„Hosianna“

Predigt über ein Wort aus Johannes 12,13 zum Sonntag Palmarum

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Hosianna“ riefen die Menschen Jesus zu, als er in Jerusalem einzog. „Hosianna“ singen wir bei jeder Abendmahls­feier und auch sonst hin und wieder im Gottes­dienst. „Hosianna“ – was bedeutet das eigentlich? Darüber wollen wir uns jetzt Gedanken machen. Freilich ist es mit einer bloßen Übersetzung dieses hebräischen Wortes nicht getan; es gibt auch kein deutsches Wort, das dem Hosianna entspricht. Darum will ich mit einer kleinen Beispiel­geschichte deutlich machen, was Hosianna bedeutet.

Der Bundes­präsident gibt einen Empfang am Schloss Bellevue. Neben Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport sind auch einige normale Bürger eingeladen. Das Fest ist in vollem Gange, da schreit plötzlich eine junge Frau in der Nähe des Präsi­denten: „Hilfe!“ Alle erschrecken und denken, es passiert gerade etwas Schlimmes. Schon sind Leute zur Stelle, deren Beruf es ist zu helfen: Polizisten, Sanitäter. Wenn die junge Frau jetzt erklären würde, sie wollte nur den Bundes­präsidenten bei einem Problem mit dem Arbeits­losengeld um Hilfe bitten, dann würde man sie für verrückt halten und schnell von dem Fest entfernen. Zur Zeit der Antike allerdings, da hätte man sie verstanden, da war es durchaus üblich, dass Untertanen ihren König derart lautstark um Hilfe baten. Und wenn das damals einer auf Hebräisch tat, dann rief er nicht „Hilfe!“, sondern „Hosianna!“, zu deutsch: „So hilf doch!“ Mit dieser Information haben wir allerdings immer noch kein voll­ständiges Bild davon, was Hosianna bedeutet. Daher muss ich meine Beispiel­geschichte noch ein wenig weiter­spinnen: Kaum ist die Hilfe-Ruferin entfernt, da erhebt sich an einer anderen Ecke schon wieder Geschrei. Eine Gruppe junger Männer gröhlt: „Olé-olé-olé!“ - so, wie man es sonst im Fußball­stadion hört. Alle wenden die Köpfe: Ist da vielleicht ein Fußballstar unter den Gästen? Auch in diesem Fall hätte man kaum Verständnis dafür, wenn die jungen Männer an­schließend erklären: „Wir wollten doch nur unseren Präsidenten ehren und ihm zujubeln!“ Die meisten würden denken, das ist nicht ehrlich gemeint, die wollen den nur veräppeln. Wieder hätte man in der Antike die Sache besser verstanden. Da war es selbst­verständlich, dass die Untertanen ihrem König lautstark zujubelten, wenn er auftauchte. Und das Jubelwort war damals genau dasselbe wie der Hilferuf, nämlich wieder „Hosianna“. So, jetzt haben wir ein ziemlich genaues Bild von dem, was Hosianna bedeutet: Es ist eine Kombination von „Hilfe!“ und „Olé-olé-olé!“, einem König zugerufen. Das sind auch die beiden Hauptteile meiner Predigt: Der erste heißt „Hilfe!“, der zweite „Olé!“.

