Menschenpolitik und Gottes Politik

Predigt über Johannes 11,47‑53 zum Sonntag Judika

Lieber Brüder und Schwestern in Christus!

Politik bleibt Politik; sie wird noch heute nach denselben Spielregeln wie vor 2000 Jahren gemacht. Es ist ein Spiel um Macht und Ansehen, ein Spiel um Aufstieg und Unter­drückung, ein Spiel der Angst und der Psycho­logie. Noch heute ist da die Angst vor dem politischen oder mili­tärischen Gegner, noch heute werden unbequeme Leute kalt gestellt oder sogar vernichtet, noch heute ringen die Mächtigen um den Erhalt ihrer Macht und um immer mehr Macht – teils mit legalen Mitteln, teils auch mit fiesen Tricks. Insofern fällt es uns nicht schwer, das Kurz­protokoll der Ratssitzung zu deuten, das im elften Kapitel des Johannes­evangeliums doku­mentiert ist.

Der Hohe Rat war das oberste Gremium der Juden zur Zeit Jesu. Dieses sogenannte Synhedrion bestand aus siebzig führenden Geist­lichen, die unter der Leitung des amtierenden Hohen­priesters zusammen­kamen. Sie berieten und entschieden in allen weltlichen und religiösen Angelegen­heiten, die das ganze jüdische Volk betrafen. So kam es, dass eines Tasges auch Jesus von Nazareth auf ihrer Tages­ordnung stand. Zu dieser Zeit hatte Jesus den Höhepunkt seiner Bekanntheit und Beliebtheit erreicht. Im ganzen Land redete man von seinen Wunder­taten, hunderte zogen mit ihm von Ort zu Ort, und tausende kamen, um seine Predigten zu hören. In Windeseile hatte sich die Kunde von seinem neusten Wunder aus­gebreitet, das alles Bisherige in den Schatten stellte: In Bethanien hatte Jesus einen Toten wieder lebendig gemacht, der schon drei Tage lang im Grab gelegen hatte – Lazarus, den Bruder von Maria und Martha. Jesus hätte jetzt nur ein Wort zu sagen brauchen, und tausende von Frei­willigen wären ihm in den Befreiungs­kampf gefolgt gegen die verhasste römische Besatzungs­macht. Das bereitete dem Hohen Rat ver­ständlicher­weise Kopf­zerbrechen. Zunächst einmal analy­sierten sie die Lage. Sie sagten: „Was sollen wir machen? Dieser Mann tut so viele Wunder. Wenn wir ihn weiter­machen lassen, werden sich ihm noch alle an­schließen. Dann werden die Römer ein­schreiten und uns die Verfügungs­gewalt über Tempel und Volk entziehen.“ Der Vor­sitzende, der amtierende Hohe­priester Kaiphas, ließ sie eine Weile so herumreden, dann haute er mit der Faust auf den Tisch (wenigstens im über­tragenen Sinn) und sprach ein Machtwort: „Wo habt ihr euren Verstand? Seht ihr nicht, dass es günstiger für euch ist, wenn einer für alle stirbt, als wenn das ganze Volk vernichtet wird?“ Da ist sie, die politische Lösung! Jesus ist ein Risiko­faktor und muss weg. Dem Wortlaut nach war Kaiphas besorgt um die öffentliche Sicherheit und argu­mentierte so: Wenn dieser Fanatiker zum Aufstand bläst, werden die Römer nicht lange fackeln, brutal zum Gegen­angriff übergehen und den Juden auch noch das letzte Bisschen Selbständig­keit nehmen. Innerlich ging es Kaiphas natürlich auch ganz persönlich um die Macht. Ein Wander­prediger, der beliebter ist als der Hohe­priester, gefährdete seine führende Stellung; darum muss er weg. Der Zweck heiligt die Mittel. Als guter Politiker fand Kaiphas denn auch eine elegante Formu­lierung, die seinen Beschluss im besten Licht erscheinen lässt: Besser nur ein Toter als ein schreck­liches Blutbad in einer Auseinander­setzung mit den Römern – da kann keiner was dagegen haben! Der Tod Jesu war von dem Tag an be­schlossene Sache.

Wir kennen das, liebe Mit­christen: Auch heute gibt es ja Politiker, die über­zeugende Argumente für zweifel­hafte Maßnahmen vorbringen und denen es dabei letztlich um die Festigung der eigenen Macht­position geht. Aber wenn wir das fest­stellen, dann müssen wir auch die Frage be­antworten: Wo ist denn nun der Haken bei der Sache? Was machen solche Politiker falsch? Was hat Kaiphas damals falsch gemacht? Oder hat er etwa gar nichts falsch gemacht? Doch, offen­sichtlich hat er etwas falsch gemacht, wenn er ver­anlasste, dass ein Un­schuldiger getötet werden soll, auch wenn seine Argumente dafür noch so ein­leuchtend sind. Sein Fehler ist der Fehler der National­sozialisten, die durch die Gestapo unbequeme Personen ver­schwinden ließen, weil sie doch angeblich dem deutschen Volk schadeten. Es ist der Fehler der DDR-Politiker, die an einer Befestigungs­anlage mitten in Deutschland Menschen erschießen ließen, nur weil diese ein Leben in Freiheit suchten, und natürlich gab es dafür eine wohl­klingende sozialisti­sche Erklärung. Es ist der Fehler der heute in Deutschland regierenden Volks­vertreter, wenn sie es ungestraft zulassen, dass wehrlose Menschen­kinder noch vor ihrer Geburt getötet werden – und zwar nur deshalb, weil sich diese Volks­vertreter bei vielen Leuten unbeliebt machen würden, wenn sie die Abtreibung wieder unter Strafe stellen wollten. Ihr Fehler ist es, dass sie nicht nach Gottes Willen fragen und seine Gebote nicht achten.

