Alle Christen sind Priester

Predigt über 2. Mose 19,3‑6 zum Sonntag Exaudi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am Berg Sinai hat Gott mit dem Volk Israel seinen Bund ge­schlossen. Am Fuß des Berges lagerten die Israeliten in ihren Zelten; oben auf dem Berg war Gott gegen­wärtig, in eine Wolke gehüllt. Mose war der Mittler zwischen Volk und Gott. Er stieg auf den Berg und nahm Gottes Weisungen für Israel in Empfang; er tat dort auch Fürbitte für das Volk. Damit machte Mose im Prinzip das, was den Dienst eines Priesters ausmacht: Ein Priester ist ein Mittelsmann zwischen Menschen und Gott.

Gott hatte Mose und durch ihn ganz Israel etwas sehr Erstaun­liches mit­zuteilen. Er sagte in Verbindung mit dem Bund, den er mit dem Volk schloss: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“ Ganz Israel ein Volk von Priestern – alle sollten Priester sein! Alle sollten in direkter Verbindung mit Gott stehen, ohne einen Mittler! Heilige sollten sie alle sein, ein heiliges Volk, mit Sonder­stellung unter allen Völker der Erde, mit besonderer Nähe zu Gott. Diese Sonder­stellung hatte Gott eindrucks­voll vor­bereitet. Er hatte sie unter großen Wunder­zeichen aus der ägyptischen Sklaverei befreit. Er hatte sie trockenen Fußes durchs Schilfmeer ziehen lassen und sie damit vor der ägyptischen Armee gerettet. Er hatte sie in mancherlei Gefahr bewahrt auf ihrer bisherigen Wüsten­wanderung. Im Rückblick sagte Gott zu Mose: „Ich habe euch auf Adlers­flügeln getragen und zu mir gebracht“ – ein wunder­schönes Bild aus der Natur! Wenn eine Adlermutter ihre Jungen zu einem ersten Rundflug ausführt, dann bleibt sie immer in der Nähe. Falls ein Adlerjunges beim Fliegen zu sehr ermüdet und nicht mehr kann, dann fliegt die Adlermutter schnell unter das Junge und lässt es auf ihren Flügeln landen, um es sicher nach Hause zu bringen. So sorgte Gott für sein Volk. Und dann, am Berg Sinai, schloss er seinen Bund mit ihm, machte es zu seinem besonderen Eigentums­volk. Dabei trug er dem Volk auf, ihm gehorsam und treu zu bleiben; dann würden sie ein Königreich von Priestern sein, dann würde jeder einzelne unmittel­baren Zugang zu Gott haben.

Im neuen Bund hat Gott durch seinen Sohn Jesus Christus diese Verheißung auf alle Völker der Erde aus­geweitet. So wie er einst Israel aus ägyptischer Knecht­schaft befreite und unter eindrucks­vollen Wunder­zeichen führte, so hat er durch den Tod und die Auf­erstehung seines Sohnes alle Menschen aus der Knecht­schaft des Teufels befreit. Durch Jesus hilft und schützt Gott auch uns so, wie ein Adler seine Jungen im Fluge auffängt; wir singen darum: „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet.“ So wie Gott Israel einst zur Bundestreue und zum Gehorsam auf­forderte, so fordert er nun alle Menschen auf, sich taufen zu lassen und an Jesus Christus zu glauben. Und so wie er dem Volk Israel damals verhieß: „Ihr sollt ein Königtum von Priestern und ein heiliges Volk sein“, so gilt auch für Gottes neu­testament­liches Volk, für die Christen­heit, dieselbe Verheißung. Der Apostel Petrus hat es ausdrück für uns Christen auf­geschrieben: „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priester­schaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums“ (1. Petrus 2,9). Jeder von uns Christen ist heilig und ein Priester, jeder von uns hat unmittel­baren Zugang zu Gott – direkt und ohne Mittels­mann. In der Theologie sprechen wir vom „Priester­tum aller Gläubigen“ und vom „all­gemeinen Priester­tum“.

Was hat das nun zu bedeuten, dass wir alle Priester sind? Dreierlei hat es zu bedeuten: Wir beten wie Priester, wir dienen Gott wie Priester und wir dienen unseren Mitmenschen wie Priester.

Erstens: Wir beten wie Priester. Nur weil uns das ganz vertraut und selbst­verständlich ist, sehen wir gar nicht mehr das ungeheure Vorrecht, das wir damit haben: Wir dürfen mit allen Anliegen direkt und ohne Umschweife in Gottes Chefzimmer vordringen, ganz ohne Vorzimmer­dame und Ver­mittlung! Wir dürfen ihn vertraulich mit „Vater“ anreden und seine Auf­merksamkeit so lange be­anspruchen, wie wir möchten! Kein Pastor und kein Bischof ist näher bei Gott als jeder andere Christ, und das Gebet eines Geistlichen ist nicht wirk­kräftiger als das Gebet jedes anderen Christen, denn durch die Taufe ist jeder Christ heilig und Gottes Kind, ganz nah an Gottes Herzen. Das Einzige, was einen Keil zwischen uns und Gott treiben könnte, das wäre, wenn wir dieser in der Taufe geschenkten Nähe misstrauten und von dem Vorrecht des Betens keinen Gebrauch machten. Davor bewahre uns Gott! Lasst uns vielmehr diesen Priester­dienst täglich fleißig ausüben, Gott loben und danken, ihm alle unsere Anliegen vortragen und auch die Nöte unserer Mitmenschen sowie die Nöte der Welt im Gebet vor ihn bringen.

