Nicht vergeblich gehofft

Predigt über Johannes 5,1‑16 zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zu Jesu Zeiten gab es am Stadtrand von Jerusalem ein Kurbad. Die Anlage bestand aus einem Doppel­becken und fünf Säulen­hallen, vier um das Doppel­becken herum und eine zwischen den beiden Teilbecken. Unser Bibeltext nennt als Namen dieser Anlage „Betesda“, auf deutsch „Haus der Barmherzig­keit“. Ob von dem Wasser dieser Teiche wirklich eine heilende Wirkung ausging und was für eine Wirkung das war, lässt sich heute nicht mehr fest­stellen. Tatsache ist jedenfalls, dass die fünf Hallen von Patienten aller Art bevölkert waren, die sich von diesen Teichen eine heilende Wirkung ver­sprachen. Es ging die Kunde um, dass ab und zu ein Engel Gottes das Wasser anrührte und Wellen machte, und immer dann sollte das Wasser heilen können. Was war das nur? Ein Wunder Gottes? Ein Trick des Teufels? Eine natürliche Erscheinung mit heilender Wirkung? Oder nur Einbildung? Wie gesagt, wir wissen es nicht. Es ist für unsere Geschichte auch nicht wichtig, dies zu wissen. Bemerkens­wert ist aber die Hoffnung der Patienten. Bemerkens­wert ist noch heute, wie kranke Menschen auf Besserung hoffen, wie sie dafür vieles auf sich nehmen, viel Geld ausgeben, sich an jeden Strohhalm klammern. Und doch werden nicht alle Kranken gesund; bei manchen wird die Hoffnung immer wieder enttäuscht, und sie bleiben krank. Das gilt auch für Krankheiten im weiteren Sinn: Da ist zum Beispiel der Alko­holiker, der nach mehreren Entziehungs­kuren doch immer wieder rückfällig wird. Das ist der seelisch Kranke, der nach Zeiten der Normalität immer wieder neue Schübe seiner Krankheit erleidet. Und da gibt es kranke Beziehungen zwischen Menschen, die sich immer wieder um ein gutes Miteinander bemühen und doch immer wieder dabei scheitern.

Auch die Hoffnung des kranken Mannes, von dem unser Predigttext berichtet, war oftmals enttäuscht worden. Er lag in einer der Betesda-Hallen und wartete darauf, dass sich das Wasser in den Teichen wieder einmal bewegte. Aber er war schwach auf den Beinen: Andere kamen ihm stets zuvor, und wenn er endlich beim Wasser war, so heilte es nicht mehr. Wie oft hatte er gehofft, wie oft wohl auch schon zu Gott gebetet, aber alles blieb beim Alten. Die Hallen am Teich Betesda waren schon un­vorstellbar lange sein Zuhause, 38 lange Jahre! Da kam eines Tages Jesus zu ihm und redete ihn an. Er fragte: „Willst du gesund werden?“ Ja, was soll so ein Dauer­kranker schon darauf antworten? Der Mann hatte kaum noch Hoffnung. Er war nicht mehr in der Lage, erwartungs­voll „ja“ zu sagen, er konnte nur noch die resig­nierenden Gedanken wieder­holen, die sich schon seit Jahren wie ein Mühlrad in seinem Kopf herum­drehten: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.“

Was soll Jesus da machen? Soll er sich von diesem hoffnungs­losen Fall abwenden, weil da kein Glaube mehr ist? Soll er weggehen, weil der Mann anscheinend gar nicht mehr gesund werden will? Jesus zwingt ja niemandem sein Heil auf; wer sich nicht von ihm helfen lassen will, dem hilft er auch nicht. Aber Jesus sieht ins Herz. Und er hört mehr, als die Lippen sagen. Er hört den stummen Hilfeschrei dieses ver­zweifelten Mannes. Und er sieht das letzte Fünkchen Hoffnung in seinem Herzen glimmen unter all der Asche der Resig­nation. So erbarmt er sich über diesen Mann. Er handelt so, wie es schon der Prophet Jesaja verheißen hatte: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht aulöschen“ (Jes. 42,3). Nach 38 langen und schweren Jahren auf dem Kranken­lager macht er den Mann gesund. Er sagt zu ihm: „Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!“ Und dieses göttliche Wort im Mund des Heilands wirkt, was es sagt: Der Mann mit den kranken Beinen erhebt sich, rollt seine Schlafmatte zusammen, legt sie sich auf die Schulter und verlässt sicheren Schritts das Kurbad. Er ist gesund. Und weil Jesus keine halben Sachen macht, ist er nicht nur leiblich gesund, sondern auch an seiner Seele, in seiner Beziehung zu Gott. Jesus hat ihm seine Sünden vergeben und ihn mit dem himmlischen Vater versöhnt. Das erkennen wir daran, dass Jesus später, bei einer erneuten Begegnung, ihn ermahnte: „Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres wider­fahre.“ Schlimmer als 38 Jahre Kranken­lager ist es, durch unvergebene Sünde von Gott getrennt zu sein, ja, das ist sogar schlimmer als der leibliche Tod!

