Nicht von der Welt, aber in der Welt

Predigt über Johannes 17,11‑19 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Sind wir Christen weltfremd? Mir wird das hin und wieder zum Vorwurf gemacht, dass ich weltfremd bin, und vielleicht geht es ja einigen unter euch ebenso. Stimmt das? Sind wir weltfremd? Und wenn ja, ist das dann etwas Schlechtes? Sollten wir uns ändern, wenn wir weltfremd sind? Was bedeutet das überhaupt – „welt­fremd“? Versteht uns die Welt nicht, verstehen wir die Welt nicht, kapseln wir uns von ihr ab – oder was?

Jesus selbst lehrt uns, die Sache im richtigen Licht zu betrachten. Die Worte unseres Predigt­textes stammen aus seinem sogenannten hohen­priester­lichen Gebet, das er am Abend vor dem Tag seiner Hinrichtung gesprochen hat. Mit diesem Gebet hat er nicht nur zu seinem Vater im Himmel gesprochen, sondern er hat zugleich seinen Jüngern wichtige Erkennt­nisse vermittelt. Seinen Jüngern – also auch uns heutigen Christen. Und da lernen wir von ihm, unser Verhältnis zur Welt differen­ziert zu betrachten. Jesus redet nicht pauschal von Welt­fremdheit, sondern er beschreibt unser Verhältnis zur Welt ganz genau. Er sagt: Seine Jünger sind zwar in der Welt, aber nicht von der Welt. Was das zu bedeuten hat, das zeigt uns der Zusammen­hang seiner Worte. Lasst uns diese beiden Seiten unseres Ver­hältnisses zur Welt jetzt einmal in Ruhe betrachten: Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt.

Ich fange von hinten an: Wir sind nicht von der Welt. Gleich zweimal betont Jesus: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ Bei Jesus selbst ist das klar: Wenn er auch als Mensch von Maria geboren wurde, so ist er doch eigentlich Gottes ein­geborener Sohn. Seine eigentliche Herkunft ist der Vater im Himmel, nicht irgendeine Familie in dieser Welt. Und das, sagt Jesus, gilt auch für uns Christen. Wie sollen wir das verstehen? Ich will es mit einem Beispiel erklären: Ein Kind verliert seine Eltern und wird von einer anderen Familie adoptiert. Biologisch bleibt dieses Kind natürlich ein Nachkomme seiner ur­sprünglichen Eltern, aber praktisch ist es nun ein Kind in der neuen Familie. Es bekommt den Namen der neuen Familie, es sieht die Kinder seiner neuen Familie als seine Geschwister an, es wird in dieser Familie erzogen und von dieser Familie geprägt. Die Adoptiv­familie prägt sein Leben mehr als seine toten Eltern. So ähnlich ist das mit uns Christen. Biologisch sind wir natürlich von der Welt, wir sind in sie hinein­geboren wie alle anderen Menschen; wir heißen sozusagen Hans von Welt oder Grete von Welt. Dann aber ist mit der heiligen Taufe Gott gekommen und hat uns adoptiert. Durch Wasser und Wort hat er uns zu seinen Kindern gemacht. Er hat uns durch das Blut Jesu geheiligt – „heilig“ bedeutet: „zu Gott gehörig“. Es ist so gekommen, wie Jesus damals gebetet hat: „Heilige sie in der Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit.“ Durch die Taufe sind wir neue Kreaturen, wie neu geboren. Genau das ist übrigens der Name des heutigen Sonntags: Quasimodo­geniti, das heißt: „Wie neu geborene Kinder“. Wie gesagt, die neue Geburt der Taufe gleicht einer Adoption. Unsere natürliche Geburt in der Welt wird dadurch nicht aufgehoben, aber die natürliche Welt ist nicht mehr die Familie, die uns in erster Linie prägt, sondern Gottes Familie ist es. Und Jesus Christus, Gottes ein­geborener Sohn, ist dadurch unser Bruder geworden. Auch ein Namens­wechsel hat statt­gefunden, wie es bei einer Adoption oft üblich ist: Wir heißen jetzt nicht mehr Hans von Welt oder Grete von Welt, sondern wir heißen jetzt Hans von Gott oder Grete von Gott. Diesen neuen Namen bestätigt uns Jesus immer wieder durch sein Wort, mit dem er uns Gottes Gnade zuspricht, und so erhält und bewahrt er uns in der neuen Familie. Wer nicht ausreißt, darf für immer dazu­gehören. Und Jesus bittet auch seinen himmlischen Vater für uns und spricht: „Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast.“ Wir sehen: Obwohl wir Christen ganz normale Menschen­geschöpfe sind, ist doch unsere neue Familie und unser neuer Name prägend für das ganze Leben: Wir sind nicht mehr von der Welt, wir sind jetzt von Gott.

