Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht

Predigt über Markus 2,23‑28 zum 20. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der wichtigste Satz in unserem heutigen Predigttext lautet: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht.“

Der „Sabbat“ – das ist hebräisch und heißt „Ruhetag“ oder „Feiertag“. Es geht hier nicht um den Sabbat im engeren Sinn, also nicht um den Samstag als wöchent­lichen Feiertag der Juden. Es geht hier allgemein um den Ruhetag nach sechs Arbeits­tagen. Gott selbst hat ihn nach sechs Schöpfungs­tagen gestiftet, indem er ein Vorbild setzte und ruhte. Auf diese Weise hat Gott den siebenten Tag nach sechs Werktagen geheiligt, hat ihn aus­gesondert, hat ihn zum Ausruhen heraus­gehoben. Martin Luther hat im Kleinen Katechismus beim 3. Gebot das hebräische Wort „Sabbat“ zutreffend ins damalige Deutsch übersetzt, indem er sagte: „Du sollst den Feiertag heiligen.“ Ins heutige Deutsch übersetzt, müsste man sagen: „Du sollst den Ruhetag heiligen“ – nämlich den Ruhetag, den Gott nach sechs Arbeits­tagen verordnet hat.

Jesus wies nun darauf hin, dass der Sabbat „gemacht ist“. Wie alle frommen Juden seiner Zeit vermied er es, den Namen Gottes oder das Wort „Gott“ zu gebrauchen, wo es sich vermeiden ließ – was dazu führte, dass alle Tätigkeiten Gottes mit passiven Satz­konstruktio­nen umschrieben wurden. „Der Sabbat ist gemacht“ bedeutet also „Gott hat den Sabbat gemacht“, den Ruhetag. Ich habe ja schon erwähnt, dass dies bei der Schöpfung der Welt geschah, als Gott nach sechs Schöpfungs­tagen ruhte und eben diesen siebenten Tag als Ruhetag heiligte. Was Gott geschaffen hat, das sollen wir Menschen nun nicht verachten. Wenn Jesus sagte: „Der Sabbat ist gemacht“, dann erkannte er ihn als Gottes heilige Ordnung an. Und wir sollten das auch tun. Sechs Tage Arbeit, danach ein heiliger Tag zum Ausruhen und Gottes­dienst-Feiern, diese göttliche Ordnung sollte jedem Christen in Fleisch und Blut übergehen. Dass wir Christen dafür den Sonntag nehmen und nicht den Samstag wie die Juden, ist dabei nicht wichtig; Hauptsache, wir achten den von Gott ge­schaffenen Sieben-Tage-Rhythmus der Woche. Jeder Christ sollte das persönlich sehr ernst nehmen und sich nicht ohne zwingenden Grund von der Sonntags­heiligung abhalten lassen. Und im Blick auf unsere Gesell­schaft sollten wir uns dafür einsetzen, dass die von Gott geschaffene Feiertags­ruhe nicht ausgehöhlt wird durch unnötige Sonntags­arbeit, durch ent­sprechende Forderungen von seiten der Arbeit­geber, durch weiteres Ausufern des Sonntags-Shoppings oder durch Ausfüllen des Sonntags mit allerlei an­strengenden Freizeit-Aktivi­täten. Der Sabbat ist gemacht; Gott hat den Feiertag geschaffen; und wer den Feiertag verachtet, der verachtet Gott.

Gott ist ein gnädiger und barm­herziger Gott. Darum können wir sicher sein, dass er den Sabbat nicht gemacht hat, um uns zu ärgern oder um uns mit drückenden Gesetzes­vorschriften zu demütigen. Im Gegenteil: Mit dem Gebot der Feiertags­heiligung tut Gott uns etwas Gutes und hilft uns. Es ist gut für uns, wenn wir nach sechs Arbeits­tagen Pause machen und ausruhen. In der Anfangszeit der Sowjetunion wollte man die Produktivi­tät erhöhen, indem man die Sieben-Tage-Woche durch eine Zehn-Tage-Woche ersetzte: nach neun Arbeits­tagen ein Ruhetag. Die Folge? Die Produktivi­tät sank, denn die Zehn-Tage-Woche machte die Menschen krank! Der Schöpfer des Menschen weiß am besten, was für uns gut ist, und verordnete uns daher die Sieben-Tage-Woche: ein Sabbat, ein Ruhetag nach sechs Arbeits­tagen – zu unserem Wohl­ergehen! Das meinte auch Jesus, als er sagte: „Der Sabbat ist für den Menschen gemacht.“ Und weil das so ist, muss es im Notfall Ausnahmen geben dürfen vom Gottesgebot der Feiertags­ruhe. Darum sagte Jesus auch den Umkehrsatz: „… und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ Gottes Sabbat-Gebot, vor allem aber auch die vielen spitz­findigen Ausführungs­bestimmungen der jüdischen Gesetzes­lehrer dürfen nicht als ehernes Prinzip um jeden Preis durch­gesetzt werden, vor allem nicht um den Preis, dass der Mensch dabei Schaden erleidet. Vielmehr ist immer dann eine Ausnahme zu machen, wenn das Wohl des Menschen es erfordert. Wohlbemerkt – eine Ausnahme! Grund­sätzlich hat Jesus den Sabbat geachtet, und er forderte von seinen Jüngern dasselbe. Aber er erlaubte ihnen, am Sabbat beim Spaziergang durch ein Kornfeld Ähren abzu­pflücken und die Körner zu verspeisen, denn sie hatten gerade nichts anderes zu essen. Solches Ernten im Vorbeigehen für den augen­blicklichen Bedarf war den Menschen damals aus­drücklich gestattet, damit keiner hungern musste; Jesus wies lediglich darauf hin, dass es für den hungrigen Menschen auch am Sabbat erlaubt sein muss. Das ist für uns heute ganz klar: Die Feiertags­heiligung darf nicht so weit gehen, dass Hungrige nicht gespeist, Kranke nicht gepflegt oder Reisende nicht beherbergt werden dürften. Ich habe es als Kind so gelernt: Werke der Liebe und Werke der Notdurft, die sind am Sonntag möglich. Aber noch einmal: Es handelt sich um Ausnahmen in Notlagen; grund­sätzlich sollen wir Gottes Feiertag achten und ihn heiligen; an ihm ruhen und in der christ­lichen Gemeinde Gottes­dienst feiern.

