Ein Besuch

Predigt über 1. Könige 10,1‑10.13 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele Menschen haben die Feiertage und die Ferien für Besuche genutzt. Manche haben weite Strecken zurück­gelegt, um Vewandte oder Freunde in der Ferne zu besuchen. Bei dem Besuch hat man dann viel geredet, mitunter schwer­wiegende Fragen und Probleme diskutiert. Man hat sich gegenseitig Komplimente gemacht: „Was hast du für eine schicke Frisur!“ Oder: „Ihr hat euch ja sehr geschmack­voll ein­gerichtet!“ Man hat miteinander gegessen; oft hat der Gastgeber weder Kosten noch Mühe gescheut, um seine Gäste königlich zu bewirten. Die Gäste ihrerseits haben Geschenke mit­gebracht, Blumen oder etwas anderes, und manchmal hat auch der Gastgeber die Besuchten beschenkt. Irgendwann hat man sich dann wieder herzlich ver­abschiedet. Warum besucht man sich eigentlich? Manche Besuche werden nur aus Pflicht­gefühl gemacht, weil die Verwandten das so erwarten und weil man nicht in ein schlechtes Licht geraten will. Manche Besuche werden aus Sympathie unternommen, oder gar aus Liebe: Man ist gern mit den Besuchten zusammen, man genießt die Gemein­schaft. Und dann gibt es auch noch Besuche, die aus Neugier gemacht werden. Man hat etwas über den Gastgeber gehört und will es nun persönlich sehen: Er oder sie hat einen neuen Partner, oder ein Kind ist geboren, oder eine neue Wohnung wurde bezogen, und man möchte sie gern sehen.

Von so einem Besuch aus Neugier handelt unser Predigt­text. Allerdings waren es keine gewöhn­lichen Leute, die sich da besuchten. Es handelte sich vielmehr um einen Staats­besuch: Ein Staats­oberhaupt besuchte das andere; die Königin von Saba besuchte den König von Israel, Salomo. Saba lag im Südwesten der arabischen Halbinsel, auf dem Gebiet des heutigen Staates Jemen. Saba liegt etwa 2000 Kilometer von Jerusalem entfernt; die Königin hatte also eine weite Anreise. Sie reiste nicht allein, sondern kam mit einem großen Gefolge und einer riesigen Kamel­karawane, beladen mit Schätzen ihres Landes. Zwischen Israel und Saba bestanden rege Handels­beziehun­gen. Aber Anlass für den Besuch war, wie gesagt, die Neugier. Die Königin von Saba hatte sehr viel von König Salomo gehört und wollte ihn gern persönlich kennen­lernen. Man hatte Salomos Weisheit in den höchsten Tönen gelobt, und die Königin, die selbst äußerst intelligent war, wollte gern mal die Probe aufs Exempel machen. Auch von Salomos Reichtum hatte man ihr vor­geschwärmt und von seinen vorbildlich auf­gestellten Hofbeamten; all das wollte sie mit eigenen Augen sehen. Wir müssen uns klar machen: Vor 3000 Jahren gab es noch keine Bilder oder Ton­dokumente, bestenfalls ein paar spärliche Schrift­stücke, vor allem aber die mündliche Erzählung, die aus fernen Ländern Kunde gab. Aber die war wenig zu­verlässig, denn in Reise­berichten wird bekanntlich übertrieben und stets nur die einseitige Sicht des Reisenden wieder­gegeben. Darum brannte die Königin darauf, sich selbst ein Bild zu machen. In Jerusalm wurde die Königin mit ihrem Hofstaat sehr freundlich empfangen, nach allen Regeln des königlichen Protokolls. Salomo nahm sich viel Zeit für sie. In langen Gesprächen konnte sie sich von seiner über­ragenden Weisheit überzeugen. Sie fragte ihn in mancher Angelegen­heit um Rat, bat um seine Meinung zu vielen rätsel­haften Fragen, und immer wusste der König von Israel klug zu zu antworten – Die Königin staunte nicht schlecht. Auch über seinen Reichtum staunte sie: Der Palast, die vornehm gekleidete Diener­schaft, die Möbel, die erlesenen Speisen bei Tisch… Ebenso staunte sie über sein Organi­sations­talent, wie er einen gut funktio­nierenden, effektiven Beamten­apparat aufgebaut hatte für Israel. Und schließlich staunte sie über Salomos großzügige Frömmig­keit, über die große Anzahl von Brand­opfern, die er ständig im Tempel darbringen ließ. Sie war ganz außer sich und sagte: „Siehe, nicht die Hälfte hat man mir gesagt!“ Die Reise­berichte, die sonst zur Über­treibung neigen, hatten in diesem Fall unter­trieben. Und nun ist es interessant zu hören, was die Königin dem König für ein Kompliment machte. Sie sagte ihm nämlich nicht, was er für ein toller König ist, sondern sie sagte: „Gelobt sei der Herr, dein Gott, der an dir Wohl­gefallen hat, sodass er dich auf den Thron Israels gesetzt hat!“ Wirklich, eine kluge Frau – da sollten sich heutige Staats­oberhäupter ein Beispiel nehmen! Sie erkannte an Salomos Weisheit und Reichtum, dass Gott ihn reich gesegnet hatte, und pries deshalb den Gott Israels. Und sie erkannte zugleich, dass Salomo sich dieses Wohl­gefallen Gottes nicht mit seiner Frömmigkeit und mit seiner staats­männischen Leistung erkauft hatte, sondern dass es allein an Gottes „Wohl­gefallen“ lag, an Gottes Liebe zu ihm und seinem Volk Israel. Salomos Wohlstand, das erkannte sie, war nicht Frucht und Erfolg seiner Mühe, sondern Gottes Gabe. Ein wirklich denk­würdiger Besuch! Auch das Austauschen von Geschenken fehlte nicht: Die Königin brachte große Mengen der Boden­schätze, die es in ihrem Land gab, Gold und Edelsteine. Die genannte Menge Gold – 120 Zentner – wäre heute viele Millionen Euro wert. Außerdem brachte sie „Spezerei“, also wertvolle Drogerie-Artikel, darunter vielleicht Weihrauch und Myrrhe. Auch Salomo ließ sich nicht lumpen: Er hatte eine ganze Reihe von Geschenken für die Königin von Saba vorbereiten lassen; außerdem durfte sie sich bei ihm aussuchen, was sie sonst noch gern mitnehmen wollte. Der Wert aller Gaben, die sie mit sich zurück nach Hause mitnahm, überstieg den Wert der hergebrachten Gaben. Das dürfte noch heute so sein bei manchem Enkel, der seine Großeltern zu Weihnachten besucht!