Zweitens: Wir dienen Gott wie Priester. Priester bringen Opfer dar. Im alten Israel waren das Sündopfer und Dankopfer. Sündopfer haben wir im neuen Bund nicht mehr nötig, denn Jesus, das Gotteslamm, ist das eine Sündopfer, mit dem ein für alle Mal die Sünden der Welt getilgt sind. Aber Dankopfer können wir als Gottes heilige Priester­schaft noch heute bringen, und wir sollen es auch. Wenn wir Gott zu Ehren singen und und musizieren, ist das ein Dankopfer. Wenn wir mit fröhlichem Herzen Geld in die Kollekte tun und unseren Gemeinde­beitrag großzügig bemessen, ist das ein Dankopfer. Wenn wir in allen Lebenslagen danach trachten, so zu leben, wie es Gott gefällt, dann bringen wir uns selbst als lebendige Dankopfer dar, wie Paulus es formuliert hat. Und wenn wir in Krankheit und Leidens­zeiten unser Kreuz geduldig tragen, wenn wir dabei dankbar und zu­versicht­lich bleiben, dann ist auch das ein Dankopfer, das wir als Priester unserm Herrn darbringen – vielleicht sogar das größte aller Dankopfer.

Drittens: Wir dienen unseren Mitmenschen wie Priester. Ein Priester bringt nicht nur Gebete und Dankopfer vor Gottes Thron, sondern ein Priester bringt auch etwas zurück von Gott: Gottes Wort und Gottes Segen. Wenn wir vom Vater im Himmel und seinem Sohn Jesus Christus Zeugnis geben, dann ist auch das ein Priester­dienst. Wenn wir Fürbitte tun für andere, ist das ebenfalls ein Priester­dienst. Auch wenn wir andere Menschen Gottes Segen spüren lassen, üben wir das Priesteramt aller Gläubigen aus. Ein liebes Wort, eine gute Tat, ein hilfreiches Geschenk, ein großzügiges Verzeihen, sorg­fältiges und treues Dienen – auf vielerlei Weise können wir anderen Menschen zum Segen werden. Auch indem wir unseren Mitmenschen dienen, dienen wir letztlich Gott, denn wir erweisen darin denjenigen Liebe, die Gott auch liebt. Aller Dienst am Nächsten, der Gott zu Ehren geschieht, ist darum ein Dankopfer, ein priester­licher Dienst.

Ja, alle Christen sind Heilige und Priester durch den Herren Jesus Christus. Jeder von uns hat direkten Zugang zu Gott, und jeder von uns kann auch von Gott etwas mitbringen für andere. Da stellt sich die Frage: Warum muss es dann noch Pastoren geben? Die Antwort auf diese Frage steckt im Wort „König­reich“. Gott sagt uns ja in seinem Wort: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern sein.“ Ein Königreich ist ein Volk, eine Gemeinschaft. Gott sagt damit: Wir Christen sind nicht insofern alle Priester, dass jeder nur privat für sich seinen direkten Draht zu Gott pflegen soll, sondern dass wir es gemeinschaft­lich als „heilige Volk“ tun sollen, als Gemeinde, als Herde Gottes. Eine Herde aber braucht Hirten, eine Gemein­schaft braucht eine Struktur und Ämter. Darum hat Gott das Hirtenamt in der christ­lichen Kirche eingesetzt. Es ist nicht so, dass der Kontakt zum lieben Gott nur über die Pastoren laufen würde – das wider­spräche ja dem Priestertum aller Gläubigen. Es ist aber so, dass der Pastor als Seelsorger hilft und darüber wacht, dass der Kontakt zu Gott nicht abreißt. Der Pastor trägt eine Mit­verant­wortung dafür, dass Gottes Wort und Sakrament zu allen Christen kommt, die ihm als Herde anvertraut sind. Ebenso trägt der Pastor die Verant­wortung dafür, dass die Herde nicht durch schlechte Einflüsse irregemacht wird an Gottes Wort. So muss der Pastor mahnen und warnen, wo Gemeinde­glieder in der Gefahr stehen, falsche Ansichten mit Gottes Willen zu ver­wechseln. Der Pastor seinerseits steht unter der Lehr­aufsicht der Kirche. Superinten­dent, Propst und Bischof wachen darüber, dass der Pastor sein Amt in Treue zu Gottes Wort und zu seiner Gemeinde wahrnimmt. Liebe Gemeinde, wir können froh, dass wir zu einer Kirche gehören, in der diese Verant­wortung ernst genommen wird. Auch wenn unsere Kirche verglichen mit den großen Kirchen im Lande schwach und klein ist, sie hat doch ihre große Stärke und Gabe darin, dass sie gewissen­haft am Worte Gottes bleibt. Möge Gott unsere Kirche aus diesem Grund bewahren und möge er in uns die Liebe und Treue zu dieser Kirche stärken – auch wenn wir manchmal menschlich ganz schön enttäuscht sein können über diese Kirche!

Ein Königreich von Priestern und Gottes heiliges Volk sind wir: jeder einzelne ein Priester und Heiliger, als Gemeinde aber ein Königreich und Volk. Und wenn wir hier Sonntag für Sonntag zum Gottes­dienst zusammen­kommen, und wenn ich euch hier Sonntag für Sonntag Gottes Wort verkündige, dann geschieht nichts anderes, als dass wir dieser unserer Bestimmung leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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