„Macht das Haus meines Vaters nicht zur Markthalle!“

Predigt über Johannes 2,16b zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer wollte nicht gern in kurzer Zeit viel Geld verdienen? Wenn einer den richtigen Riecher hat für ein gutes Geschäft und wenn er die Kunst beherrscht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, dann kann es ihm gelingen, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, dafür gibt es heutzutage Anschauungs­beispiele in Hülle und Fülle. Wir alle wissen: Die Werbung arbeitet raffiniert mit Ver­lockungen, mit Halb­wahrheiten, mit Ver­schleierungs­taktiken, mit psycho­logischen Tricks – und es funktio­niert: die Leute geben ihr Geld aus für allerlei Waren und Dienst­leistungen, die sie ohne Werbung nicht kaufen würden. Manchmal geben sie sogar mehr aus, als sie sich leisten können.

Es funktio­nierte schon immer, auch schon zu Luthers Zeiten. Papst Leo X. brauchte Geld für den prunkvollen Ausbau seiner Peters­kirche in Rom. Er machte einen raffi­nierten Vertrag mit dem deutschen Bischof Albrecht, der ebenfalls Geld brauchte. Auch das Bankhaus der Fugger war an dem Deal beteiligt, und zwar mit einem großen Darlehen. Dann floss das Geld – und es kam von den kleinen Leuten, sogar von den Armen, die es eigentlich viel nötiger für sich selbst brauchten. Bischof Albrecht schickte im Namen des Papstes begabte Prediger im Land herum (der berühmteste von ihnen hieß Tetzel) und ließ mit großem Werbe­aufwand den Leuten Ablass­briefe auf­schwatzen. Man machte den Christen weis, dass ihnen mit Erwerb eines Ablass­briefes Sünden­strafen von Gott erlassen würden. Das sollte sogar noch nach­träglich für verstorbene Angehörige funktio­nieren. Ein ein­trägliches Geschäft war dieser Handel mit Ablass­briefen – für den Papst, für Bischof Albrecht, für das Bankhaus der Fugger und auch für die Ablass­prediger selbst.

Das Geschäfte­machen funktio­nierte auch schon zu Jesu Zeiten. Im Vorhof des Jerusalemer Tempels waren dicht an dicht die Stände der Händler aufgebaut, die Opfertiere zum Verkauf anboten: Tauben, Schafe, sogar Rinder. Andere tauschten Geld jeder Art in die Tempel­währung um, die man brauchte, um etwas in die Kollekte zu tun. Wir können uns ausmalen, dass auch viel Werbung gemacht wurde, dass sich die Händler mit ihren Sonder­angeboten gegenseitig übertönten und unterboten. Geschäfts­tüchtige Leute konnten da schnell reich werden.

Zu allen Zeiten hat es Geschäfte­macher gegeben, und zu allen Zeiten hat sich auch Protest gegen sie erhoben. Heutzutage kritisiert man auf­dringliche und un­wahrhaftige Werbung, und man verachtet diejenigen, die rücksichts­los in kurzer Zeit viel Geld zusammen­raffen. Luther hat sich mit seinem 95 Thesen scharf gegen die markt­schreie­rischen Ablass­predigten seiner Zeit aus­gesprochen. Jesus selbst hat die Händler und Geld­wechsler sogar mit Gewalt aus dem Tempel geworfen. Bedeutet das, dass Werbung und Geschäfte­macherei grund­sätzlich anrüchig sind, um nicht zu sagen un­moralisch, un­christlich?