Es bleibt nun die Frage: Was hat die Geschichte vom Besuch der Königin von Saba bei Salomo in der Bibel zu suchen? Diese Frage ist fast so etwas wie eine Rätselfrage in der Art, wie sie die Königin dem König einst stellte, denn bei solchen Rätsel­fragen geht es darum, hinter einer erzählten Geschichte den tiefer verborgenen Sinn zu ergründen. Also: Was ist der tiefere Sinn dieser Geschichte vom Besuch der Königin von Saba bei Israels König Salomo?

Wir machen einen Sprung von tausend Jahren. Wieder handelt es sich um einen Besuch. Wieder sind es keine gewöhnlichen Leute, die sich da auf den Weg machen, sondern hoch­intelligente Wissen­schaftler, königliche Hof-Stern­deuter, vielleicht selbst von königlicher Herkunft. Diese Weisen oder gar Könige machen sich auf eine lange Besuchs­reise: Sie kommen aus dem Zwei­stromland im Mittleren Osten, und wieder ist Israel das Ziel. Auch sie kommen aus Neugier – aber die Kunde die sie neugierig machte, waren keine mensch­lichen Reise­berichte, sondern es war Gottes Botschaft, die sie aus der Stellung der Sterne ersehen konnten: Jupiter, der Stern des Welten­herrschers, und Saturn, der Stern der Juden, kamen im Sternbild der Fische so nah zusammen, dass sie wie ein einziger, besonders heller Stern aussahen. Da wurden die Sterndeuter neugierig. Sie folgten dem Stern und fanden schließlich einen Säugling mit Namen Jesus, einen Nachkommen des Königs Davids, freilich in sehr ärmlichen Verhält­nissen, in Bethlehem geboren. Reden konnten sie mit diesem neu geborene König noch nicht, und zu prüfen brauchten sie ihn nicht, denn Gott schenkte ihnen den Glauben, der sie erkennen ließ: In diesem Kind liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis; hier ist mehr als Salomo in all seiner Macht, Pracht und Weisheit. Auch merkten sie, welche Art von „Kompli­ment“ sie diesem König schuldig waren: Sie fielen vor ihm auf die Knie und beteten ihn an. Geschenke hatten sie ebenfalls mit­gebracht, wertvolle Gast­geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe – wie die Königin von Saba! Bekamen auch sie ein Geschenk? Ja, das wertvollste Geschenk, das es gibt; ein Geschenk, das an Wert ihre Gaben unendlich übertraf: Der neu geborene König selbst war ihr Geschenk. Er war gekommen, um sie zu erlösen – nicht nur sein Volk Israel, sondern alle Menschen der Welt und darum eben auch diese Weisen aus dem Morgenland, die da bei ihm zu Besuch waren. Und nun erkennen wir deutlich den tieferen Sinn der Geschichte des Besuchs der Königin von Saba bei Salomo: König Salomo, der direkte und leibliche Sohn Davids, ist ein lebendiges pro­phetisches Vorzeichen für den einen Davidssohn und König, der ewig regiert, Jesus Christus. Salomo war ungeheuer weise; in Christus liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Salomo war ungeheuer reich; dem Gottessohn Jesus Christus gehört alles, was geschaffen ist; er hat alle Macht im Himmel und auf Erden. Die Königin von Saba pries Gott über Salomos Weisheit und Reichtum; die Weisen aus dem Morgendland beteten den göttlichen König selbst an.

