Wie wir Gottes Wort hören sollen

Predigt über Lukas 8,16‑18 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Wort unsers Herrn Jesus Christus, das wir eben gehört haben, ist Teil einer längeren Rede unsers Herrn. Ihr Thema: Gottes Wort. Der Abschnitt, der unserem Predigttext unmittelbar vorausgeht, ist das Evangelium vom vergangenen Sonntag. Mancher wird sich erinnern: Es handelt sich um das Gleichnis vom Sämann und seine Deutung, das Gleichnis vom Samen des Gottes­wortes, der auf vier ver­schiedene Arten von Ackerboden fällt. Jener Teil der Jesusrede handelt davon, wie Gottes Wort wirkt; dieser Teil, den wir heute betrachten, handelt davon, wie wir Gottes Wort hören sollen. Wir wollen ja gutes Land sein für den Samen des Gottes­wortes; wir wollen, dass dieser Same bei uns keimt, aufgeht, starke Wurzeln enwickelt und vielfältig Frucht bringt. Wir wollen, dass Gottes Wort in uns wirkt, sonst wären wir nicht hier. Und da bekommen wir von unserem Herrn und Meister den guten Rat: „Seht nun darauf, wie ihr zuhört!“ – Habt also acht darauf, wie ihr Gottes Wort aufnehmt! Dieser gute Rat ist der zentrale Satz in unserem Predigt­text. Das andere, das sich mehr oder weniger bildhaft darum herumrankt, bringt uns auf die Spur, wie denn das rechte Hören von Gottes Wort geschieht. Stellen wir uns also in dieser Predigt die Frage: Wie sollen wir Gottes Wort hören?

Mit unserem Predigttext möchte ich dreifach antworten: erstens aufmerksam, zweitens demütig, drittens vertrauens­voll – so sollen wir Gottes Wort hören!

Erstens aufmerksam. Wir sollen genau hinhören, genau auf Gottes Wort achten. Wir sollen es in unseren Herzen bewegen, darüber nachdenken, besonders auch seine Bedeutung für unser Leben bedenken. „Wer Ohren hat zu hören, der höre“, so sagte Jesus in demselben Rede­zusammenhang und auch sonst immer wieder. Wer Gottes Wort aufmerksam hören will, der muss sich von Vorurteilen befreien. Wer sich vom Bibeltext nur seine eigene Meinung bestätigen lassen will, der hört nicht aufmerksam zu, der missbraucht ihn als bloßen Gedanken­anstoß. Ebenso muss man sich von dem Vorurteil freimachen, nur Theologen könnten die Bibel richtig verstehen und die Nicht­theologen seien darauf angewiesen, dass die Theologen ihnen alles erklären. Die Bibel ist gar nicht in erster Linie für Theologen ge­schrieben, sondern für alle Christen, für ganz normale Leute also mit unter­schiedlicher Bildung. Unter den ersten Christen waren viele An­alphabeten sowie Sklaven ohne jegliche Schul­bildung. Auch sie konnten die Evangelien und die Apostel­briefe verstehen, wenn sie nur aufmerksam zuhörten. Dagegen kann den Theologen ihr Fachwissen zum Verhängnis werden; die Kenntnis vieler Kommentare und Lehr­meinungen kann ihnen den Blick verstellen für den einfachen, klaren Schrift­sinn. Und da kann sich dann der letzte Satz unseres Predigt­textes bewahr­heiten: „Wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er meint zu haben.“ Übertragen auf das vor­eingenommene Hören von Gottes Wort bedeutet das: Wer nicht aufmerksam auf den Wortlaut einer Bibelstelle achtet, der wird ihren Sinn nicht erfassen, auch wenn er sich einbildet zu wissen, was sie sagen will.

