Hat Gott mich vergessen?

Predigt über Jesaja 40,26‑29 zum Konfirmationsgedenken

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, besonders ihr lieben Gold­konfirman­den!

Wer vor fünfzig Jahren konfirmiert wurde, der hat schon einen ziemlich langen Weg durchs Leben hinter sich. Und jeder ist unverwechsel­bar seinen eigenen Weg gegangen, hat seine eigene persönliche Ent­wicklung. Da sind die ver­schiedenen Eltern­häuser, in denen ihr auf­gewachsen seid. Da habt ihr ver­schiedene Berufe erlernt. Da sind einige immer hier in der Gegend geblieben, andere hat es in andere Gebiete Deutsch­lands geführt. Da gibt es gelungene, aber auch ge­scheiterte Beziehungen zu anderen Menschen auf dem Lebensweg. Da gibt es Erfolge und Miss­erfolge, da gibt es Zeiten des Mangels und Zeiten des guten Auskommens. Und für einen von denen, die vor fünfzig Jahren in dieser Kirche konfirmiert wurden, ist die irdische Lebensreise bereits zuende gegangen.

Doch gibt es auch eine Reihe von Gemeinsam­keiten auf euren Lebens­wegen: Ihr Gold­konfirmanden habt alle eure Kindheit im Nachkriegs-Deutschland und in der Anfangszeit der DDR verbracht; das hat euch fürs Leben geprägt. Und was euren Weg als Christen und Gemeinde­glieder anbetrifft, gibt es sogar große Über­einstimmun­gen: Ihr seid als Säuglinge getauft und von frommen Eltern erzogen worden. Ihr seid in der alt­lutherischen Kirche auf­gewachsen, kennt ihre Gottes­dienste von klein auf, musstet im Konfirmanden­unterricht sehr viel lernen (besonders auch auswendig) und habt euch dann einsegnen lassen. Euer Glaube hat dabei wahrschein­lich eine typische Entwicklung durch­gemacht: Vom einfältigen Kinder­glauben an den „lieben Gott“ bis hin zum gereiften und mündigen Bekenntnis bei der Konfir­mation. Sicher sind auch bei keinem von euch Zeiten der Anfechtung aus­geblieben – bei einigen vielleicht schon vor der Konfir­mation, bei allen aber bestimmt hinterher, im Erwachsenen­leben. Da wird es manche Ent­täuschung gegeben haben über Gebete, die scheinbar nicht gehört wurden, sowie über manches Unglück und manches Leid, wo ihr nicht verstehen konntet, warum Gott euch das zumutet. Solche An­fechtungen können so stark werden, dass man meint: Gott hat mich vergessen. Er kann mir nicht helfen, oder er will es nicht. Gott übersieht mich in meiner Not.

Was ein Mensch in seiner geistlichen Entwicklung im Lauf des Lebens erfährt, das kann mit dem Weg des Volkes Israel zu alt­testament­licher Zeit verglichen werden. Darum ist ja das Alte Testament auch für uns heute noch so wertvoll, und darum wird es uns auch von den Aposteln ans Herz gelegt mit dem Hinweis, dass die Berichte des Alten Testaments über Israel uns zum Vorbild auf­geschrieben worden sind. Ja, der Weg dieses Volkes ähnelt dem Weg eines einzelnen Menschen in seiner Beziehung zu Gott. In der Anfangszeit hatte Israel begeistert Gottes Ver­heißungen auf­genommen: In ein schönes Land sollten sie kommen, es sollte ihnen da gut gehen, aber die Gebote sollten sie halten. Mit kindlichem Glauben haben sie das angenommen, wobei freilich immer wieder dummer Ungehorsam dazwischen kam. Kindlich gestaunt haben die Israeliten über Gottes Wunder und über Gottes Macht: wie er sie aus der ägyptischen Sklaverei befreite und wie er sie trockenen Fußes durchs Schilfmeer führte und wie er ihnen Sieg über ihre Feinde schenkte. Dann aber, als das Volk im verheißenen Land sesshaft geworden war, da gab es ein ständiges Auf und Ab im Glaubens­leben. Da kam die Versuchung, fremden Göttern zu dienen, da gab es viel Not durch feindliche Nachbarn und Kriege, da war die Verführung zu Habgier und Ungerechtig­keit. Gott warnte und mahnte sein Volk immer wieder durch die Propheten, mutete ihnen schließlich auch großes Leid zu: Die Juden mussten fern der Heimat fremden Herren dienen in der Babylo­nischen Gefangen­schaft; das war eine Zeit großer Anfechtung. Da dachten sie: Nun hat Gott uns endgültig verlassen; er kann uns nicht mehr helfen, oder er will es nicht mehr. Gott übersieht uns jetzt in unserer Not. Es ist so wie mit einem Menschen, der als Kind einfältig glaubt, als Jugend­licher dem Herrn die Treue verspricht und dann als Erwachsener unter Anfechtung und Leiden den Glauben zu verlieren droht. Dieser Generation Israels galt ur­sprünglich das Wort des Propheten Jesaja, das wir als Preigttext gehört haben. Der Prophet gibt darin die Stimmung des Gottesvolks mit folgenden Worten wieder: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber.“ Ja, so dachten die Juden: Gott sieht uns nicht mehr, er kümmert sich nicht mehr um uns. Es ist ihm egal, wenn wir jetzt unterdrückt und ungerecht behandelt werden.