Seien wir vorsichtig, liebe Gemeinde. Wir dürfen nicht alles über einen Kamm scheren, sondern wir müssen hier differenzieren. Geld an sich ist nicht schmutzig, und wirt­schaftliche Unter­nehmungen an sich sind nicht ver­werflich. Im Gegenteil: Wir alle, die wir hier sitzen, haben viele Vorteile und großen Segen davon, dass wir in einer intakten Markt­wirtschaft leben. Freilich gibt es auch den Missbrauch, und der ist zu verwerfen – Luther hat das in seinem kleinen Katechismus getan in der Erklärung zum siebenten Gebot, wo es heißt, dass man nichts mit falscher Ware oder falschem Handel an sich bringen sollte. Aber wo ehrlich und ver­antwortungs­voll Handel getrieben wird, ist nichts dagegen ein­zuwenden, es dient im Gegenteil zum Nutzen aller.

Als Luther freilich den Ablass­handel kriti­sierte, da ging es ihm gar nicht um diese Fragen der Wirtschafts­ethik, und auch Jesus ging es nicht darum, als er die Händler aus dem Tempel hinauswarf. Es ging um etwas ganz anderes. Was hatte Jesus doch bei dieser Gelegenheit gerufen? „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markt­halle!“ Er hat also gar keine auf­dringliche Werbung beanstandet und hat auch nicht behauptet, dass die Händler die Käufer übers Ohr hauen. Er hat einfach darauf hin­gewiesen, dass der Handel in Gottes Haus fehl am Platze ist. Und warum? Nicht, weil wirt­schaft­liches Handeln unfromm wäre, sondern weil der Handel etwas ist, was im zwischen­menschlichen Bereich seinen Platz hat, aber nicht in der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Auch im zwischen­menschlichen Bereich hat der Handel ja Grenzen: Bestimmte Dinge lassen sich nicht mit Geld bewerten oder sollten nicht mit Geld bewertet werden – barmherzige mit­menschliche Zuwendung zum Beispiel, oder Liebe. Ganz fehl am Platz ist das wirtschaft­liche Handeln aber im Verhältnis zu Gott. Genau das aber war der Zweck des Handels im Vorhof des Tempels. Da konnten die Tempel­besucher nämlich ihre Fremd­währungen in eine Währung tauschen, die, wie sie meinten, bei Gott gültiges Zahlungs­mittel wäre: Brand­opfer­tiere und Opfermünzen nämlich. Und mit diesen Zahlungs­mitteln wollten sie sich Gottes Segen kaufen, oder auch noch nach­träglich für bereits empfangenen Segen ihre Rechnung bei Gott begleichen, damit er ihnen nicht böse wäre. Seht, so machten die Tempel­händler das Gotteshaus zur Markthalle – auch wenn ihr äußeres Geschäfts­gebaren an sich ganz redlich war. Aber mit Gott können und sollen wir nicht handeln, und darum hat Jesus so heftig reagiert und gesagt: „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markt­halle!“, zu einem Haus nämlich, wo Menschen meinen, mit dem lieben Gott einen guten Deal abschließen zu können.

Gut, in alt­testament­licher Zeit hatte der Opferdienst im Tempel eine gewisse Berechti­gung gehabt, er war ja im Gesetz des Mose sogar aus­drücklich geboten gewesen – aber nicht als Kuhhandel mit Gottes Segen, sondern als pro­phetisches Vorzeichen des einen Opfers, das Gott selbst gestiftet hat, um die ganze Menschheit ein für allemal zu erlösen: das Opfer seines eigenen Sohns Jesus Christus nämlich. Dessen Kreuzestod hat die Tieropfer im Tempel überflüssig und daher sinnlos gemacht. Jetzt zählt bei Gott nur noch eine einzige Währung, nämlich das Blut Jesu Christi. Diese Währung kann kein Mensch käuflich erwerben oder einhandeln, die kann man sich nur von Gott schenken lassen, und das tut jeder, der an Jesus glaubt. Wer zu Jesus gehört, der weiß: Mit Gott kann man nicht handeln, aber mit Gott braucht man auch nicht zu handeln, er schenkt alles Gute durch seinen Sohn.

