Warum ich Mose beneide

Predigt über 2. Mose 33,7‑11 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich beneide Mose um seine Stifts­hütte. Es war übrigens noch nicht die eigentliche Stiftshütte mit der Bundeslade; es war noch nicht das Zelt­heiligtum, das dann später mitten im Lager der Israeliten errichtet wurde am Berg Sinai. Nein, es war ein einfaches Nomanden­zelt, das Mose außerhalb des Lagers aufgestellt hatte, weit ab vom Schuss. Ich beneide Mose um dieses stille Plätzchen, wo er sich zurück­ziehen konnte, um mit Gott allein zu sein. Da hörte er nicht das Schreien der Kinder. Der merkte er nichts vom all­täglichen Streit um das kostbare Trink­wasser. Da sah er nicht die hohl­wangigen Alten und Kranken. Da wurde er nicht von allen Seiten an­gesprochen mit tausend Anliegen der Menschen, die er führen sollte, mit einigen wichtigen und tausend unwichtigen Dingen. Da klingelte kein Telefon, da steckten keine Rechnungen im Brief­kasten, da brauchten keine E-Mails abgerufen zu werden. Ja, ich beneide Mose um diese kleine Oase der Ruhe.

Und ich beneide Mose darum, dass er Gott treffen konnte, so wie man einen Freund trifft. Er konnte ganz gewiss sein, dass Gott bei ihm ist, dort in dieser ersten Stifts­hütte, in dem Nomadenzelt außerhalb des Lagers. Es gab dafür ja ein deutliches und wunderbares Zeichen: Die Wolken­säule, die das Volk Israel durch die Wüste führte, stand immer dann über dem Eingang des Zeltes, wenn Mose sich dort aufhielt – die Wolke, Sinnbild der Gegenwart Gottes. Ehrfürchtig verneigten sich alle Israeliten vor dieser Wolke, denn alle wussten: Da ist jetzt Gott, da redet er mit Mose, so wie ein Mann mit seinem besten Freund redet.

Ja, darum beneide ich Mose am aller­meisten: dass Mose dort in der alten Stiftshütte ganz ungestört mit Gott reden konnte. In unserem Bibeltext heißt es: „Der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet.“ Vor diesem Freund brauchte er sich nicht zu verstellen. Er konnte Gott sein Herz aus­schütten. Er konnte über all das klagen, was ihn in seinem schweren Amt und auch persönlich belastete. Er brauchte nicht so zu tun, als hätte er alles unter Kontrolle. Er konnte sogar seine Fehler beim Namen nennen – nicht nur die falschen Ent­scheidungen, die er gefällt, und die falschen Ratschläge, die er gegeben hatte, sondern auch alle bösen Gedanken, alle ego­istischen Taten, alle Sünde. Er wusste, Gott hörte ihm geduldig zu, und auch verständnis­voll. Er wusste, Gott würde nichts davon weiter­tratschen, würde nicht darüber lachen oder ihn bei anderen an­schwärzen, Gott war ver­schwiegen.

Und Gott wusste Abhilfe. Gott war barmherzig und liebevoll. Auf einen solchen Freund konnte man sich verlassen, der ließ einen nicht im Stich. Bei Gott brauchte Mose keine Angst zu haben, um etwas zu bitten, weder etwas Großes noch etwas Kleines. Er brauchte keine Angst zu haben, dass eine kleine Bitte Gott belästigte oder dass eine große Bitte die Freund­schaft über die Maßen belastete. Mose wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, ständig um Hilfe gebeten zu werden; das war manchmal ganz schön lästig. Aber am meisten bedrückte es ihn, wenn er anderen helfen wollte und nicht konnte. Wieviele ungelöste Probleme trug er da mit sich herum: Krank­heiten, Familien­streitig­keiten, Sorgen um das tägliche Brot, Angst vor Feinden, Todesangst – gern hätte er allen geholfen, aber in vielen Fällen fehlten ihm einfach die Zeit und die Mittel dazu. Wie gut, dass er auch all das seinem besten Freund sagen konnte, seinem Gott, der im Zelt auf ihn wartete. Der konnte und wollte all diesen Menschen helfen, der trug das ganze riesige Volk auf seinem göttlichen Herzen.