Es ist nun leicht, über Politiker zu urteilen. Aber immer, wenn wir mit dem Finger auf einen Schuldigen zeigen, dann zeigen drei Finger auf uns selbst. Wie steht's denn mit unserer privaten Lebens­politik? Machen wir das nicht auch so, dass wir uns dauernd vor anderen Menschen mit allerlei schönen Argumenten recht­fertigen, und in Wirklich­keit geht es um sehr egoistische Interessen? Und wie gehen wir persönlich mit unbequemen Leuten um? Natürlich töten wir sie nicht! Aber entwickeln wir nicht allerlei Strategien, um sie uns vom Leibe zu halten, damit wir unsere Ruhe haben oder damit sie unseren eigen­süchtigen Plänen nicht in die Quere kommen? Menschen, die uns vielleicht etwas Wichtiges zu sagen haben, auch wenn's unbequem ist? Menschen, die vielleicht unsere Hilfe brauchen? Ändern wir uns, lassen wir uns nicht von Menschen­politik leiten, sondern machen wir es so, wie es Jüngern Jesu ansteht: Fragen wir unsern Herrn im Gebet um Rat und achten wir darauf, welche Weisungen er uns dann gibt – vor allem in seinem Wort, in seinen Geboten!

Das Kurz­protokoll von der Sitzung des Hohen Rates ist aber nicht nur ein Lehrstück in Menschen­politik, sondern auch ein Lehrstück in Gottes Politik. Denn es ist ja nun interessant zu sehen, wie Gott mit dem allem umgeht. Da können wir eine hoch­interessante Entdeckung machen: Die politisch gerissene Begründung für den ver­werflichen Plan des Kaiphas wird zu einer göttlichen Prophe­zeiung! Gott bewirkt, dass Kaiphas seine schlechten Gedanken so formuliert, dass Gottes gutes Erlösungs­werk damit geweissagt wird! Kaiphas sagte: „Seht ihr nicht, dass es günstiger für euch ist, wenn einer für alle stirbt, als wenn das ganze Volk vernichtet wird?“ Er meinte die Hinrichtung Jesu zur Vermeidung eines Bürger­kriegs. Gott aber meinte den Sühnetod seines Sohnes in Stell­vertretung für die ganze Menschheit! Die Worte des Kaiphas sagen beides aus! Es sind einerseits die Macht­gedanken des gewissen­losen Politikers Kaiphas, es sind anderer­seits die pro­phetischen Heilsworte Gottes, dem von ihm selbst bestellten Hohen­priester in den Mund gelegt. Das ist Gottes Politik! Gott nimmt das Schlechte der Menschen und macht etwas Gutes daraus. Gott macht, dass aus böser Saat Heils­früchte wachsen. Und das nicht nur in diesem einen Fall, sondern immer wieder. Das Alte und das Neue Testament geben uns zahlreiche Beispiele dafür, von Josef bis Judas. Jakobs Söhne zum Beispiel wollten ihren an­geberischen Bruder Josef loswerden und verkauften ihn in die Sklaverei nach Ägypten; dort stieg er zum Stell­vertreter des Pharao auf und sorgte in dieser Position dafür, dass seine gesamte Familie vom Hungertod errettet wurde. Sein nach­träglicher Kommentar dazu: „Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen; und er hat's auch gut gemacht, wie man jetzt nach­träglich sieht!“ Das ist Gottes Politik! Judas hat Jesus aus Bosheit und Geldgier verraten, aber Gott machte Judas gegen seinen Willen zu einem Handlager seines Heilswerks: Durch Judas wird Jesus gefangen, verurteilt und hin­gerichtet; damit nahm Jesus die Schuld der Welt auf sich. Gott ist mächtiger als alle Mächtigen. Er gebraucht auch böse Menschen für seine guten Pläne, er schreibt auf krummen Linien gerade. Das ist Gottes Politik!

Und du und ich und alle Christen haben den Vorteil davon. Denn was bedeutet das für jeden von uns, dass Gott das Böse der Menschen nimmt und Heil daraus werden lässt? Es bedeutet: Gib ihm das Böse von dir, bekenne ihm deine Schuld, deinen Egoismus, deine schlechten Gedanken, deine verlogenen Worte, deine lieblosen Taten, deine faulen Versäum­nisse – gib ihm alles Böse und lass ihn etwas Gutes daraus machen! Er tut es, er hat es schon getan durch seinen Sohn Jesus Christus am Kreuz. Wenn du ihm dein Böses gibst, dann nimmt er es und macht etwas Gutes daraus. Er sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Er gibt dir Christi Leib und Blut zu essen und zu trinken und sagt: „Für dich gegeben, für dich vergossen, zur Vergebung der Sünden!“ Und er sagt auch: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Das ist Gottes Poliktik. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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