Philippus und Jakobus

Predigt über Johannes 14,8‑10 zum Tag der Apostel Philippus und Jakobus

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn man berühmter Männer oder Frauen gedenkt, dann erinnert man sich meistens an heraus­ragende Taten, die sie getan haben, oder an heraus­ragende Worte, die sie gesagt beziehungs­weise auf­geschrieben haben. Bei den Aposteln Philippus und Jakobus ist das anders, wie auch bei so manchem anderen Apostel. Die Bibel schweigt weitgehend über ihre Worte und Taten, wir wissen wenig Verläss­liches von ihnen. Selbst ihre Namen waren damals Allerwelts­namen: Es gab damals unzählige Jakobusse unter den Juden, und das ist auch nicht verwunder­lich, denn damit blieb der Name des Stammvaters Israel lebendig: Jakobus ist die lateinische Form von Jakob. Der Name Philippus war dagegen unter den Menschen des griechi­schen Kultur­kreises sehr verbreitet; er bedeutet „Pferde­freund“. Pferde­rennen sowie römische Wagenrennen waren damals im griechi­schen Kulturkreis so beliebt wie bei uns die Fußball-Bundesliga.

Philippus und Jakobus, zwei ganz gewöhnlich Namen, und eigentlich auch zwei ganz gewöhnliche Männer. Das Besondere an ihnen sind nicht heraus­ragende Worte oder Taten, die uns von ihnen bekannt wären, das Besondere ist die Tatsache, dass Jesus sie in den Zwölfer­kreis seiner Jünger hinein­genommen hat und dass sie in dieser Stellung dann vom Auf­erstandenen zu Aposteln gemacht worden sind, zu „Bot­schaftern“, wenn man den deutschen Begriff verwenden will. Sie wurden berufen, die frohe Botschaft von Jesus und von seiner Erlösungs­tat aus­zubreiten und damit den Grund zu legen für die christliche Kirche. Sie sind damit genauso wichtig wie die Kupplung zwischen einer Lokomotive und dem Eisenbahn­zug: Der Zug kann sich nur dann in Bewegung setzen, wenn er an die Lokomotive angekuppelt ist. Philippus, Jakobus und die anderen Apostel stellten im Auftrag Christi die Verbindung her zwischen der einmaligen Erlösungs­tat des Herrn am Kreuz und seinem fort­laufenden Erlösungs­handeln unter allen Völkern durch Evangeliums­predigt und Taufe. Das ist der Grund, warum wir das Andenken der Apostel bis heute hoch in Ehren halten.

Was Jakobus betrifft, so tragen gleich zwei Jünger aus dem Zwölfer­kreis diesen Namen; sie werden darum mit den Namens­zusätzen „der Ältere“ und „der Jüngere“ unter­schieden. Jakobus der Ältere war der Bruder des Apostels Johannes, ein Sohn des Zebedäus. Sein Gedenktag ist der 25. Juli. Heute, am 3. Mai, denken wir an Jakobus den Jüngeren, den Sohn des Alphäus und der Maria. Seine Mutter war auch eine Jüngerin Jesu. Sie war eine der Marias, die am Sterbetag des Herrn in der Nähe des Kreuzes gestanden und dann zwei Tage später frühmorgens sein Grab leer gefunden hatten. Ob dieser Jakobus wirklich jünger gewesen ist als der andere, wissen wir nicht genau; das Neue Testament nennt ihn aber „den kleinen Jakobus“ – vielleicht, weil er jünger war als der andere, vielleicht aber auch nur wegen seiner Körper­größe. In manchen alten Büchern kann man lesen, dieser sogenannte Jakobus der Jüngere sei später der Hauptpastor der Jerusalemer Urgemeinde geworden, von dem in der Apostel­geschichte und in den Paulus­briefen einiges steht und der auch den Jakobus­brief geschrieben hat. Heute wissen wir, dass dieser Jerusalemer Hauptpastor noch ein dritter Jakobus gewesen ist, nämlich der leibliche Bruder Jesu, der erst nach Ostern zum Glauben kam. So gedenken wir mit Jakobus des Jüngeren letztlich eines Mannes, über den wir kaum etwas wissen, der aber mit seinem Apostel­dienst dazu beigetragen hat, dass die frohe Botschaft von Jesus in die Welt und letztlich auch zu uns gekommen ist.

