Hilferuf und Antwort

Predigt über Jeremia 15,15‑21 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Gemeinde!

Seine Mitbürger hielten ihn für einen Querulanten und Eigen­brötler, vielleicht auch für einen religiösen Spinner. Er war nicht verheiratet – für die damalige Zeit sehr un­gewöhnlich. Er hatte kaum Freunde. Keine Party feierte er mit; er wurde ja auch nie eingeladen. Immerzu redete er von Gott, und zwar in einer sehr un­angenehmen und ver­störenden Weise. Im Namen Gottes klagte er die Schlechtig­keit seiner Zeit­genossen an, rief sie zur Umkehr auf und drohte mit einer un­barmherzi­gen Strafe. Er redete von einem schlimmen Krieg, von einer ent­setzlichen Niederlage und von einer schmach­vollen Gefangen­schaft. Er hieß Jeremia. Wir wissen heute, dass er wirklich im Auftrag Gottes redete. Und Gott war es auch, der ihm das Leben eines Außen­seiters zugemutet hatte. Jeremia war keineswegs gern und freiwillig Gottes Bote geworden. Vielmehr hatte Gott ihn in einer Vision berufen, als er noch ein junger Mann gewesen war. Jeremia wollte erst nicht und meinte, er sei zu jung zum Predigen, niemand werde auf ihn hören. Aber Gott ließ keine Ausflüchte gelten, und so fügte sich Jeremia in sein Schicksal. Den größten Teil seines Lebens musste er Gottes Unheils­verkündiger sein, über fünfzig Jahre lang. Und so war sein Leben von dieser Mission geprägt, oder eigentlich: belastet. Jeremia wurde gemieden, ausgelacht, beschimpft und verfolgt. Die Mächtigen im Lande hatten ihn auf dem Kieker; in ihren Augen war er ein gefähr­licher Stören­fried.

Aus der Bibel wissen wir, dass Jeremia unsäglich unter seinem Auftrag litt. Das Buch Jeremia gibt uns einen guten Einblick nicht nur in seine Predigten und seine Lebens­umstände, sondern auch in seine Seele. Vieles von seinen Gesprächen mit Gott ist dort nieder­geschrieben, seine Klagen, seine Gebete, auch Gottes Antworten. Unser Predigttext ist ein Ausschnitt aus so einem Gespräch des Propheten mit seinem Schöpfer und Auftrag­geber. Wir können uns vorstellen, dass dieses Gespräch am Abend eines de­primieren­den Tages statt­gefunden hat. Wieder hatte er gepredigt, wieder hatten ihm seine Feinde arg zugesetzt, wieder war ihm seine Ausgrenzung schmerzlich bewusst geworden. Vielleicht hatte er sich nach diesem frustrie­renden Tag einfach auf den Fußboden geworfen und angefangen mit Gott zu reden. „Wäre ich doch bloß nicht geboren worden!“, so jammerte er zu Anfang. Und was er noch seinem Herrn im Himmel zu sagen hatte, das haben wir vorhin als Predigttext gehört: „Ach Herr, gedenke an mich und nimm dich meiner an und räche mich an meinen Ver­folgern!“ Ein leiser Vorwurf schwingt in diesen Worten mit; Jeremia fühlt sich ungerecht behandelt. Er hat sich breit schlagen lassen, Gottes Unglücks­botschaft weiter­zusagen, er war gehorsam, er war treu. Nun musste er leiden, während es seinen Wider­sachern gut ging. Bisher hatte sich Jeremia bei dieser scheinbaren Ungerechtig­keit noch damit getröstet, dass er als Prophet Gott viel näher war als die anderen. Er saß ja an der Quelle von Gottes Wort, und für ihn war Gottes Wort tröstlich und hilfreich. Er ver­innerlichte dieses Wort; es war sein tägliches Brot, es prägte sein Leben. Er erkannte das in seinem Gebet an: „Dein Wort ward meine Speise, so oft ich's empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost; denn ich bin ja nach deinem Namen genannt, HERR, Gott Zebaoth.“ Gottes Name steckt tatsächlich in Jeremias Namen drin, nämlich der Name Jahwe: „Jahwe gründet“, bedeutet „Jeremia“ auf deutsch. Aber jetzt waren die Lebens­umstände derart belastend geworden, dass selbst Gott ihm fremd zu werden drohte. Es sah so aus, als ob Gott seinen Zorn an Jeremia auslässt und die Widersacher segnet; dabei müsste es doch umgekehrt sein! Wo blieb da Gottes Gerechtig­keit? Jeremia klagte: „Du bist mir geworden wie ein trüge­rischer Born, der nicht mehr quellen will.“ Eigentlich redete Jeremia hier nicht von einer Quelle, sondern von einem Wadi, also von einem Fluss, der nur zur Regenzeit Wasser führt und im Sommer aus­trocknet. Sollte nun zu allem Unglück auch noch Gottes Segensstrom versiegen, der ihn bisher tröstete und am Leben hielt? War alles vergeblich, war er nun am Ende?

