Die Buße und die enge Pforte

Predigt über Lukas 13,22‑24 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Für einen Christen­menschen ist jeder Tag ein Buß- und Bettag. Täglich beten wir zu unserem Gott, täglich geben wir dem „alten Adam“ in uns eine Fußtritt und nehmen Zuflucht bei unserm Heiland Jesus Christus. Das war auch den preußischen Christen im Jahre 1893 bewusst. Dennoch wurde damals auf aller­höchsten königlichen Befehl am vorletzten Mittwoch im Kirchenjahr der landesweite Buß- und Bettag eingeführt, den wir noch heute mit diesem Gottes­dienst begehen. Er ersetzte damals eine ganze Reihe unter­schiedlicher regionaler Buß- und Bettage. Zusätzlich zum täglichen Gebet und zur täglichen Buße des einzelnen Christen­menschen sollte das Volk einmal im Jahr gemein­schaftlich Buße tun für die Irrwege, auf die man gemeinsam geraten war, und gemeinsam wollte man für das Staatswesen beten, in das Gott die Bürger als Lebens­gemeinschaft gestellt hatte. Der Buß- und Bettag hatte nach seiner Einführung eine wechsel­volle Geschichte; er hat sich aber im wesent­lichen bis zum Jahre 1994 als gesetz­licher Feiertag gehalten. Dann wurde er abgeschafft – nur in Sachsen nicht, wo heute die Betriebe, Geschäfte und Schulen geschlossen bleiben. Die Abschaffung wurde damit begründet, dass man einen zusätz­lichen Arbeitstag für die Finan­zierung der Pflege­versicherung brauche – was, wie man heute weiß, dafür gar nicht ausreicht. Eigentlich ist der Buß- und Bettag aber als Feiertag deshalb abgeschafft worden, weil wir in einer Zeit leben, in der das Gemeinschafts­gefühl als Volk nicht sonderlich stark ausgeprägt ist, in der sich vor allem das Volk als Ganzes nicht mehr als christlich versteht und mehrheit­lich auch nicht die Notwendig­keit der Buße erkennt. Gemeinsam Irrwege bereuen, gemeinsam für das deutsche Volk beten, das findet kaum noch Verständnis in einer Zeit, die man „post­modern“ nennt und in der in Berlin mehr neue Moscheen, Hindu-Tempel und Sekten-Zentralen gebaut werden als christliche Kirchen.

Wir als Alt­lutheraner haben dabei keinerlei Grund, mit verhohlener Schaden­freude auf den Niedergang der Unions­kirche zu blicken, die immer weniger den Anspruch einer Volkskirche aufrecht erhalten kann, denn auch die Mitglieder­zahlen der Selbstän­digen Evangelisch-Lutheri­schen Kirche schrumpfen jedes Jahr deutlich. Wer einen Blick hinter die Kulissen tut, der weiß darüber hinaus, dass von den offiziell erfassten Mitgliedern unserer Kirche dreißig Prozent, vierzig Prozent oder noch mehr so gut wie nie ihre Kirche von innen sehen und auch keinen Schimmer davon haben, wozu ein Buß- und Bettag gut ist. Auch in unserer Kirche gibt es den Abfall scharen­weise – mit innerlicher und äußerlicher Entfremdung von der Kirche. Als deutliches Anzeichen dafür schrumpft auch die Finanzkraft unserer Kirche.

Wenn wir dies mit Trauer im Herzen fest­stellen, gleichen wir jenem unbekannten Menschen, der Jesus einst fragte: „Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?“ Wir gleichen ihm insofern, als dass wir nach Zahlen fragen. Offenbar ist das nicht nur ein Zeichen unserer Zeit, sondern damals gab es das auch schon: dass man auf Statistiken schielte, Mehrheiten herbei­sehnte und der Demoskopie einen hohen Stellenwert beimaß. Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Nur die Minderheit in unserem Volk, die sich noch christlich nennt? Nur die Minderheit unter den Christen, die Jesus Christus bewusst ihren Herren nennt? Nur die Minderheit in unserer Kirche, denen die Gemein­schaft unter Wort und Sakrament noch etwas bedeutet? Nur diese kleine, weiter zusammen­schrumpfende Minderheit? Was meinst du, Herr?

Jesus gab dem unbekannten Menschen damals eine über­raschende Antwort. Das überrascht nicht, denn Jesus gab eigentlich immer über­raschende Antworten, wenn die Menschen ihn etwas fragten. Jesus ließ sich nicht dazu herab, statische und demo­skopische Aussagen zu machen; er antwortete weder in Prozent noch in absoluten Zahlen. Jesus sagte vielmehr: „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hinein­geht!“ Das bedeutet: Kümmert euch nicht darum, wie viele oder wie wenige mit euch zusammen den Bußtag begehen, sondern begeht ihr selbst ihn mit ganzem Herzen! Auch wenn nur wenige die eigenen Irrwege und die Irrwege des Volkes erkennen – bereut sie, bittet Gott um Vergebung, erbittet seinen Segen und sein Geleit! Lasst euch dafür den Blick schärfen durch Gottes Gebote! Und ihr Selbstän­digen Lutheraner, zerbrecht euch nicht so sehr die Köpfe über eure miesen Statistiken und über eure Haushalts­löcher, zerbrecht euch lieber darüber die Köpfer, wie ihr Gott in Zukunft besser dienen könnt und wie ihr mit euren Mitmenschen liebevoller umgehen könnt! Nur so, nur mit Buße, kann ein Mensch in Gottes Reich kommen; nehmt das ganz ernst! „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hinein­geht!“