Aber nun lasst uns besonders darauf achten, was Gott durch den Propheten Jesaja darauf antwortet. Diese Antwort ist ja nicht nur für die damalige Generation von Gottes Volk bestimmt, sondern diese Antwort gilt allen, die in ähnlicher Weise angefochten sind. Du, der du gerade solche Glaubens­probleme hast, lass dir diese Antwort gesagt sein! Wenn du aber gerade keine Glaubens­probleme hast, dann merke dir Gottes Antwort gut für Zeiten, wenn sie kommen könnten!

Jesaja fordert die An­gefochtenen auf, nach oben zu schauen: „Hebt eure Augen in die Höhe und seht!“ Er meint damit nicht ein ver­geistigtes Aufschauen zu Gott, sondern er meint damit einen Blick auf den nächtlichen Stern­himmel. Und er fährt fort: „Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.“ Ja, so einen großen Gott haben wir: Er hat all die Sterne am Himmel geschaffen, viele von ihnen größer als unsere Sonne. Zu diesem „Heer“ der Sterne gehören nicht nur die dreitausend Leucht­punkte, die wir mit bloßem Auge in einer klaren Nacht erkennen können, zu diesem „Heer“ gehören die etwa 300 Millarden Sterne unseres Milch­straßen­systems, darüber hinaus alle Sterne der anderen 50 Milliarden Galaxien. Gott hat sie alle gemacht, ein­schließlich aller roten Riesen, weißen Zwerge, schwarzen Löcher, Kometen, Planeten, Asteroiden, inter­stellarem Staub und was das sonst noch alles an bekannten und unbekannten Dingen im Kosmos herum­fliegt. Gott hat das nicht nur alles am Anfang geschaffen, sondern er hat es auch alles bis zum heutigen Tag unter Kontrolle, er kennt jeden einzelnen Stern ganz genau und sorgt dafür, dass er auf der vor­bestimmten Bahn bleibt. Um es noch einmal mit Jesajas Worten zu formu­lieren: „Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen.“ Genauso kannte er damals sein Volk Israel, kannte jeden Einzelnen, und kümmerte sich um ihn. Und genauso kennt er noch heute jeden einzelnen Menschen, kennt mich und dich, und kümmert sich um uns.

Freilich: Beweisen kann uns das niemand; wir können es ja nicht einmal begreifen, können es uns nicht vorstellen. Aber Gott erwartet auch gar nicht, dass wir seine Allmacht begreifen und seine Wege verstehen. Er möchte schlicht, dass wir hören, was er uns in seinem Wort sagt. Darum fordert Jesaja den An­gefochtenen auf: „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist un­ausforschlich.“ Ja, hören sollen wir, zuhören, hinhören auf Gottes Wort, das ist das Mittel gegen alle Zweifel und An­fechtungen, das sollen wir aller Ablenkung durch die Sorgen und Freuden unseres Erdenlebens entgegen­stellen. Hören sollen wir im biblischen Sinn; das schließt das Vertrauen und Gehorchen ein. Wenn Gott es so sagt, dann muss es so sein, auch wenn ich es nicht verstehe; darauf vertraue ich und danach richte ich mich in meinem Leben. Und damit ruft uns Gott zu nichts anderem auf als zu einer Rück­besinnung auf kindlichen Glauben, kindliches Vertrauen – so wie es bei euch Gold­konfirmanden und bei vielen anderen von uns in den ersten Lebens­jahren war.

