ver­kündigungs­weise. Paulus schreibt: „Obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht.“ Frei ist Paulus von den Erwartungen seiner Hörer. Weil er für seinen Dienst kein Geld nimmt, kann niemand erwarten, er müsse das Evangelium auf eine Art und Weise ver­kündigen, die den Geldgebern gefällt. Wie er sich kleidet, welche Lieder er singen lässt, auf welcher Sprachebene er sich bewegt, welchen Lebensstil er pflegt, an welchen Sitten und Gebräuchen er festhält – all das könnte er völlig unabhängig selbst ent­scheiden, weil er ja von niemandem abhängig ist. Aber er weiß: Diese Haltung wäre dem Evangelium nicht angemessen. Zwar schenkt das Evangelium einem Menschen größt­mögliche Freiheit und Unabhängig­keit, zugleich aber lehrt das Evangelium zu lieben. Der Liebe aber ist der Nächste keineswegs egal. Die Liebe fragt durchaus danach, was den Nächsten ärgert oder freut, was ihn gewinnt oder abstößt, was auf ihn Bezug nimmt oder an ihm vorbei geht. Darum: Wer das Evangelium erkannt hat, der ist zwar frei, nutzt aber diese Freiheit gerade dazu, sich dem Nächsten anzupassen, sich ihm zu unterwerfen und zum Knecht zu machen. Das meinte Paulus, als er schrieb: „Obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht.“ Martin Luther hat diesen Satz zum Leit­gedanken seiner Reformations­schrift „Von der Freiheit eines Christen­menschen“ gemacht. Er entfaltete darin folgende beiden Sätze: „Der Christ ist völlig freier Herr über alles und niemandem untertan. Der Christ ist ein allen völlig dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Auch in diesem seinem Verständnis der christ­lichen Freiheit ist Paulus vorbild­lich, und das nicht nur für Luther und die Christen des 16. Jahr­hunderts, sondern auch für uns. Teilhabe am Evangelium bedeutet, diese Freiheit in der Liebe zu leben und auf diese Weise mit­zuhelfen, dass sich die frohe Botschaft weiter ausbreitet.

Was bedeutet das nun aber praktisch? Bei Paulus folgen die berühmten Sätze, dass er allen alles geworden ist, um Menschen für das Evangelium zu gewinnen: den Juden ein Jude, denen unter dem Gesetz einer unter dem Gesetz, denen ohne Gesetz einer ohne Gesetz und den Schwachen ein Schwacher. Zum Beispiel hat Paulus nach der dritten Missionsreise mit vollem jüdischen Ritual ein Nasiräer-Gelübde auf sich genommen, um den Juden damit zu zeigen: Seht her, ich selbst bin ein frommer Jude, und nichts liegt mir ferner als die alten Traditionen kaputt zu machen! Nur dass ich erkannt habe, dass Jesus von Nazareth der Erlöser ist, den alle Propheten voraus­gesagt haben.

Aus Liebe auf das Ausleben von Freiheit verzichten, um des Evangeliums willen sich anderen Menschen anpassen und ihr Knecht werden – leben auch wir so als Gottes Mit­arbeiter, ganz gleich, ob ehren­amtlich oder haupt­amtlich? Was könnte das denn bedeuten? Den Spät­aussiedlern ein Spät­aussiedler? Den Migranten ein Migrant? Den Kindern ein Kind? Den Ossis ein Ossi, den Wessis ein Wessi? Den Linken ein Linker, den Rechten ein Rechter? Den Alko­holikern ein Alko­holiker, den Drogen­abhängigen ein Drogen­abhängiger? Ist das nicht zu viel verlangt? Muss man sich da nicht zu sehr verbiegen? Und wird es da nicht auch gefährlich, weil man dann versucht ist, Gottes Gebote zu verletzen?

„Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette“, schreibt Paulus. Er meinte damit nicht, dass er sich auf Sünde und schlechte Lebensart eingelassen hat. Er meinte einfach, dass er sich auf die ver­schiedenen Menschen­gruppen eingestellt hat. Wohl bemerkt: Er selbst hat sich angepasst, die Botschaft hat er nicht angepasst, das Evangelium hat er nicht verändert, das ist ja von Gott vorgegeben – „wehe, wenn ich es nicht predige!“ Paulus hat sich aber die Mühe gemacht, fremde Gedanken zu denken, um fremden Köpfen das Evangelium nahe­zubringen. Er hat sich in seinem äußeren Auftreten bemüht, Barrieren abzubauen und Vertrauen zu wecken, damit sein Zeugnis gehört wird. Er hatte keine Berührungs­ängste und glich darin seinem Herrn, der ja auch keine Scheu hatte, bei Huren und Verbrechern zu Gast zu sein. Dieser Herr ist auch unser Herr. Und was das praktisch für uns bedeutet, das könnte man in 1001 Beispiele fassen. Vielleicht kann man kleinen Kindern die Liebe Gottes besser nahe­bringen, wenn man mit ihnen am Boden herum­krabbelt, als wenn man wie ein Turm vor ihnen steht. Vielleicht kann man bei älteren vornehmen Herr­schaften eher Gehör finden, wenn man sich einen Schlips umbindet. Und ganz bestimmt wird man das Vertrauen seiner Mitmenschen eher gewinnen, wenn man ihnen in ganz normalen und alltäg­lichen Dingen hilft. Das waren nur drei Beispiele, die übrigen 998 mögt ihr euch selbst ausdenken und – ganz wichtig! – das eine oder andere davon auch wirklich in die Tat umsetzen.

Liebe Teilhaber am Evangelium Jesu Christi, lasst euch nicht nur passiv von Gott beschenken, sondern tragt aktiv dazu bei, dass sein Evangeliums-Geschenk ganz viele Menschen erreicht! Tut es in aller Freiheit, aber auch in aller Liebe, die bereit ist, freiwillig zum Knecht des Nächsten zu werden und sich ihm anzupassen! Bleibt dran an der Mitarbeit, tut es gern! Euer Lohn ist, dass ihr dürft. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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