Aber Mose hatte ja nicht nur sorgenvolle Tage, sondern auch freuden­volle, wunder­volle. Was hatte er mit seinem Gott nicht alles Großes und Schönes erlebt: Sieg über die Feinde, Brot und Fleisch in der Wüste, herrliche Feste, dankbare Menschen, treue Helfer! Auch das sagte er Gott, und er tat es mit dankbaren Herzen. Wie schön, wenn man einen Freund hat, mit dem man alle Freuden teilen kann! Einen, der aufmerksam zuhört und der sich dann aus ganzem Herzen mitfreut! Ach, wie beneide ich Mose um diese kostbaren Stunden mit Gott in der Stifts­hütte!

Liebe Gemeinde, ich weiß, ich sollte Mose nicht beneiden. Denn im Ganzen gesehen hat er's ja viel schwerer gehabt im Leben als ich. Und überhaupt: Man sollte andere lieber nicht beneiden; Neid ist nichts Gutes, er verbittert, er vergiftet das Herz.

Aber ich brauche Mose auch gar nicht nicht beneiden. Kein Christ braucht Mose zu beneiden um die Zeiten in der Stiftshütte unter der Wolken­säule, als er mit Gott reden durfte wie mit einem Freund. Denn Jesus hat uns ja mit Gott versöhnt, er hat uns durch seine Erlösung dem All­mächtigen im Himmel so nahe gebracht, wie wir keinem mensch­lichen Freund jemals nahe sein können. Ja, durch Jesus begegnet uns Gott als unser väterlicher Freund, als unser lieber Papa. Und „Vater“ dürfen wir ihn wirklich nennen, sogar „Papa“, wenn wir das wollen, wie der Apostel Paulus es uns vor­gesprochen hat: „Abba, lieber Vater“ (Römer 8,15). Wir brauchen Mose auch nicht um sein einsames Zelt zu beneiden, denn auch wir dürfen uns für Gott Auszeiten nehmen aus unserem Alltags­trott, ja, wir sollen es sogar tun. Jesus hat seinen Jüngern aus­drücklich geboten: „Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater“ (Matth. 6,6). Wir brauchen Mose auch nicht um die Wolkensäule zu beneiden, denn uns hat Gott ebenfalls wunderbare Zeichen seiner Gegenwart geschenkt: Wir sind getauft, das ist eine objektive Tatsache. Wir haben sein Wort, die klare Botschaft seiner Apostel und Propheten, schwarz auf weiß zwischen den Deckeln unserer Bibeln. Wir haben das Heilige Abendmahl, Christi Leib und Blut unter Brot und Wein, die wir sehen, fühlen und schmecken können. Und wir brauchen Mose auch nicht um seine Gespräche mit Gott zu beneiden, denn wir dürfen genauso vertrauens­voll mit ihm reden. Wir dürfen all unsere Sünden- und Sorgen­lasten vor ihm ausschütten und gewiss sein: Er lacht nicht darüber, er schimpft nicht darüber, er tratscht nichts weiter, sondern er hilft, wie eben nur der Vater im Himmel helfen kann. Auch all die vielen Menschen um uns herum, die uns Sorgen machen und denen wir mit unserer mensch­lichen Kraft nicht helfen können, die können wir im Gebet vor Gott bringen und wissen: Da sind all diese Sorgen gut aufgehoben; da ist Hilfe und Heil. Und schließlich können wir auch vor Dank und Freude über­sprudeln bei Gott für all die vielen guten Dinge, die er uns immer wieder erleben lässt. Danke, Papa! Lob und Dank dir, lieber väterlicher Freund im Himmel! Danke, dass wir es genauso gut haben wie Mose in seinem heiligen Zelt – durch unsern Herrn Jesus Christus! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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