Und nun zum zweiten Teil der Predigt: Wir sind noch in der Welt. In dieser Welt sollen wir auch ganz bewusst stehen als Christen, mit beiden Beinen sozusagen. Wir sollen uns nicht von ihr abkapseln; ein welt­abgewandtes Leben hat mit echter Heiligkeit und Jesus-Nachfolge nichts zu tun. Denn Jesus hat gebetet: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.“ Wir sind Gottes Gesandte in dieser Welt, Gottes Bot­schafter, wir haben hier eine Mission. Darum sind wir der Welt zugewandt und hoffentlich nicht weltfremd. Wir sehen die Welt auch ganz nüchtern, wie sie ist, mit all ihrer Schlechtig­keit und Sünde. Wir verstehen was von der Erbsünde und bilden uns daher nicht ein, dass man mit ein paar Appellen an die Vernunft und mit dem richtigen Schulsystem die menschliche Gesell­schaft in Ordnung bringen könnte. Wir wissen, dass der Mensch im Grunde seines Herzens egoistisch, gottlos und gemein ist; aus eigener Kraft kann er daran nichts ändern. Weltfremd sind vielmehr diejenigen, die das nicht wahrhaben wollen und immer noch davon träumen, das Paradies auf Erden zu errichten. Wir erkennen sehr realis­tisch, dass nur eines die Menschen retten kann, und das ist die Adoption von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus. Darum sind wir Christen noch in der Welt, darum hat Christus uns Jünger ausgesandt, dass wir sein Wort ausbreiten.

Nun will ich noch auf die Frage eingehen: Was bedeudtet das denn praktisch, dass wir Christen nicht von der Welt, aber in der Welt sind? Hat das irgend­welche Auswir­kungen auf unser tägliches Leben? Allerdings hat es das. Ob ein Mensch von Gott oder von der Welt ist, das prägt seine Einstellung zu den Dingen und Problemen der Welt und das beeinflusst dadurch auch sein Verhalten. Drei Bereiche möchte ich als Beispiel nennen.

Erster Bereich: Das Geld. Wer von der Welt ist, macht sich viele Sorgen ums Geld und denkt oft, er hat zu wenig davon. Weil wir zu Gottes Familie gehören, wissen wir, dass unser Vater unermess­lich reich ist, ihm gehört nämlich alles. Darum haben wir als seine Kinder keine Geldsorgen. Nicht, dass unser Vater uns immer alles schenken würde, was wir gerade möchten, das tut ja kein ver­antwort­licher Vater. Aber wir wissen auch, dass er uns nicht im Stich lässt. Wie gesagt, darum haben wir Christen keine Geldsorgen; in der Kirche brauchen wir auch keine zu haben. Wir können unsern Vater um alles bitten, was wir brauchen; er fordert uns direkt dazu auf. Und wenn wir die Erfahrung machen, dass unser Geld mal nicht reicht, dann wissen wir: Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig Geld haben, sondern das Problem ist, dass wir zu große Wünsche haben!

Zweiter Bereich: Die Leistung. Wer von der Welt ist, bewertet sich selbst und andere Menschen meistens nach der Leistung. Ein guter Schüler ist einer, der gute Leistungen erbringt, die sich dann in guten Zensuren nieder­schlagen. Ein guter Sportler ist einer, der schneller rennt oder weiter springt als andere – wieder zählt nur die Leistung. Ein guter An­gestellter leistet in seinem Beruf so viel, dass die Firma durch ihn guten Gewinn macht. Und ein guter Christ? Ja, manche Leute denken, auch ein Christ ist dann gut, wenn er viel leistet, wenn er zum Beispiel viel Gutes tut und viel betet. Aber das stimmt nicht. Denn wer zu Gottes Familie gehört, für den ist die Leistung gar nicht mehr so wichtig. Es gibt ja eigentlich gar keine guten und schlechten Christen, es gibt einfach nur Christen, Kinder Gottes, die durch Taufe und Glaube zu Gottes Familie gehören. Und in dieser Familie werden die Menschen nicht nach Leistung bewertet, sondern nach Gottes Barmherzig­keit. Darum sind alle Christen gleich heilig und gleich wert vor Gott, auch gleich geachtet. Denn dass wir zu Gott gehören dürfen, ist nicht unser Verdienst, sondern es ist Gottes Geschenk durch Christus. So gehen wir Christen auch in der Welt gelassener mit der Leistung um. Wir wissen: Der Wert eines Menschen besteht unabhängig von dem, was er leistet. Das kranke, alte und behinderte Leben ist ebenso viel wert wie das leistungs­starke Leben. Auch mache ich mein Selbstwert­gefühl nicht von Leistungen abhängig, denn ich weiß ja als Kind Gottes: Mein Versagen verdammt mich nicht, und meine Leistung rettet mich nicht. So kann ich sehr gelassen damit umgehen.

Und schließlich der dritte Bereich: Die Mit­menschen. Wer von der Welt ist, beurteilt seine Mitmenschen sehr kritisch und sortiert sie nach Sympathie und Antipathie, nach gut und böse, nach Inländer und Ausländer, nach Freund und Feind. Wer zu Gottes Familie gehört, der weiß: Der Vater im Himmel hat alle Menschen gleich lieb. Darum möchte er, dass auch wir, seine Kinder, alle Menschen gleich lieb haben. Den Ausländer sollen wir bei uns nicht verachten. Einem un­sympathi­schen Menschen sollen wir unsere Abneigung nicht spüren lassen. Sogar unseren Feinden sollen wir Liebe erweisen, wie Jesus das vorgemacht hat.

Geld, Leistung, Mitmenschen – nur drei Beispiele dafür, was es praktisch heißt, in der Welt zu sein und doch nicht von der Welt zu sein. In anderen Bereichen ließe sich das ebenso sehen, etwa in den Bereichen Staats­treue, der Sexulität oder der Freizeit­gestaltung. Auch da wird der Vater im Himmel uns mit Hilfe seines Heiligen Geistes zeigen, was es heißt, zu seiner Familie zu gehören. Bitten wir ihn nur um Hilfe und Beistand, achten wir auf seine Wegweisung, dann werden wir immer besser lernen, was es heißt, in der Welt zu sein, aber nicht von der Welt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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