Und nun machen wir noch einmal einen Sprung, einen Zeitsprung von 2000 Jahren. Wir kommen wieder zu einem Besuch, nämlich zu unserem Gottes­dienst­besuch hier und heute. Wir brauchten nicht wirklich weite Wege zurück­zulegen, um den König zu besuchen – den König, der soviel weiser, reicher und mächtiger ist als Salomo; den König, den damals die Weisen aus dem Morgenland anbeteten. Jerusalem ist überall da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Und warum machen wir diesen Besuch? Hoffentlich nicht nur aus Pflicht­gefühl, weil sich das so für einen Christen­menschen gehört. Hoffentlich nicht nur aus Neugierde, was uns der König heute denn Schönes zu sagen hat in seinem Wort. Hoffentlich vor allem aus Liebe und Zuneigung zu ihm. Hoffentlich aus der Erkenntnis, dass wir seine Gast­freund­schaft und sein Gastgeber­geschenk bitter nötig haben. Er lädt uns ja an seinen Tisch und bewirtet uns mit himmlischer Speise, die sonst auf Erden nicht zu finden ist: sein Leib und sein Blut, gegeben und vergossen zur Vergebung unserer Sünden. Er gibt uns seinen Segen mit auf den Weg, der so un­vergleich­lich wertvoller ist als die Gast­geschenke, die wir ihm mitgebracht haben: unser armes Lob auf Erden, unser Singen und unsere Anbetung. So werden wir dann reich beschenkt von diesem Besuch wieder nach Hause ziehen.

Reich beschenkt und gut gerüstet für die letzte Reise, die wir antreten werden – vielleicht schon morgen, vielleicht auch erst in ein paar Jahren oder Jahr­zehnten: eine Besuchs­reise, die wir nicht freiwillig antreten, aus Neugier oder aus Liebe, sondern die un­vermeidlich werden wird; eine Reise, die jeder für sich allein antreten muss. Das Ziel ist wieder Jerusalem – diesmal das himmlische Jerusalem. Da werden wir staunen über den Glanz, den Reichtum und die Pracht unseres Gottes, die jetzt unseren Augen verborgen ist. Es wird sein, wie es bei der Königin von Saba war: Die Kunde von der ewigen Seligkeit, die wir hier auf Erden vernehmen, gibt nicht annähernd das wieder, was wir dann erleben werden. Wir werden zu Tisch sitzen an der königlich-himmlischen Hochzeits­tafel, zusammen mit Gästen aus aller Herren Länder. Auch die Königin von Saba wird da sein, auch die Weisen aus dem Morgenland werden da sitzen, und viele, viele andere, mit denen wir dann reden können und die wir dann alles fragen dürfen, was uns jetzt noch rätselhaft ist. Der Gastgeber aber, der Herr und König Jesus Christus, wird alle an Weisheit und Herrlich­keit über­treffen. Und er wird seine Gäste mit ewiger Seligkeit beschenken – sodass wir dann keine Gäste mehr sind, kein Besuch, der irgendwann wieder wegziehen muss, sondern wir werden für immer dort bleiben, für immer dort zu Hause sein. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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