Vergeben hat Priorität

Predigt über Markus 11,25 zum 22. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es geht in unserem Predigttext um das Beten im Gottes­dienst. Jesus sagte: „Wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt.“ Dieses Jesuswort lautet ganz ähnlich wie das bekanntere aus der Berg­predigt: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe“ (Matth. 5,23-24). Viele von euch werden diesen Satz im Konfirmanden­unterricht gehört haben als Belegstelle dafür, dass man nicht zum Abendmahl gehen soll, wenn man mit jemandem zerstritten ist. Freilich ist da gar nicht direkt vom Abendmahl die Rede, sondern vielmehr vom Opfer. Genau genommen müsste man also sagen: Wenn du mit jemandem zerstritten bist, dann solltest du kein Geld in die Kollekte tun. Und ent­sprechend könnte man aus dem heutigen Predigttext die Schluss­folgerung ziehen: Wenn du mit jemandem zerstritten bist, dann solltest du nicht im Gottes­dienst beten. Jesus hat damit einige typische Dinge vom Gottes­dienst­feiern benannt und meint damit eigentlich den ganzen Gottes­dienst. Man könnte also ganz allgemein sagen: Wenn du mit jemandem zerstritten bist, dann solltest du nicht Gottes­dienst feiern.

Allerdings: Wenn wir es so formu­lieren, dann entspricht es nicht genau dem, was Jesus sagte. Denn Jesus will ja nicht, dass wir wegen eines schwelenden Streits nicht mehr das Heilige Abendmahl empfangen oder überhaupt nicht mehr zum Gottes­dienst kommen. Er will vielmehr, dass wir den Streit beenden. Und das geht von uns aus nur so, dass wir nicht nachtragend sind, dass wir also demjenigen vergeben, über den wir uns geärgert haben, und natürlich auch so, dass wir ihn um Verzeihung bitten für das, womit wir selbst ihn betrübt haben. Danach sollen wir wieder den Gottes­dienst mitfeiern und das Heilige Abendmahl empfangen. „Wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt“, sagte Jesus, und er meinte damit: Einander vergeben ist ganz wichtig, sogar noch wichtiger als Gottes­dienst-Feiern.

Jesus hat damit nichs Neues gelehrt. Schon im Alten Testament hat Gott durch seine Propheten klar gemacht, dass er im Gottes­dienst keine Leute haben möchte, die mit ihren Mitmenschen verfeindet sind. „Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder“, hat er einmal in diesem Zusammen­hang gesagt (Amos 5,23). Manche Leute verstehen das falsch und denken, der Gottes­dienst sei nicht wichtig, es komme vor allem auf die Nächsten­liebe an. Das stimmt nicht. Der Gottes­dienst ist wichtig, sehr wichtig sogar. Aber noch wichtiger ist es, dass wir mit unseren Mitchristen in Frieden leben, dass wir ihnen nichts nachtragen, dass wir ihnen ihre Sünden vergeben.

Einander vergeben hat Priorität vor dem Gottes­dienst-Feiern, das hat Jesus ganz deutlich gesagt. Manchen Lutheraner mag das erstaunen, denn die Botschaft des Evangeliums lautet doch: Das Heil ist Gottes Geschenk und kommt durch sein Wort zu uns; unsere Werke und die Heiligkeit unseres Lebens­wandels können uns nicht selig machen. Und doch hat Jesus gesagt: „Vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Über­tretungen.“ Das hat er nicht nur einmal gesagt im Zusammen­hang mit unserem Predigt­text, sondern wiederholt. Nachdem er zum Beispiel in der Bergpredigt seine Jünger das Vaterunser gelehrt hatte, sagte er erläuternd zur fünften Bitte: „Wenn ihr den Menschen ihre Ver­fehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlun­gen auch nicht vergeben“ (Matth. 6,14‑15). Dasselbe sagt Jesu Gleichnis vom sogenannten Schalks­knecht aus: Da bekommt ein Mensch eine Riesensumme Schulden erlassen und geht dann hin und fordert brutal eine kleine Geldsumme ein, die ihm jemand anders schuldet. Als sein Gläubiger das mitbekommt, wird er so wütend, dass er nun wieder seinerseits auf die voll­ständige Tilgung der Riesensumme besteht. Zum Schluss heißt es: „So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebet, ein jeder seinem Bruder“ (Matth. 18,35).

Noch einmal die Frage: Wie passt das zum Evangelium, also zur Rettung des Sünders allein aus Gnade, ohne Gesetzeswerke? Kommt denn das Heil nicht allein durch das Wort, ohne unser Zutun? Ja, es kommt durch das Wort zu uns, und das geschieht im Gottes­dienst. Aber wenn wir nicht selbst vergebungs­bereit sind, dann machen wir uns dieses geschenkte Heil wieder kaputt. Wenn wir kleinlich die Ver­fehlungen unserer Mitmenschen nicht vergeben wollen, dann verhöhnen wir nämlich den gnädigen Gott, der uns so riesig viel vergibt, dann treten wir sein Heil mit Füßen. Wir offenbaren dann damit unseren Unglauben; wir zeigen, dass wir noch gar nicht begriffen haben, was Gottes Gnade eigentlich ist und was das Evangelium sagt. Sicher, jeder ärgert sich mal über den anderen, jeder hat mal Streit, es gibt immer wieder Meinungs­verschieden­heiten, man tut sich manchmal auch gegenseitig sehr weh – gerade dort, wo man sich sehr nahe steht, in der Familie zum Beispiel, und auch in der Kirche. Jesus weiß, dass wir manchmal zornig sind, und er hat sogar Verständnis dafür, aber er warnt durch seinen Apostel: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ (Eph. 4,26). Wer nachtragend ist, der ist letztlich un­bußfertig, denn er weigert sich, von seinem Zorn umzukehren und die Liebe das letzte Wort haben zu lassen.

Liebe Gemeinde, wenn wir einander unsere großen und kleinen Ver­fehlungen ständig nachtrügen und nicht zu vergeben bereit wären, dann könnten wir den Laden hier zumachen, dann wäre unser Gottes­dienst sinnlos, dann stünden wir außerhalb des Heils, das uns der Herr Jesus Christus erworben hat. Ob das wohl der Grund ist, warum der Teufel gerade an diesem Punkt die frömmsten Christen versucht und un­versöhnliche Zwietracht unter ihnen zu verbreiten trachtet? Bitten wir Gott, dass er damit bei uns keinen Erfolg hat, und nehmen wir Jesu Wort ganz ernst: „Wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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