Die Versuchung zum Bösen

Predigt über Jakobus 1,13‑18 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Bereits in der Anfangszeit der christ­lichen Kirche gab es so ein laues und ab­gestandenes Christen­tum, das man auch heutzutage bei vielen Menschen antrifft. Sie halten sich für Christen, weil sie „an Gott glauben“, wie sie meinen – das heißt, weil sie davon ausgehen, dass es den Höchsten da irgendwo im Himmel gibt, und weil sie nichts gegen ihn haben. Manche von ihnen leben mit der Einbildung, sie tun Gott einen Gefallen mit diesen Glauben. Manche von ihnen meinen daher, Gott müsse bei ihren kleinen und mittel­großen Sünden beide Augen zudrücken. Und manche von ihnen meinen sogar, sie könnten und dürften Gott aus dieser Position heraus beurteilen; und sie machen Gott Vorwürfe für Leid und Unrecht in der Welt. Wie gesagt, solche Leute gab es schon in der Anfangszeit der christ­lichen Kirche, und besonders an ihre Adresse war der Jakobus­brief gerichtet; er ist daher auch heute wieder ein besonders aktuelles Buch der Bibel.

In unserem Abschnitt wendet Jakobus sich an diejenigen, die meinen, sie könnten und dürften Gott beurteilen. Er hat besonders solche vor Augen, die sagen: „Eigentlich kann ich gar nichts für meine Sünde, denn Gott selbst lässt ja zu, dass ich zur Sünde verführt werde. Wenn er wirklich wollte, dass ich nicht sündige, dann könnte er ja einfach aufhören, mich zu versuchen.“ Ein versteckter Vorwurf gegen Gott schwingt in diesen Worten mit, eine leise Anklage. Da antwortet Gott selbst durch seinen Apostel Jakobus: „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.“

Gott verleitet niemanden zur Sünde. Von Gott kommt überhaupt nichts Böses. Von Gott kann gar nichts Böses kommen, denn Gott ist vollkommen gut. Er kann gar nicht böse sein; er kann von nichts und niemandem zum Bösen verleitet werden. Gott kann alles, nur nicht böse sein. Das liegt daran, dass Gott selbst der Maßstab für das Gute ist. Was Gott sagt und tut, ist gut, weil es von Gott kommt – auch wenn wir nicht immer einsehen, dass es gut ist. Und was gegen Gott gerichtet ist, was nicht seinem Willen entspricht, das ist aus demselben Grund böse, auch wenn es uns noch so gut, angenehm und hilfreich erscheint. Gott ist gut, wie das Wort schon sagt, und darum verführt er niemanden zu Sünde.

Jetzt könnten wir allerdings etwas verwirrt fragen: Ja, warum sollen wir denn dann beten „Führe uns nicht in Versuchung“? Und wie ist die Sache mit Abraham uns Isaak zu verstehen – hat Gott den Abraham nicht mit dem Befehl versucht, dass Abraham seinen eigenen Sohn Isaak töten sollte? Und wie ist Sache mit David und seiner Volks­zählung zu verstehen und all die anderen Geschichten in der Bibel, wo aus­drücklich davon die Rede ist, dass Gott Menschen versuchte? Gottes Antwort in der Bibel lautet: Wir müssen zwei ver­schiedene Arten von Versuchung unter­scheiden, nämlich die Versuchung zum Guten und die Versuchung zum Bösen. Gott kann durchaus Menschen zum Guten versuchen – das heißt in so einer Weise, dass ihr Glaube auf die Probe gestellt wird. Gott will damit prüfen, ob sie ihrem Herrn und Schöpfer auch unter schwierigen Bedingungen vertrauen und gehorchen. So ein Glaubens­test war die Sache mit Abraham und Isaak – eine Feuerprobe, eine Versuchung zum Guten. Etwas ganz anderes ist die Versuchung zum Bösen. Sie ist der Versuch des Teufels, einen Menschen von Gott zu entfremden und ihn ins Vederben zu locken. Sogar bei Jesus hat er es versucht, als dieser menschliche Natur angenommen hatte; wir haben im heutigen Evangelium davon gehört. Wir sehen also, dass die beiden Arten von Versuchung völlig verschieden sind nach ihrem Urheber und ihrem Ziel: Die Versuchung zum Guten ist Gottes Versuchung mit dem Ziel, dass der Glaube stärker wird; die Versuchung zum Bösen ist des Teufels Versuchung mit dem Ziel, dass der Glaube kaputt geht. Von dieser Versuchung zum Bösen spricht Jakobus hier.