Gottes Antwort an Jeremia ist anspruchs­voll; sie richtete sich an einen im Glauben reifen Menschen. Gott versprach dem Jeremia nicht, dass sein Leben künftig leichter wird. Er verhieß ihm auch nicht, dass seine Rache­gedanken befriedigt werden und er den Untergang seiner Feinde erleben wird. Gott erwiderte vielmehr: „Wenn du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten, und du sollst mein Prediger bleiben. Und wenn du recht redest und nicht leicht­fertig, so sollst du mein Mund sein.“ Gott ermahnte seinen Propheten: Mach nur nicht schlapp, werde nur nicht irre an deinem Auftrag, und bleibe mir treu! Lass dich nicht dazu hinreißen, mich anzuklagen! Dann kannst du mein Bote bleiben, und ich werde schon dafür sorgen, dass die anderen dir nichts anhaben können. Es wird die Zeit kommen, wo sie merken werden, dass du recht hast; lass dich nur nicht von ihnen be­einflussen! „Sie sollen sich zu dir kehren, doch du kehre dich nicht zu ihnen! Denn ich mache dich für dies Volk zur festen, ehernen Mauer. Wenn sie auch wider dich streiten, sollen sie dir doch nichts anhaben.“ Und am Ende ließ Gott den Jeremia wieder den herrlichen Trost seines Wortes trinken, die herrliche Zusage: „Ich bin bei dir, dass ich dir helfe und dich errette. Und ich will dich eretten aus der Hand der Bösen und erlösen aus der Hand der Tyrannen.“

Gott erhörte Jeremias Hilferuf: „Ich bin bei dir, dass ich dir helfe.“ Wer diesen Satz in der hebräischen Original­sprache liest, findet da für „helfen“ das Wort „jascha“. Es ist dasselbe Wort, das auch im Namen „Jesus“ drinsteckt. „Jesus“ heißt „Helfer“ und „Retter“. Und so wies Gott in dieser Antwort an den verzagten Jeremia bereits versteckt auf den einen Helfer hin, den er dann als Erlöser für die ganze Welt geschickt hat: seinen Sohn Jesus Christus.

Liebe Brüder und Schwestern, Gott führt jeden von uns seinen eigenen, einzig­artigen Weg. Wahr­scheinlich ist für die meisten von uns der Lebensweg sehr verschieden von dem des Propheten Jeremia. Wahr­scheinlich sind den meisten von uns die Nöte und An­fechtungen des Jeremia eher fremd. Dafür gibt es andere Nöte und An­fechtungen in unserem Leben. Vielleicht hängen sie mit unserem Glauben zusammen, vielleicht auch nicht. In jedem Fall aber sollen wir wissen, wo wir Hilfe finden. Wir dürfen uns in Zeiten der Not genauso vor Gott hinwerfen wie Jeremia; wir dürfen ihm allen Kummer, alle Schmerzen, allen Frust und jede Ent­täuschung vor die Füße werfen. Gott hört geduldig zu, und er antwortet. Seine Antwort an Jeremia ist eine zeitlose Antwort, die wir getrost auf uns beziehen können. „Ich bin bei dir, dass ich dir helfe und dich errette.“ Er hat dir schon geholfen durch seinen Helfer; er hat dich schon erettet durch seinen Retter. Er verspricht dir nicht, dass er dein Leben in dieser Welt angenehmer und leichter machen wird, ebenso­wenig, wie er es dem Jeremia versprochen hat. Vielleicht tut er's trotzdem, vielleicht aber auch nicht. Er verspricht aber, dir nahe zu bleiben, wenn du ihm weiter vertraust. Sein Wort war nicht nur Jeremias Speise und Trost, es ist auch deine Speise und dein Trost. Im Heiligen Abendmahl kannst du Gottes Wort wirklich in den Mund nehmen und essen, nämlich das Fleisch gewordene Wort, den Leib des Erlösers. Und nach Gotte Namen genannt bist du auch: In der Taufe hat Gott dich zu seinem Kind gemacht. Abendmahl und Taufe, Gottes Wort und Sakrament – daran können und sollen wir uns festhalten, wenn wir Hilfe nötig haben. Denn da zeigt uns Gott, dass er kein un­zuverlässi­ges Wadi ist, das mal Wasser führt und dann wieder nicht. Das lebendige Wasser des Evangeliums fließt un­unterbrochen und in Ewigkeit – für alle, die sich zu Jesus Christus halten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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