Über Philippus ist mehr bekannt. Auch ihn müssen wir von einem berühmten Namens­vetter in der Bibel unter­scheiden: Der Apostel Philippus ist nicht identisch mit dem Diakon Philippus, der zusammen mit sechs anderen Diakonen von der Jerusalemer Urgemeinde eingesetzt worden war, der dann später in Samarien Mission trieb und der den nord­afrikani­schen Kämmerer getauft hat. Nicht dieser Diakon Philippus, sondern der Apostel Philippus ist es, an den wir uns heute erinnern. Er gehörte zu den Jesus-Jüngern der ersten Stunde. Als Jesus noch ganz unbekannt war, als man noch nichts von seinen Wundertaten und seiner voll­mächtigen Predigt­weise wusste, da sagte Jesus zu Philippus: „Folge mir nach!“ Philippus hörte, glaubte und folgte. Und er brachte gleich noch einen weiteren Jünger mit, seinen Freund Nathanael.

Philippus stammte aus dem Ort Betsaida am Nordufer des Sees Genezareth. Als Jesus dort später einmal vor vielen Menschen lange gesprochen hatte und die Frage auftauchte, wo sie denn alle zu Abend essen könnten, da fragte Jesus den Philippus: „Wo können wir Brot kaufen für die vielen Leute?“ (Joh. 6,5). Philippus muss ein guter Kopfrechner gewesen sein und ein realisti­scher Mensch dazu, denn er antwortete: „Selbst wenn wir für 200 Silber­groschen Brot kaufen würden, bekäme jeder nur ein kleines Stück davon ab.“ Er wurde dann zusammen mit den anderen Jüngern Zeuge, wie Jesus mit nur fünf Broten und zwei Fischen über 5000 Männer satt bekam. So sah und erlebte er die göttliche Herrlich­keit des Messias, und er erlebte sie auch stell­vertretend für uns, denn nur durch das Zeugnis der Apostel wissen wir von diesem Wunder und von anderen Wundern des Herrn. Noch einmal: Das Besondere an den Aposteln ist ihre Kupplungs-Funktion zwischen Jesu Heilstaten damals und seinem Heils­handeln im Wort der Evangeliums heute.

Freilich mussten die Apostel erst lange bei Jesus in die Schule gehen, um richtig darauf vorbereitet zu sein. Sie sollten Augenzeugen vieler Wunder werden, vieler Heilungen, sogar einiger Toten­auferweckun­gen. Und sie sollten viele Predigten vom Reich Gottes hören und von der Liebe des himmlischen Vaters. Am Ende der Lehrzeit hat Jesus noch einmal lange mit den Aposteln geredet, mit den Zwölfen allein. Es war am Abend vor seinem Todestag, als er ihnen auch die Füße wusch und das Heilige Abendmahl einsetzte. Von diesem Lehr­gespräch berichtet unser Predigttext aus dem Johannes­evangelium. Jesus hatte gerade vom himmlischen Vater gesprochen und davon, dass er nun zu ihm geht und den Jüngern im Haus des Vaters Wohnungen vor­bereitet. In diesem Zusammen­hang betonte er, dass niemand Gott den Vater finden kann ohne ihn, den Sohn. Und in diesem Zusammen­hang hören wir von der Bitte des Apostels Philippus: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Jesus muss sich nach dieser Bitte gefühlt haben wie ein Lehrer, der seinen Schülern schon zwanzigmal dieselbe Sache erklärt hat und feststellen muss, dass sie es immer noch nicht kapiert haben. Leicht resigniert, aber mit viel Geduld und Liebe erwidert er: „So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater!“