Für solche Versuchung zum Bösen soll nur ja niemand Gott ver­antwortlich machen. Denn das hieße ja, Gott für etwas ver­antwortlich zu machen, was mit unserer Sünde zu tun hat. Es hieße, die Weltordnung auf den Kopf zu stellen. Es hieße, den Sünder zum Richter zu machen und den Richter zum An­geklagten. Es hieße, den Schöpfer und sein Geschöpf zu ver­wechseln. Seht, genau das ist der Fehler jenes lauen und ab­gestandenen Christen­tums, gegen das der Jakobus­brief zu Felde zieht und gegen das wir auch heute noch zu Felde ziehen sollten. Denn der Spieß gehört umgedreht: Nicht wir haben Gott zu beurteilen und zu kriti­sieren, sondern Gott beurteilt uns und kritisiert uns.

Genau in diesem Sinne fährt Jakobus fort: „Ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“ Du selbst, Mensch, bist ver­suchlich; deine Begierden sind empfänglich für die Ver­lockungen des Teufels, mit denen er deinen Glauben und dein Leben kaputt machen will. Du kannst dich nicht heraus­reden; du kannst nicht von dir ablenken und Gott die Schuld geben; Gott durchschaut dich und zeigt dir, wer in Wahrheit ver­antwortlich ist für deine Sünde: kein anderer nämlich als du selber. Du begehrst dein Vergnügen und lässt dich dazu verführen, unangenehme Pflichten nur halbherzig zu tun. Du begehrst Macht und lässt dich dazu verführen, Schwächere zu unter­drücken. Du begehrst Besitz und lässt dich dazu verführen, dich mit unredlichen Mitteln zu bereichern. Du begehrst Liebe und lässt dich dazu verführen, sie von anderen ein­zufordern. Du begehrst deine Ruhe und lässt dich dazu verführen, Taten der Liebe an anderen zu versäumen.

Ja, deine eigene Begierde ist es, die dich zum Bösen verführt; Jakobus hat ganz recht. Und wer aufmerksam zuhört, der merkt, dass Jakobus die Begierde hier bildhaft mit einer leicht­lebigen Frau vergleicht, die einen Mann verführt. Die Begierde gleicht einer raffinierte Ver­führerin, nahezu un­wider­stehlich; und wenn man sich mit ihr eingelassen hat, dann wird sie schwanger. „Wenn die Gebierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde“, schreibt Jakobus, „die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“ Seht, da ist es wieder, das Ziel der Versuchung zum Bösen: Die Sünde siegt, der Glaube geht kaputt, das Leben geht verloren. „Der Sünde Sold ist der Tod“, so hat es auch der Apostel Paulus ge­schrieben.

Als nächstes kommt ein Warnwort: „Irrt euch nicht, meine lieben Brüder!“, schreibt Jakobus weiter – und meint natürlich ebenso die Schwestern im Glauben. Klar: Wir sollen uns nicht irren und meinen, Gott verführe uns zur Sünde und wir selbst seien dafür gar nicht ver­antwortlich. Wir sollen uns nicht irren und meinen, wir säßen auf dem Richter­stuhl und Gott auf der Anklage­bank; es ist umgekehrt. Und schließlich sollen wir uns auch nicht irren und meinen, wir könnten aus eigener Kraft mit der Versuchung zum Bösen fertig werden, die aus unserer Begierde erwächst. Das wäre ebenso dumm, wie wenn wir versuchen wollten, uns an den eigenen Haaren aus einem Sumpf zu ziehen, in dem wir stecken.