Kommen wir zum Teil „Hilfe!“. Hilfe erbittet man normaler­weise immer dann, wenn man sich selbst nicht helfen kann. Es gibt zwar auch Leute, die bitten andere um Hilfe, weil sie zu faul sind, sich selbst zu helfen, aber von denen will ich hier nicht reden. Wer sich nicht selbst helfen kann, der bittet einen anderen, von dem er erwartet, dass ers kann. So bittet zum Beispiel ein kleines Kind seinen Vater um Hilfe. Kinder kommen bei der Selbsthilfe ja sehr schnell an eine Grenze, aber sie haben großes Vertrauen in den Vater. Der Vater weiß viel, der Vater kann viel. Wir sehen: Jemanden um Hilfe bitten, das bedeutet, seine Macht an­zuerkennen, denn „Macht“ kommt von „machen“: Wer mehr machen kann, als was ich machen kann, der hat mehr Macht als ich; darum bitte ich ihn um Hilfe. Im Altertum war ein König praktisch ein Vater für Erwachsene – jedenfalls, wenn er ein guter König war. Wer sich selbst nicht helfen konnte, der ging zum König, der ja viel Macht hatte, und bat ihn: „Hosianna“ – „Hilf doch!“ Dann hat sich der König den Fall angehört, hat ein Urteil gesprochen oder hat auch mal ein paar Soldaten los­geschickt, um zu helfen. Heute haben wir Erwachsenen keinen König mehr, den wir so um Hilfe bitten könnten wie Kinder ihren Vater. Dafür gibt es eine Fülle von Spezialis­ten und Anlauf­stellen, wo wir Hilfe finden, wenn wir uns nicht selbst helfen können. Bei gesund­heitlichen Problemen hilft der Arzt, bei Computer­problemen hilft der fachkundige Freund, bei Geldnöten hilft das Amt für Grund­sicherung, und so weiter. Diese Leute sind zwar nicht alle unbedingt mächtiger als der Bittende, aber sie können bei einem speziellen Problem weiter­helfen, oder sie versuchen es zumindest. Dann bleibt allerdings noch die Frage offen, was wir mit Problemen machen, für die keiner so recht zuständig ist. Wenn wir vielleicht nicht einmal selbst genau sagen können, was für Hilfe wir nötig haben. Wenn da einfach nur so eine unbestimmte Unzufrieden­heit vorhanden ist, oder eine unbestimmte Angst, die wir uns gar nicht recht erklären können. Wer Gott kennt, der weiß: Wir haben einen Vater und König im Himmel, an den wir uns in diesem Fall und in jedem Fall um Hilfe wenden können. Der ist nicht nur mächtiger als wir, der ist sogar allmächtig. Zu dem können wir in jeder Hinsicht „Hosianna“ rufen, „Hilf doch!“ So wird es uns auch in vielen Psalmen vor­gesprochen; viele Psalmen enthalten im hebräischen Urtext dieses Wort als Gebetsruf. Und wir glauben ja auch, dass letztlich alle Hilfe von ihm erbeten werden kann und von ihm kommt – und sei es die medi­zinische Hilfe durch den Arzt, die Hilfe beim Computer­absturz durch den guten Freund oder die Hilfe zum Lebens­unterhalt durch das Amt für Grund­sicherung. Gott hat sein Boden­personal, durch das er uns täglich und reichlich hilft – oft merken wir das nicht einmal. Und manchmal, in schwachen Stunden, denken wir sogar: Ob er mir wirklich helfen will? Ich spüre so wenig davon! Dafür hat der Vater im Himmel Verständ­nis. Darum hat er seinen Sohn als Mensch in die Welt geschickt, damit wir ihn richtig kennen­lernen. An Gottes Sohn erkennen wir, dass Gott hilft und auch wie er hilft. Er kümmert sich liebevoll um jeden Einzelnen. Er hilft und heilt mit großer Macht. Er ruft in seine Nachfolge, damit die Menschen Leben die Fülle haben. Und er hat das größte Problem gelöst, mit dem wir uns in dieser Welt hilflos herum­schlagen, nämlich das Problem unserer Sünde. Der Name des Gottessohns ist Programm: Jesus heißt er, zu deutsch „Heiland“, „Retter“ oder „Helfer“. Der Name Jesus geht auf das hebräische Verb „jascha“ zurück, das heißt „retten“ und „helfen“. Es ist dasselbe Verb, das in „Hosianna“ drinsteckt: „Rette doch!“, „Hilf doch!“ Wir sehen: Bei keinem lässt sich besser Hilfe erbitten als bei Jesus. Mit unserem Hilferuf „Hosianna“ stellen wir die Verbindung her zu seinem Retternamen „Jesus“, und durch ihn finden wir Hilfe und Rettung beim himmlischen Vater. Sogar Rettung bei dem einen letzten Problem, dem kein Mensch gewachsen ist, Rettung aus dem Tod. Ist das nicht fan­tastisch?