Nehmen wir zum Beispiel das Gleichnis am Anfang unseres Predigt­textes. Jesus sagte: „Niemand zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß oder setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, damit, wer hineingeht, das Licht sehe.“ Die Sache leuchtet dem auf­merksamen Hörer sofort ein: Natürlich, wenn es abends dunkel wurde, hat man in damaliger Zeit eine Öllampe angezündet und hat sie hoch­gestellt (oft auf ein besonderes Lampen­gestell, einen „Leuch­ter“); so konnte das Licht alles beleuchten. Es wäre dumm, die Lampe unter einem Tonkrug oder einem Möbelstück zu verstecken. Bei der Deutung dieser Geschichte könnte uns nun ein Vorurteil in die Quere kommen. Wer sich in der Bibel auskennt, der weiß, dass Jesus dieses Gleichnis auch in der Bergpredigt erzählt hat, im Zusammen­hang mit seinem berühmten Wort: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Matth. 5,14). Von daher stammt unser Sprichwort: „Man soll sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.“ Wer sich von diesem Vorwissen leiten lässt, ist versucht, das auf unseren Predigttext zu übertragen und zu sagen: Jesus fordert uns auch hier dazu auf, dass wir selbst wie Lichter in dieser Welt leuchten sollen. Wer aber aufmerksam ist und den Zusammen­hang beachtet, der merkt, dass das Gleichnis hier in unserem Text anders gedeutet werden muss (das kommt in der Bibel öfters vor, dass ein und dieselbe Gleichnis­geschichte in ver­schiedenen Zusammen­hängen ver­schiedene Bedeutungen hat). Hier redet Jesus ja von Gottes Wort, also steht das Licht nicht für uns selbst, sondern für Gottes Wort. Es ist dasselbe Bild wie in dem Psalmwort: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege“ (Psalm 119,105). Das Gleichnis bedeutet hier also: Wir Menschen sind das Haus; wir sind ja von Natur aus dunkel. Da kommt Gottes Wort als ein Licht in unser Lebenshaus, und wir tun gut daran, es auf einen Leuchter zu setzen, es hoch­zustellen, es hoch in Ehren zu halten, damit es jeden Winkel unseres Lebens­hauses hell macht. Jeder, der dieses Wort unsers Herrn aufmerksam und vorurteils­frei in seinem Zusammen­hang hört, wird diese Deutung heraus­finden, da braucht man kein Theologe zu sein und auch kein großes Vorwissen zu haben. Also: aufmerksam sollen wir auf Gottes Wort hören.

Zweitens sollen wir Gottes Wort demütig hören. Das Überwinden der eigenen Vorurteile ist ja bereits ein Stück Demut: Ich bilde mir nicht ein, dass ich sowieso schon weiß, wo es lang geht, sondern ich gebe zu, dass ich Orien­tierung nötig habe. Auch gebe ich zu, dass mein Lebenshaus ohne Gottes Wort ein dunkles Haus ist: dunkel durch die Sünde, dunkel durch meine Unkenntnis vieler Dinge. Ich gebe zu: Sehr vieles ist mir verborgen; ja, sehr vieles ist dem mensch­lichen Verstand grund­sätzlich verborgen. Jede menschliche Wissen­schaft sollte diese Demut haben, wie sie bei wirklich großen Wissen­schaftlern ja auch meistens anzutreffen ist – die demütige Erkenntnis: unser Wissen ist Stückwerk; trotz aller be­eindrucken­den Forschungs­ergebnisse bleibt vieles im Dunkeln. Die Bibel nennt diese Dinge, die dem mensch­lichen Entdecken und Verstehen verborgen bleiben, „Geheim­nisse“. Was zum Beispiel Engel sind, was nach dem Tod geschieht und wie Gott über uns denkt, das bleibt dem natürlichen Verstand verborgen, das sind Geheim­nisse. Das bedeutet freilich nicht, dass wir von diesen Dingen nichts wissen dürften. Gott macht um diese Geheimnisse keine Geheimnis­krämerei, sondern er hat sie uns Menschen offenbart – jedenfalls zum Teil. Es gehörte zum Auftrag unseres Herrn Jesus Christus in seinen Erdentagen, uns solche Geheimnisse zu offenbaren, und darum heißt es auch in unserem Predigt­text: „Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden soll, auch nichts geheim, was nicht bekannt werden und an den Tag kommen soll.“ Dies geschieht durch Gottes Wort: Gottes Wort offenbart uns Geheim­nisse, die unser mensch­licher Verstand niemals von sich aus erforschen könnte. Weil das so ist, sollen wir Gottes Wort demütig hören – als Menschen, die um ihr Unwissen wissen und denen neue Erkenntnis geschenkt wird. Wir sollen Gottes Wort hören wie Schüler, wie Jünger, wie Maria zu Jesu Füßen. „Rede, Herr, denn dein Knecht hört“ (1. Sam. 3,10) – das ist die rechte Art und Weise, Gottes Wort zu hören.

