Gottes Zorn

Predigt über Jeremia 15,11‑14 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute predige ich über ein Thema, über das kein Gottesbote gern predigt: über den Zorn Gottes. Aber es muss sein – die Bibel redet zu viel von Gottes Zorn, als dass man ihn ver­schweigen könnte. Der heutige Sonntag Judika, der fünfte Sonntag in der Passions­zeit, richtet in besonderer Weise unser Augenmerk auf dieses Thema. Freilich drückt mich die Last, von Gottes Zorn predigen zu müssen, nicht allzu hart, weil ich ja auch viel von Gottes Erbarmen predigen kann und nur hin und wieder etwas über seinen Zorn sagen muss. Der Prophet Jeremia hatte es da schwerer: Es war seine Lebens­aufgabe, Gottes Zorn zu ver­kündigen. Gott hatte ihm schon als jungen Mann diesen Auftrag erteilt, und dann musste er über vierzig Jahre lang dem Volk der Juden Gottes Straf­gerichte ankündigen. Als Gerichts­prediger Gottes musste Jeremia Un­verständnis, Spott, Anfeindung und Verfolgung erleiden; auch machte ihn der Auftrag sehr einsam. Jeremia ist unter diesem schweren göttlichen Auftrag beinahe innerlich zerbrochen. Noch heute können wir im Buch Jeremia seine er­schütternden Gebete nachlesen, mit denen er über die Last seines Amtes klagte. Unmittelbar vor unserem Predigttext steht so ein Klagegebet, in dem der Prophet sich wünscht, er wäre nie geboren.

Aber der Herr hat seinen Boten nie im Stich gelassen. Stets hat er seine Gebete beantwortet – so auch dieses Mal. Unser Predigttext ist Gottes Antwort auf die Klage des Propheten. Wenn wir diese Antwort näher betrachten, dann erkennen wir, dass sie aus zwei Teilen besteht: erstens ein Trostwort für den Propheten und alle Gottes­fürchtigen im Land, zweitens eine Bestätigung der Zornes­botschaft für das Volk. Wir wollen diese Gottesrede jetzt in umgekehrter Reihenfolge betrachten wegen des Themas der Predigt; also: zunächst das Zorneswort, dann das Trostwort.

Blicken wir zunächst auf den Hintergrund des Zornes­wortes. Das Volk, mit dem Gott am Berg Sinai seinen besonderen Bund geschlossen hatte, war immer wieder von ihm abgefallen und hatte sich in Sünden verstrickt. An erster Stelle sind da die Sünden gegen das erste Gebot zu nennen: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Jeremia selbst hatte erlebt, wie man im Jerusalemer Tempel ein Standbild für die Göttin Ischtar errichtete, eine heidnische Gottheit der Liebe und des Kampfes. Er musste erleben, wie zu Ehren dieses Götzen in Gottes heiligem Tempel wilde Orgien gefeiert wurden: Priester und männliche Tempel­besucher fielen über die jungen Frauen her, die sich da selbst als Götzenopfer anboten. Zwar hatten die König von Juda vereinzelt versucht, dieser Tempel­prostitution und dem Götzen­dienst Einhalt zu gebieten, jedoch ohne nachhaltige Wirkung. Gott selbst hatte sich diese und andere gräuliche Sünden lange Zeit geduldig angesehen, hatte auch immer wieder gewarnt durch sein Gesetz und seine Propheten. Nun aber war das Maß voll: Sein Strafurteil war be­schlossen, sein Zorn war nicht mehr auf­zuhalten. Genau das war Jeremias Botschaft, wie Gott sie ihm hier nochmals aus­drücklich bestätigte: „Es ist das Feuer meines Zorns über euch an­gezündet.“ Gottes Urteil war gefällt; Juda sollte die Quittung für seinen Abfall bekommen, sollte für seine Sünden teuer bezahlen. Gott ließ durch Jeremia ausrichten: „Ich will dein Gut und deine Schätze zum Raube geben als Lohn für alle deine Sünden, die du in deinem ganzen Gebiet begangen hast, und will dich zum Knecht deiner Feinde machen in einem Lande, das du nicht kennst.“ Damit ist Babylon gemeint, die damalige Weltmacht im Nordosten von Juda. So kündigte Gott an, was er ein paar Jahrzehnte später wahr machte: Das babylo­nische Heer eroberte Juda, raubte den Jerusalemer Tempel­schatz und alle Schätze des Landes, verwandelte die heilige Stadt in ein Trümmerfeld und ver­schleppte einen großen Teil der Bevölkerung zur Zwangs­arbeit nach Babylonien. Ja, dieses göttliche Zornes­gericht war zu Jeremias Zeiten bereits fest be­schlossen; der Prophet hatte es nicht anzudrohen, sondern einfach im Namen Gottes anzu­kündigen. Niemand sollte sich täuschen, weder die weltlich gesinnten Bürger des Landes noch die religiös gesinnnten. Die weltlich Gesinnten meinten nämlich, durch mili­tärische Stärke und eine geschickte Bündnis­politik die babylo­nische Gefahr aus dem Norden abwehren zu können. Denen sollte Jeremia im Namen Gottes sagen: „Kann man Eisen zerbrechen, Eisen und Kupfer aus dem Norden?“ Nein; nur ein Tongefäß kann man zerbrechen, indem man es auf den Boden wirft, aber keinen Eisentopf und keinen Kupfer­kessel; ebensowenig kann man die mili­tärische Macht der Babylonier aus dem Norden brechen. Die religiös Gesinnten aber hofften darauf, Gott werde schon noch im letzten Moment Hilfe und Sieg bringen, so wie er es in der Vergangen­heit oft getan hatte: bei Mose am Schilfmeer, bei Gideon gegen die Midianiter und bei David gegen Goliat und die anderen Philister. Ihnen sollte Jeremia deutlich machen, dass nun das Maß voll war und Gott jetzt nicht mehr auf der Seite Israels kämpfen würde, sondern auf der Seite der Feinde, um sein Straf­gericht zu voll­strecken.