Was Jesus über das Sabbat-Gebot gesagt hat, das gilt für alle Gebote: Alle Gebote sind von Gott gemacht und fordern daher unsere Befolgung; alle Gebote hat Gott aus Liebe für uns Menschen gemacht, damit sie uns helfen und dienen; bei allen Geboten kann es auch mal notwendig werden, eine Ausnahme zu machen, wenn nicht anders Schaden vom Menschen abgewendet werden kann. Jesus selbst bringt in unserer Geschichte als Argument ein Beispiel zu einem Gottesdienst-Gebot, das Gott seinem alten Bundesvolk Israel gegeben hatte: Die sogenannten Schaubrote, die im Heiligtum der Stiftshütte auf einem Tisch lagen, durften nur von Priestern verzehrt werden, von Nachkommen Aarons. Als aber einmal David unter Lebens­gefahr fliehen musste und keine Möglichkeit hatte, sich auf anderem Wege Nahrung zu besorgen, da aß er von den Schau­broten, obwohl er nicht von Aaron abstammte. Eine Ausnahme in einer Not­situation – Jesus heißt das gut und führt es als Beispiel an. Noch andere Beispiele ließen sich finden. Die hebräischen Hebammen zum Beispiel belogen den Pharao, um das Leben der neu­geborenen Jungens zu schützen, die sie eigentlich hätten umbringen müssen, und Gott belohnte sie dafür. Sogar das Töten, im fünften Gebot grund­sätzlich verboten, mag in Extrem­situationen um der Menschen willen durchgehen. Die Attentäter vom 20. Juli hatten versucht, den Einen um­zubringen, der sich „Führer“ nennen ließ, um zu verhindern, dass weiterhin täglich tausende auf seinen Einfluss hin sterben mussten.

„Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“, so lehrte Jesus. Er erwies sich damit als voll­mächtiger Ausleger von Gottes Wort, als Herr und Gottessohn. Der Evangelist kommen­tierte treffend: „So ist der Menschen­sohn ein Herr auch über den Sabbat.“ Allgemein können wir sagen: Gottes Gebote sind um des Menschen willen gemacht und nicht die Menschen um der Gebote willen. Nicht blinde und sture Befolgung mit spitz­findiger Auslegung sind ihr Zweck, sondern dass wir sie als Orientierungs­maßstab verwenden für das, was dem Menschen wirklich gut tut. Das schließt ein, dass in besonderen Not­situationen der Mensch die Freiheit hat, sich über die enge, buch­stäbliche Befolgung hinweg­zusetzen.

Freilich ist das nicht die viel­zitierte christliche Freiheit; die ist etwas ganz anderes. Es ist die Freiheit vom Fluch des Gesetzes. Denn als Sünder stehen wir unter dem Fluch von Gottes Gesetz, das uns doch eigentlich helfen sollte. Es ist zum Beispiel der Fluch, der darüber liegt, wenn Menschen ohne Not den Feiertag wie einen normalen Werktag ansehen oder auch ohne Not dem Gottes­dienst fern­bleiben. Es kann aber auch gerade der Fluch sein, dass ein Christ mit falschem Gesetzes­verständnis einen Not­leidenden im Stich gelassen hat, um zum Gottes­dienst zu gehen. Von diesem Fluch kann uns das Gesetz nicht befreien, so gut es auch ansonsten für uns ist. Von diesem Fluch kann uns nur Jesus befreien mit seinem Opfer am Kreuz. Das ist die wahre christliche Freiheit. Der, der sich damals als Herr über den Sabbat erwiesen hat und als voll­mächtiger Gesetzes­lehrer, der hat sich vor allem als Herr über unsere Sünde erwiesen und als voll­mächtiger Evangeliums-Ver­kündiger. Ihm sei dafür Lob und Dank in alle Ewigkeit. Amen.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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