Lieber Bruder, liebe Schwester, wie steht es mit deiner Hoffnung? Hast du eine Krankheit, hast du eine Not, hast du einen Kummer, den du schon lange mit dir herum­schleppst und wo sich keine Besserung einstellt? Wo du immer wieder gehofft und gebetet hast, aber es hat sich nichts verändert? Dann lerne an dieser Geschichte: Gib deine Hoffnung nicht auf, denn Jesus will dir trotzdem helfen, Jesus will dich gesund machen. Er ist der Heiland, er heilt. Auch wenn dein Glaube und deine Hoffnung nur noch ein Fünkchen ist, ein glimmender Docht, er kommt zu dir und hilft dir. Warte geduldig auf ihn, vertraue ihm. Und vergiss vor allen Dingen nicht, dass er das Wichtigste schon in Ordnung gebracht hat: dein gestörtes Verhältnis zu Gott. In der Taufe hat er deine Sünden ab­gewaschen, und er schenkt dir immer wieder neu sein Vergebungs­wort, das die Kraft hat, heil zu machen, was krank war, und heilig zu machen, was unheilig war. Ja, dieses großes Heilungs­wunder tut Jesus an dir. Und genau wie dem Geheilten damals ruft er dir zu: „Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres wider­fahre.“

Immer wenn Jesus heilt und hilft, dann ärgert sich der Teufel und versucht, störend ein­zugreifen. Oft bedient er sich dabei anderer Menschen, und oft handelt er unter einer frommen Tarnkappe. So war das auch bei der Sache mit der Heilung am Teich Betesda. Kaum war der Geheilte mit seiner Schlafmatte auf der Schulter aus der Halle auf die Straße getreten, da wurde er auch schon von einigen, die sich für fromm hielten, an­gemeckert: „Hey, heute ist Sabbat, da darf man nichts tragen! Etwas auf der Schulter tragen ist Arbeit, und Arbeit ist am Sabbat verboten!“ Der Geheilte erwiderte: „Mich hat eben einer gesund gemacht, und der hat mir gesagt, dass ich mit meiner Matte nach Hause gehen soll.“ Da fanden die, die sich für fromm hielten, gleich ein weiteres Haar in der Suppe. Heilen war in ihren Augen auch Arbeit, daher durfte am Sabbat nicht geheilt werden. So erkundigten sie sich nach dem Übeltäter, der den Kranken am Sabbat gesund gemacht hatte. Erst wusste der Geheilte nicht, wer das war, aber nachdem er Jesus im Tempel wieder getroffen hatte, konnte er den Leuten berichten: „Jesus heißt der Mann, der mich geheilt hat.“ Da hatten die Juden nun wieder einen Grund mehr, Jesus zu verfolgen: Ein Rabbi, der mit Heilen den Sabbat bricht – das durfte nicht sein!

Nun können wir ja froh und dankbar sein, dass der Teufel auf dieser Schiene bei uns nicht das Heil von Jesus kaputt zu machen sucht. Wir wissen, dass Gott den Feiertag nach sechs Arbeits­tagen gemacht hat, um uns Menschen Gutes zu tun, und nicht, um uns zu schika­nieren. Kleinliche Vor­schriften für die Heiligung des Feiertags gehen am Sinn des 3. Gebots vorbei, Jesus selbst hat das seine Jünger so gelehrt. Um der Liebe willen dürfen Ärzte, Kranken­schwestern und Alten­pfleger selbst­verständlich auch am Sonntag ihrer Arbeit nachgehen, ja, das sollen sie sogar. Und wo es die Liebe oder die unaufschieb­bare Pflicht gebietet, da darf man natürlich auch an einem Sonntag etwas auf der Schulter tragen oder sonst eine Arbeit tun. Nein, mit dieser Art ge­heuchelter Frömmigkeit und mit spitz­findigen Feiertags­vorschriften kann der Teufel bei uns nichts ausrichten. Aber er ist schlau und versucht es deshalb auf eine andere Weise. Er verdreht vielen Christen den Sinn ihrer christ­lichen Freiheit und will ihnen weismachen, es sei ganz ins Belieben der Menschen gestellt, ob und wie sie den Feiertag heiligen. Jeder könne selbst ent­scheiden, was er am Sonntag tut, und in die Kirche brauche er nur zu gehen, wenn er das Bedürfnis dazu hat und wenn ihm da etwas geboten wird, was ihm gefällt. Indem der Teufel so mit der Freiheits-Masche viele Menschen vom regel­mäßigen Kirchgang abhält, arbeitet er im Grunde genommen genauso gegen Christi Heilung wie damals. Denn genau hier will Christus ja heilen: in der Versammlung der Gläubigen, im Gottes­dienst, in der Kirche, durch sein Wort, durch die Predigt, durch das Heilige Abendmahl. Er will seine Arbeit als Heiland gerade am Sonntag tun und er möchte, dass ganz viele in den Genuss dieses Segens kommen. Wer das erkennt, dem braucht man nicht zweimal zu sagen, dass er den Gottes­dienst besuchen soll, der wird sich förmlich hingezogen fühlen, weil er weiß: Hier hilft und heilt Jesus, hier stärkt er mir den Glauben, hier facht er meine Hoffnungs­funken an, damit wieder ein loderndes Feuer daraus wird. Und das frühe Aufstehen und der Kirchgang wird ihm dann ebensowenig als Anstrenung und Arbeit erscheinen wie dem Geheilten damals das Nachhause­tragen seiner Schlaf­matte.

Sieh es doch mal so an, liebe Gemeinde: Hier in der Kirche ist dein göttliches Betesda, dein geistlicher Kurort. Hier schenkt Gott dir ganz­heitlich Heilung, für Zeit und Ewigkeit. Freue dich: Du brauchst nicht 38 Jahre lang auf Hilfe zu warten, und du brauchst auch keine Angst zu haben, dass dir jemand zuvorkommt und dir das Heil vor der Nase weg­schnappt. Denn Jesus ist ja hier. Der dem Kranken damals geholfen hat, der will und wird auch dir helfen. Hoffe auf ihn, glaube an ihn, komm zu ihm und bleib bei ihm! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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