Zu den Geheim­nissen, die im Dunkeln bleiben würden, wenn Gott sie uns nicht offenbarte, gehört auch das eine große Geheimnis des Glaubens – also die Haupt­erkenntnis des christ­lichen Glaubens. Es ist die Tatsache, dass wir durch den Tod des Gottes­sohnes Vergebung der Sünden haben. Es ist die Tatsache, dass wir durch seine Auf­erstehung das ewige Leben haben. Diesem Geheimnis wollen wir in der bevor­stehenden Passions­zeit wieder besondere Aufmerksam­keit schenken. Dieses Evangelium, dieses Wort vom Kreuz muss freilich der mensch­lichen Vernunft töricht erscheinen. Wollen wir das Evangelium recht hören, das Geheimnis des Glaubens, dann müssen wir unser Denken „gefangen nehmen in den Gehorsam Christi“, wie es anderer Stelle in der Bibel heißt (1. Kor. 10,5). Wer nicht dazu bereit ist, sich vor Gottes Wort so zu demütigen, dem wird das Wort vom Kreuz fremd bleiben. Darum: demütig sollen wir Gottes Wort hören.

Und drittens sollen wir es vertrauens­voll hören. Wir sollen darauf vertrauen, dass Gottes Wort nicht trügen kann. Wir sollen vor allem auf das Geheimnis des Glaubens vertrauen: darauf, dass Christus für uns gestorben ist, dass er für uns auf­erstanden ist, dass wir durch ihn mit Gott versöhnt sind, dass wir durch ihn das ewige Leben erben. Gottes Geheimnisse kann man nur im Vertrauen annehmen, denn beweisen lässt sich nichts bei den Dingen, die unserem Verstand verborgen sind. Aber das Wunderbare an Gottes Wort ist nun, dass es seinerseits das Vertrauen schafft und stärkt. „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber aus dem Wort Christi“, lehrt uns der Römerbrief (Römer 10,17). Das Vertrauen, das wir Gottes Wort entgegen­bringen sollen, ist nichts anderes als der selig machende Glaube. Er ist die Frucht von Gottes Wort in unserem Herzen und zugleich die Voraus­setzung für das rechte Hören. Wir haben es hier mit einer sich gegenseitig ver­stärkenden Wechsel­wirkung zu tun: Gottes Wort schafft den Glauben, der Glaube wiederum empfängt Gottes Wort recht, das Wort wiederum stärkt den Glauben. Jesus hat es am Ende unseres Predigt­textes so be­schrieben: „Wer da hat, dem wird gegeben.“ Aber auch das Umgekehrte gilt: „Wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er meint zu haben.“ Da kenne ich leider nur allzu viele Leute, die den Glauben zu haben meinen und doch auf dem besten Wege sind, ihn gänzlich zu verlieren. Wenn ich Gemeinde­glieder besuche, die nicht zum Gottes­dienst kommen, dann sagen mir einige von ihnen: „Ich habe meinen Glauben!“ Sie meinen damit: „Ich weiß, dass es da einen Gott gibt, und ich habe mir meine Meinung über ihn zurecht­gelegt, damit bin ich zufrieden. Was soll ich da noch sein Wort hören, sein Sakrament empfangen, die Gemein­schaft der Mitchristen suchen?“ Wenn ich diese Leute dann frage, was sie denn glauben, dann bekomme ich als Antwort jedesmal irgend­welche ver­nünftigen mensch­lichen Gedanken über Gott zu hören, aber es ist nie das Geheimnis das Glaubens, es ist nie das Evangelium vom ge­kreuzigten und auf­erstandenen Herrn Jesus Christus, das uns die Heilige Schrift als Hauptinhalt des Glaubens vorlegt. „Wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er meint zu haben.“

Hüten wir uns vor solchem vermeint­lichen Glauben, der ohne Gottes Wort weiterleben will! Besser ist es, du kommst mit all deinen Zweifeln und An­fechtungen hier in den Gottes­dienst unter Gottes Wort, sagst: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ und lässt dir den Glauben stärken. Denn das wird Jesus zuverlässig tun, er hat's ver­sprochen. Achte nur darauf, was er dir ans Herz legt: „So seht nun darauf, wie ihr zuhört.“ Und wie sollen wir zuhören? Aufmerksam, demütig und vertrauens­voll. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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