Auch dieser Irrtum war und ist leider weit verbreitet unter den Menschen, auch unter solchen, die sich Christen nennen. Ja, dieser Irrtum wird sogar von vielen Kanzeln gepredigt und in vielen frommen Blättchen nach­gedruckt. Da wird den Menschen zum Beispiel jetzt in der Fastenzeit weis­gemacht, durch sieben Wochen Verzicht auf bestimmtes Essen oder bestimmte Gewohn­heiten könne man die Sünde in den Griff bekommen und Gott näher­kommen. Nichts gegen das Fasten, nichts gegen das Verzichten, aber als Mittel der Selbst­erlösung taugen sie nichts. Ebensowenig wie Pilger­fahrten, Einkehr­tage, Medi­tationen, spirituelle Übungen oder einfach Selbst­disziplin. Das alles kann zwar gut sein, aber die Begierde und die Sünde bekommt man auf diese Weise garantiert nicht in den Griff, die sind einfach zu stark, wir selbst aber sind zu schwach.

„Irrt euch nicht, liebe Brüder“, bildet euch nicht ein, dass ihr euch selbst von der Macht der Sünde losreißen könntet! Das kann nur von außen kommen; das kann nur Gott tun. Er will es auch tun, und er tut es auch, denn er ist gut und will nicht, dass der Sünder stirbt, sondern dass er sich bekehrt und lebt. Ja, die gute Gabe der Erlösung von Sünden kommt von Gott. Auch wenn mancher das im Jakobus­brief nicht erwartet, er drückt diese Botschaft des Evangeliums ganz klar mit den folgenden Sätzen aus: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finster­nis.“ Jakobus redet hier von der guten Gabe der Erlösung, von der guten Gabe des Gottes­sohns, der vom Himmel gekommen und Fleisch geworden ist, um uns von der Macht der Sünde zu befreien. Jesus ist gekommen als Licht der Welt; sein Vater im Himmel wird hier deshalb „Vater des Lichts“ genannt. Und die Erlösung von der Macht der Sünde und des Todes, die Jesus am Kreuz erkämpft hat, ist einem jeden von uns feierlich übereignet worden in der Heiligen Taufe, dem Bad der Wieder­geburt. Jakobus schreibt: „Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe sein.“ Erstlinge sind solche Geschöpfe, die ganz und gar zu Gott gehören! Seht, nur so können wir erlöst werden vom Teufel und von der unseligen Macht unserer eigenen Begierden.

Bleibt am Ende freilich die Frage: Warum erlaubt Gott dem Teufel denn immer noch, uns zu versuchen? Warum müssen wir denn immer noch anfällig sein für die Versuchung zum Bösen aus unseren eigenen Begierden – jetzt, wo wir doch getauft sind, wo wir erlöst sind? Nun, wir wollen nicht wieder in denselben Fehler zurück­fallen, den wir am Anfang entlarvt haben, und Gott auf die Anklagebank setzen. Aber wenn wir die Frage bescheiden und demütig stellen und wirklich etwas dazulernen wollen, dann ergibt sich die Antwort aus dem letzten Teil des Predigt­textes: Wir müssen noch versuchbar sein, damit wir merken und lernen, dass wir uns nicht selbst erlösen können. Nur wenn wir die Macht der Versuchung zum Bösen schmecken und wenn wir erkennen, wie hilflos wir ihr aus­geliefert sind, nur dann nehmen wir wirklich Zuflucht zu Jesus Christus und seiner Erlösung, nur dann glauben wir wirklich. Und da öffnet sich unser Verständnis für ein Geheimnis, das nur ganz schwer zu fassen ist: Gott lässt die Versuchung zum Bösen immer noch zu als eine Versuchung zum Guten. Gott gibt dem Teufel und unseren Begierden noch Spielraum, damit wir an unserer eigenen Kraft verzweifeln und Zuflucht nehmen bei Jesus Christus im wahren Glauben. Wenn wir diesem Geheimnis auch nur ein wenig auf die Spur gekommen sind, dann wissen wir, was wir beten, wenn wir beten: „Führe uns nicht in Ver­suchung.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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