Das ist die ent­scheidende Botschaft, die durch die Apostel von Jesus und von Gott zu uns gekommen ist: Wer Jesus findet, der findet den Vater im Himmel. Es ist eine Botschaft, die wir auf keinem anderen Weg bekommen können. Wenn wir nicht durch die Apostel wüssten, dass der einzige Weg zum himmlischen Vater über Jesus geht, dann wüssten wir es überhaupt nicht; unserem Verstand und unserer natürlichen Gottes­erkenntnis bleibt diese Einsicht nämlich verborgen.

Vielleicht kennt ihr die Geschichte vom Gott­schauen, die Leo Tolstoi auf­geschrieben hat. Auch da geht es um die Frage, wie man den himmlischen Vater erkennen kann. Ein König, erzählte Tolstoi, will Gott sehen und beauftragt alle Gelehrten des Landes, sie sollen ihm Gott zeigen. Als ihm niemand diesen Wunsch erfüllen kann, wird er sehr ärgerlich. Da tritt ein einfacher Hirte vor den König und sagt zu ihm: Komm heraus mit mir, ich will dir Gott zeigen! Der König geht mit dem Hirten ins Freie; die Sonne strahlt vom Himmel. Da sagt der Hirte zum König: Sieh dir die Sonne an! Der König erwidert: Willst, du dass ich blind werde? Niemand kann in die Sonne schauen, die ist viel zu hell. Da sagt der Hirte: Aber König, die Sonne ist doch nur ein Ding der Schöpfung Gottes, ein kleiner Abglanz seiner Herrlich­keit, ein winziges Fünkchen des göttlichen Feuers! Wenn dir schon die Sonne zu hell ist, um sie anzusehen, wie willst du mit deinen schwachen Augen dann Gott schauen? – So weit die Geschichte. Sie leuchtet im wahrsten Sinne des Wortes ein, sie entspricht unserem Verstand, unserer natürlichen Gottes­erkenntnis. Aber was Jesus den Aposteln anvertraut hat und was die dann weiter­gesagt haben, das geht darüber hinaus. Wie sagte doch Jesus zu Philippus? „Wer mich sieht, der sieht den Vater!“ In Jesus hat Gott eine Gestalt angenommen, die von uns angeschaut werden kann, ohne dass das Feuer der göttlichen Herrlich­keit uns Sünder verzehrt. In Jesus erblicken wir Gottes Liebe und Barmherzig­keit. In Jesus erblicken wir den Gott, der zu uns herabkommt, um uns zu dienen und zu helfen, um uns zu heilen und zu trösten. In Jesus, lehrte Martin Luther, haben wir es nicht mehr mit einem verborgenen Gott zu tun, sondern mit dem offenbaren Gott. Nur in Jesus wird er uns offenbar, nur in Jesus bekommen wir Gewissheit über sein wahres Wesen und darüber, dass seine Liebe und seine Gnade das letzte Wort behalten.

Wenn wir also an Philippus und die anderen Apostel denken, dann wollen wir uns besonders auf ihre Kupplungs­funktion besinnen, auf ihre Verbindungs­funktion zwischen Christus damals und uns Christen heute. Mit Philippus und den anderen Aposteln gehen wir bei Jesus in die Schule, kommen mit unseren Fragen und Zweifeln und gestehen ein, dass wir immer noch vieles nicht verstanden haben, obwohl wir nun schon so lange bei ihm in die Schule gehen. Mit Philippus bitten wir Jesus: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Durch Philippus und die anderen Apostel ist dann die Antwort des Herrn zu uns gekommen, eine Antwort, die wir exklusiv nur im Apostelwort und in der Heiligen Schrift finden: „Wer micht sieht, der sieht den Vater“; und: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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