Freilich, das können wir leicht miss­verstehen – so, als ob unsere eigene Anstrengung uns selig machen würde und als ob das Heil von der Ernst­haftigkeit unserer Buße abhinge. Das ist keinesweges so, denn die enge Pforte hat einen Namen: Sie heißt Jesus Christus. „Ich bin die Tür“, hat Jesus seinen Jüngern an anderer Stelle gesagt (Joh. 10,9), und: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6). Jesus ist der eine Weg und die eine Tür, die zur Seligkeit führt, zum ewigen Leben bei Gott. Das bedeutet: Nur wer sich von Jesus helfen und heilen lässt, der wird gerettet. Das bedeutet aber auch: Du kannst dich nicht selbst retten, soviel du dich auch anstrengst. Du kannst dich nicht mit Geld freikaufen, du kannst dich nicht mit guten Werken und Gesetzes­gehorsam retten, du kannst dich auch nicht durch Bußübungen und durch die Ernsthaftig­keit deiner Buße retten. Denn die Buße ist kein Werk und keine Leistung, mit der du bei Gott Punkte sammeln kannst. Die Buße ist vielmehr eine Bankrott-Erklärung, dass du vor Gott nichts kannst. Buße heißt: Unter dem über­wältigenden Eindruck der Sünden­schuld Zuflucht suchen in den rettenden Armen des Herrn Jesus Christus. Das ist die eine Tür zum Leben, das ist der eine Weg zur Seligkeit. Diese Tür ist deshalb eng, weil es unserer stolzen mensch­lichen Natur so schwer fällt, alle Selbst­gerechtig­keit fahren zu lassen und vor allen anderen Dingen zu beten: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Aber es lohnt, sich dazu durch­zuringen. Jesus sagte: „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hinein­geht!“

Aber Jesus sagte danach noch etwas anderes: „Viele werden danach trachten, wie sie hinein­kommen, und werden's nicht können.“ Aha, da sagt Jesus also nun doch noch etwas Statis­tisches – wenn auch sehr ungenau. Oder müssen wir diesen Satz vielleicht anders verstehen? Es ist ja bemerkens­wert, dass er gefragt wurde, ob viele selig werden, er aber antwortet, das viele die Tür zur Seligkeit nicht finden, obwohl sie gern selig werden möchten. Diese Menschen gibt es auch heute noch um uns herum, und nicht zu knapp: Menschen, die auf der Suche sind nach Heil, nach Lebenssin, nach Freude, nach Seligkeit. Sie sind auf der Suche, aber sie suchen sehr oft an der falschen Stelle: Sie suchen bei sich selbst, wollen sich selbst finden; oder sie suchen bei anderen Menschen oder bei Ideologien oder bei der Esoterik oder bei Kunst und Wissen­schaft. Sie sind auf der Suche, aber sie finden die enge Pforte nicht, die „Jesus“ heißt. Diese Fest­stellung sollte uns allerdings nicht in erster Linie statistisch inter­essieren. Viele Menschen suchen die Pforte und finden sie nicht – wir aber kennen die Pforte zur Seligkeit, haben sie mit Jesus gefunden! Was liegt näher, als diesen Menschen zu sagen, wie die enge Pforte zum Leben heißt? Natürlich, das wollen wir ja auch, das versuchen wir ja auch. Hoffentlich sind unsere Kirchen­türen weit offen für jedermann, der Hilfe sucht, und unsere Gemeinde­türen auch, und unsere Herzens­türen auch, damit doch wenigstens der Eine oder die Andere die enge Pforte finden. Aber vielleicht reicht es ja nicht, dass wir einfach nur unsere Türen offen halten und warten, bis sich jemand zu uns verirrt. Sehen wir doch auf das Beispiel unseres Herrn Jesus Christus selbst. Am Anfang unseres Predigt­textes heißt es von ihm: „Er ging durch Städte und Dörfer und lehrte.“ Jesus ging zu den Leuten hin, die auf der Suche nach dem Reich Gottes waren, und verkündigte ihnen, dass es mit seinem Kommen angebrochen ist. Vielleicht sollten wir Mut fassen und stärker zu den Mühseligen und Beladenen hingehen, anstatt nur auf sie zu warten. Jesus hat seiner Kirche nicht auf­getragen: „Lasset alle Völker zu euch kommen“, sondern: „Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker…“ (Matth. 28,19).

Liebe Brüder und Schwestern, wir haben an diesem Punkt – aber auch an vielen anderen Punkten – Grund, Buße zu tun, unsere Schuld zu bekennen und uns von Jesus helfen zu lassen. Wir können das heute gemeinschaft­lich tun, besonders auch im Hinblick auf unsere Gemein­schaft als christliche Gemeinde und lutherische Kirche. Wir haben den Schatz des Evan­geliums, wir kennen die eine enge Pforte, die zum Leben führt – aber setzen wir unsere Kraft, unsere Liebe, unsere Gaben, unserer Zeit, unser Geld, unserer Kreativität ent­schlossen dafür ein, dass die Menschen um uns herum an diesem Schatz teilhaben können? Und tun wir es aus dem richtigen Motiv heraus, nämlich aus Liebe und Sorge um jeden einzelnen Mit­menschen, und nicht, um die Statistiken und Finanzen unserer Kirche auf­zubessern? Lasst uns heute besonders in dieser Hinsicht Buße tun und dafür beten, dass uns der Heilge Geist für diese große und wichtige Aufgabe zurüsten möge. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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