Martin Luthers Protest gegen den Ablass­handel geht genau in dieselbe Richtung. Denn im Mittelalter hatten viele Menschen unter der Oberfläche des Christen­tums wieder angefangen, mit Gott zu handeln, und das wurde von der Kirche auch noch gefördert. Die Währung, mit der man Gottes Segen glaubte erwerben zu können, bestand nicht mehr aus Kühen, Schafen, Tauben und Tempel­münzen, sondern aus Reliquien, Fasten, Bet­ritualen, Pilger­fahrten und eben Ablass­briefen. Als Luther am 31. Oktober 1517 seinen berechtig­ten Protest dagegen zum Ausdruck brachte mit den 95 Thesen, da tat er nichts anderes, als den Menschen seiner Zeit zuzurufen: Macht Gottes Haus nicht zur Markthalle! Glaubt doch nicht, dass ihr Vergebung der Sünden mit Geld kaufen könnt! Bei Gott zählt nur eine Währung, und das ist das Blut seines Sohnes Jesus Christus. Das kann man sich nicht erwerben, das kann man sich nur schenken lassen, indem man es im Glauben annimmt. Freilich: Wer die 95 Thesen genau durchliest, wird fest­stellen, dass Luther sich selbst noch nicht ganz im Klaren war über diese reforma­torische Erkenntnis. Er wagte es noch nicht, den kirchlichen Ablass grund­sätzlich in Frage zu stellen, sondern kritisierte lediglich den markt­schreie­rischen Handel mit Ablass­briefen. Auch war er noch davon überzeugt, dass der Papst selbst den rechten christ­lichen Glauben vertrat und dass der Missbrauch mit den Ablass­briefen hinter seinem Rücken getrieben wurde. Aber die 95 Thesen sind ja auch erst der Anfang der Reformation gewesen, und zu recht werden sie nicht zu den luthe­rischen Bekenntnis­schriften gerechnet, denn manches darin ist noch vom mittel­alterlichen Irrglauben geprägt. Aber der Anfang war gemacht, und am Ende strahlte das helle Licht des Evangeliums wieder ungehindert von Gottes Wort in die Welt.

Was bedeutet das alles für uns heute? Es geht nicht darum, Werbung und Wirtschaft zu verteufeln. Es geht auch nicht darum, Kollekten­dosen und Bücher­tische aus der Kirche zu verbannen. Es geht heute nach wie vor darum, dass wir uns nicht einbilden sollen, wir könnten mit Gott Geschäfte machen. „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markt­halle“, diese Warnung Jesu gilt auch heute in diesem Sinne. Hütet euch davor, Gottes Segen irgendwie kaufen zu wollen! Denkt zum Beispiel nicht: Wenn ich in einer ehrwürdigen Kirche eine Kerze anzünde, oder wenn ich ein besonders langes Gebet spreche, oder wenn ich einen üppigen Betrag für eine Hilfs­organisation spende, dann muss Gott das doch anerkennen und mich segnen. Gott muss gar nichts tun für uns Sünder – und trotzdem hat er etwas getan. Er hat selbst mit der einzigen Währung bezahlt, die er akzeptiert, uns zugute: mit dem Blut seines Sohnes. Lasst uns daran einfach im Glauben festhalten. Dieser Glaube soll dann die Grundlage für ein gott­gefälliges Leben sein – ohne den Hinter­gedanken, man könne sich damit irgendetwas bei Gott verdienen. Ein gott­gefälliges Leben – das ist ein Leben mit ehrlichem Geld­verdienen und ver­antwort­lichem Geld­ausgeben. Ein Leben aber auch, bei dem das wirtschaft­liche Handeln auf den Bereich beschränkt bleibt, wo es sinnvoll ist. Ein Leben, bei dem vor allem auch das einen hohen Stellenwert hat, was unbezahlbar ist: die menschliche Zuwendung, die Nächsten­liebe, die Freude, die Hoffnung, die Gemein­schaft in guten und in schweren Zeiten. Ja, so lasst uns leben – geheiligt durch das Blut unseres Herrn Jesus Christus. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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