Ja, das ist fan­tastisch. Und damit sind wir beim zweiten Teil der Predigt: „Olé-olé-olé!“ Mit Jesus und mit seinem Vater im Himmel haben wir einen so großartigen Helfer, dass wir ihm einfach zujubeln müssen. So wird aus dem Hilferuf „Hosianna“ der Jubelruf „Hosianna“. Das ist schon mit dem Psalmvers vorgegeben, den Menschen beim Einzug Jesu in Jerusalem riefen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Psalm 118,25). Wer dem Hilflosen helfen kann, der ist mächtig. Wer dem Hilflosen so helfen kann wie Jesus, der ist allmächtig. Darum: Wenn man schon mit einem Hosianna-Ruf damals die Macht eines Königs loben konnte, um wieviel mehr kann man damals wie heute die Allmacht Gottes mit einem Hosianna-Ruf loben! Dasselbe geschieht übrigens, wenn wir „Kyrie eleison“ beten, „Herr, erbarme dich“; das ist praktisch „Hosianna“ auf Griechisch. Auch mit dem Ruf „Kyrie eleison“ hat man in der Antike einen König um Hilfe gebeten und zugleich seine Macht gepriesen. Nun kann natürlich jemand einwenden: Wir leben nicht mehr in der Antike, wir leben im 21. Jahr­hundert. Richtig. Im 21. Jahrhundert tun wir uns schwer zuzugeben, dass wir doch eigentlich ziemlich hilflos sind. Die Typen zum Beispiel, die den Fußball­stars „olé-olé-olé“ zurufen, die halten sich für ziemlich cool und würden ihren Kumpels gegenüber nie zugeben, wo sie schwach und hilflos sind. Und die Stars auf dem Rasen könnten ihnen ja auch gar nicht helfen. Wer auf der anderen Seite die Hilfe des Arztes, des computer­begabten Freundes oder des Amts für Grund­sicherung in Anspruch nimmt, wird kaum in be­geisterten Jubel ausbrechen und die Macht des Helfers preisen. Oft genug bittet man ja um Hilfe in dem Bewusst­sein, dass man einen Anspruch auf Hilfe hat. Im 21. Jahrhundert wird ein Helfer meistens nicht als Herr angesehen, sondern als ein Diener, der uns die Hilfe schuldig ist. Aber dass wir nur ja nicht so über Jesus denken! Es wäre fatal zu meinen, wir haben durch ihn einen Anspruch auf Gottes Hilfe und er müsse uns als Diener zu einem Leben verhelfen, wie wir uns das gern einrichten wollen. Es wäre auch falsch, sich die Hilfe Jesu einfach routine­mäßig abzuholen bei der Beichte und im Abendmahl, vielleicht noch artig mit einem Gebet „danke“ zu sagen und ihn dann wieder für eine Weile zu vergessen. Vergiss nicht, was er dir schon alles gegeben hat seit deiner Taufe – mehr als jeder Arzt, jeder Freund, jede Behörde und vor allem jeder Fußball­star! Bedenke, was er dir noch alles geben will, was er dir versprochen hat – für dein ganzes Leben in dieser Welt und für das ewige Leben danach! Wenn wir uns das klar machen, muss unser Hilferuf an ihn zugleich ein Jubelruf werden.

Darum wollen wir lernen, ihm das Hosianna richtig zuzurufen. „Hosianna – Hilfe, Jesus!“ – „Hosianna – olé, olé, olé, Jesus!“ – „Gelobt sei, der da kommt, im Namen des Herrn.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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