Liebe Gemeinde, denke ja nicht, Gott hätte in unserer Zeit weniger Grund zum Zorn. Gott hat unser Volk reich gesegnet, wie Israel damals. Er lässt bei uns schon weit über 1000 Jahre lang sein Wort ver­kündigen. Seit 500 Jahren hat die Reformation das Evangelium von Jesus Christus wieder deutlich ins Bewusstsein gerückt. In allen Städten und vielen Dörfern stehen Kirchen, wo Sonntag für Sonntag gepredigt wird. Bibeln sind so billig, dass jeder sich eine leisten kann, ohne dass er dafür lange sparen muss. Und doch herrschten und herrschen in Deutschland gräuliche Sünden, nicht weniger schrecklich als zu Jeremias Zeit in Juda. Wir denken an das Morden und den national­sozialisti­schen Götzen­dienst des Dritten Reichs. Als dann der Zweite Weltkrieg kam, haben die weltlich Gesinnten bis zuletzt auf den Endsieg durch eine Wunderwaffe gehofft, und viele religiös Gesinnte haben für den Sieg gebetet. Aber Gott hat auf der Seite der Alliierten gekämpft und dem deutschen Volk einen Denkzettel gegeben: Die Städte wurden zu Trümmer­feldern, und viele Soldaten mussten elende Jahre in der Kriegs­gefangen­schaft verbringen, in der Fremde. Deutschland musste teuer bezahlen für seine Sünden. Ist es danach aber besser geworden? In der DDR breitete sich ein gottloser und menschen­verachtender Sozialismus aus, in der Bundes­republik wurden Wohlstand und Wirtschafts­wachstum zu neuen Götzen, denen man mehr huldigte als dem Schöpfer der Welt. Diesen Götzen dient man noch heute und hört immer weniger auf das, was Gottes Wort zu sagen hat. Mit unzähligen Ab­treibungen werden dem Götzen des Wohlstands und der Selbstver­wirklichung Menschen­opfer dar­gebracht. Die Ehe, von Gott als un­auflösliche Partner­schaft von Mann und Frau uns Menschen zugute ein­gerichtet, wird verachtet; Partner­wechsel nach Belieben, frei ausgelebte Sexualität und selbst­bewusst an die Öffentlich­keit tretende gleich­geschlecht­liche Partner­schaften greifen immer mehr um sich. Geld­verdienen und Geld­ausgeben machen für viele den Sinn des Lebens aus; alles andere muss sich diesem Götzen Mammon unterordnen. Egoismus und Neid zerstören die mit­menschliche Gemein­schaft auf allen Ebenen. All das sind Dinge, die Gott zornig machen.

Ja, kann denn Gott heute überhaupt noch zornig werden, in der Gnadenzeit des Neuen Bundes durch Jesus Christus? O ja, er kann. Auch das Neue Testament spricht un­geschminkt von Gottes Zorn, auch Jesus selbst hat darüber gesprochen und davor gewarnt. Wer seine Augen und Ohren nicht ver­schließt, kann überall in der Welt die Anzeichen von Gottes Zorn erkennen, das Wetter­leuchten seines Straf­gerichts über die Sünde. Wohl­bemerkt: das Wetter­leuchten, denn das schreck­liche Gewitter kommt jetzt noch nicht. Es ist aber mit Gewissheit an­gekündigt: Gott hat die Voll­streckung seines aufgespart bis zu seiner Endabrechnung, bis zum letzten Tag der Welt, bis zum Jüngsten Gericht – das ist die Straf­urteils klare Botschaft des Neuen Testaments. Nichts kann dieses Gericht noch verhindern; es ist bei Gott be­schlossen, diese Welt eines Tages zu vernichten. Es wäre unredlich, diese wichtige Botschaft aus Gottes Wort zu ver­schweigen; vielmehr muss ein Bote Gottes auch heute noch und heute wieder wie Jeremia predigen: „Das Feuer von Gottes Zorn ist über euch schon an­gezündet“, der Gerichtstag kommt – so sicher wie da Amen nach der Predigt.