Vielleicht habt ihr ja öfters diesen Klassiker unter den geistlichen Kinder­liedern gehört und mit­gesungen: „Weißt du, wieviel Sternlein stehen?“ Trotz seiner schlichten, kindlichen Sprache hat der Text ungeheuren Tiefgang, denn es steckt genau das darin, was Gott durch den Propheten Jesaja hier dem An­gefochtenen sagt, der meint, von Gott vergessen zu sein. In der letzten Strophe heißt es da: „Kennt auch dich und hat dich lieb.“ Lass es dir einfach gesagt sein: Du bist bei Gott nicht vergessen. Dein Weg ist ihm nicht verborgen; er weiß, welcher Weg für dich am besten ist, und führt dich diesen Weg. Das wird nicht immer ein leichter oder angenehmer Weg sein, aber es ist auf alle Fälle sein Weg mit dir, und wenn du dem Herrn vertraust, dann kommst du auf diesem Weg zum guten Ziel. Gott macht keine Fehler in seiner Weisheit und Allmacht. Und seine Absichten dir gegenüber sind die allerbesten – er kennt dich nicht nur, sondern er hat dich auch lieb.

Diese Liebe Gottes ist in seinem Sohn Jesus Christus auf einzig­artige Weise offenbar geworden. Um dieser Liebe willen zu dir persönlich ist er ans Kreuz gegangen; um dieser Liebe willen zu dir persönlich hat der himmlische Vater Jesus von den Toten auferweckt und ihn zum Herrn über alles eingesetzt. Die Propheten des Alten Testaments haben das vor­bereitend an­gekündigt. Auch in unserem Abschnitt klingt die frohe Botschaft von Jesus an, freilich sehr verborgen unter einem unschein­baren Wörtchen, dem Wörtchen „Recht“ nämlich. Es heißt, Gottes Volk befürchtet, dass Gottes „Recht“ an ihm „vorüber­geht“. In diesem alt­testament­liche Wort „Recht“ steckt das ganze Evangelium, wie Martin Luther zur Reformations­zeit es wieder neu entdeckt hat. Denn dieses „Recht“ besagt nicht, dass Gott jedem von uns das Verhalten belohnt oder bestraft nach dem strengen Maßstab seines Gesetzes. Dieses Recht ist das gerechte Leben des Herrn Jesus Christus und sein Gehorsam. Diese Gerechtig­keit Christi wird uns durch sein Opfer am Kreuz un­verdienter­maßen geschenkt – jedem, der glaubt! Das heißt: Auch wenn in deinem bisherigen Leben noch so viel schief gelaufen ist, auch wenn du noch so ein großer Sünder bist, Gott sieht dich an wie einen völlig Gerechten um Jesu Christi willen, das hat er dir in der Taufe zugeeignet und sagt es dir immer wieder neu zu durch sein Wort. Deswegen – und nur deswegen! – darfst du gewiss sein, dass Gott dich lieb hat und gut führt, auf einzig­artigen und manchmal ver­schlungenen Lebenswegen hin zu seinem groß­artigen, herrlichen Ziel. Er kann es und er will es; vertraue ihm einfach! Und wenn deinem Glauben unterwegs mal die Puste auszugehen droht, wenn du müde und schwach wirst, angefochten und verzagt bist, dann halte dich an die Zusage seines Wortes. Halte dich an den Trost der Bibel, halte dich an deinen Kon­firmations­spruch, halte dich auch an das Wort des Propheten Jesaja, das wir eben betrachtet haben und das in dem Satz gipfelt: „Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Un­vermögen­den.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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