Freilich muss der Gottesbote heute, der dies verkündigt, mit Un­verständnis, Ablehnung und Widerspruch rechnen, wie es schon bei Jeremia der Fall war. Denn auch heute gibt es wieder viele, die Gottes Zorn nicht wahrhaben wollen, sowohl weltlich Ein­gestellte als auch religiös Ein­gestellte. Die weltlich Ein­gestellten meinen heutzutage, dass Gott uns weder hilft noch straft, sondern dass wir Menschen die Probleme der Welt selbst in die Hand nehmen müssen. Sie sind zuversicht­lich, dass irgendwann einmal die Vernunft siegen und alles Böse überwinden werde. Die religiös Ein­gestellten denken, Gott kann nicht wirklich zornig sein, er muss ja doch letztlich immer Nachsicht üben und schließlich alle Menschen selig machen. Sie meinen, dass Gott zwar manchmal ermahnt und auch droht, wie Eltern oder Lehrer den Kindern drohen, aber dass dieses Drohen letztlich ohne Konse­quenzen bleibt – wie es ja auch bei vielen Eltern und Lehrern der Fall ist. Auf vielen Kanzeln wird darum viel von Gottes Liebe, aber nie von Gottes Zorn gepredigt, und in vielen christ­lichen Druck­erzeugnissen ist es ebenso. Dagegen steht die Botschaft des Jeremia, dagegeben steht die Bibel, dagegen steht Jesu Predigt, dagegen steht Gott selbst: „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was der Mensch sät das wird er ernten“ – so schrieb es der Apostel Paulus den Christen in Galatien (Gal. 6,11).

Liebe Gemeinde, wenn wir uns das richtig klar machen, dann kriegen wir einen großen Schreck über unsere Sünde und ihre Folgen. Denn dieselbe Sünde, die wir bei anderen vorfinden und kriti­sieren,die finden wir im Keim auch in unseren eigenen Herzen vor. Dieses Erschrecken vor Gottes Zorn ist nötig, es ist gut und heilsam. Denn es treibt uns zur Umkehr; es treibt uns dazu, Gott unsere Schuld zu bekennen und ihm im Gebet unsere Not zu klagen. Wenn wir dann wie Jeremia vor Gott unser wundes Herz aus­schütten, dann wollen wir auch hören, was Gott neben seinem Zorneswort an Trost zu sagen hat. Gott tröstete Jeremia mit den Worten: „Wohlan, ich will etliche von euch übrig lassen, denen es wieder wohlgehen soll, und will euch zu Hilfe kommen in der Not und Angst unter den Feinden.“ Es ist die Verheißung des sogenannten „heiligen Rests“, die wir sinngemäß bei allen Propheten des Alten Testaments finden. Es sind die, die weder weltlich noch religiös gesinnt sind, sondern die sich einfach nach Rettung sehnen angesichts des herauf­ziehenden Zorn­gerichts Gottes. Es sind die Gläubigen, die zwar ihre Sünde und Gottes Zorn wahrnehmen, die aber auf Hilfe und unverdiente Rettung hoffen. Es sind „etliche“, also nur wenige. Es sind die, die durch die enge Pforte zum Leben eingehen. Es sind die, die den schmalen Weg des Lebens find. Dieser schmale Weg aber heißt seit 2000 Jahre „Jesus Christus“. Wer Jesus vertraut, der muss zwar in dieser Welt unter den Anzeichen von Gottes Zorn leben und mit allen anderen Menschen darunter mitleiden. Aber er darf es in der Gewissheit tun, dass Gott ihn heraus­retten wird aus dem letzten Zorn, aus dem auf­gesparten Zorngericht am Jüngsten Tag. Denn dieses Zorngericht hat schon ein anderer für ihn auf sich genommen: Jesus selbst, als er rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matth. 27,46). Ja, wer zu diesem Jesus gehört und auf ihn sein Vertrauen setzt, der wird Gottes Hilfe erfahren in allem Bösen dieser Welt, der wird übrig­bleiben nach Gottes Zorn­gericht, der wird ewig selig werden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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