Jesus Christus – Helfer im Leiden

Predigt über Hebräer 2,17‑18; 4;15‑16

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am heutigen Abend denken wir nach über Jesus und das Leiden, um dann nachher gezielt für Leidende zu beten. Lasst uns dabei zunächst die Ursache des Leids in der Welt bedenken. Gott lehrt uns mit der Heiligen Schrift, dass Leid und Tod Folgen der Sünde sind. Nachdem die ersten Menschen gesündigt hatten, hat Gott Leid und Tod als Strafe über sie verhängt. Vorher konnten sie Gottes sehr gute Schöpfung ungetrübt genießen; nach dem Sündenfall ist das Leben in der sehr guten Schöpfung durch Leid getrübt, und zwar bis zum heutigen Tag. Was vorher nur schön war, ist jetzt um der Sünde willen auch belastend. So hatte Adam von Gott die wunderbare Aufgabe bekommen, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren; nun trägt ihm der Acker Disteln und Dornen, er muss im Schweiße seines Angesichts für das tägliche Brot arbeiten. So hatte Eva von Gott den wunderbaren Segen bekommen, fruchtbar zu sein und Kinder zu gebären; nun soll dies unter Schmerzen geschehen. Und so hatte Gott das erste Menschen­paar zu einer wunderbar glück­lichen, einander ergänzenden Partner­schaft geschaffen – er das Haupt, sie seine Gehilfin – ; nun empfindet sie sein Herr-Sein als Belastung, und er erlebt im Gegenzug, wie sie sich innerlich von ihm löst, sich emanzi­piert. Ja, so ist das Leid als Gottes Strafe für unsere Sünde verhängt worden, und letztlich der Tod.

Aber der gerechte und strafende Gott ist zugleich ein barm­herziger und vergebender Gott, das erkennen wir in Jesus. Es heißt von ihm: „Daher musste Jesus in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoher­priester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er denen helfen, die versucht werden.“ Der Gottessohn hat sich unserer sünden­verseuchten Welt ausgesetzt. Er hat erfahren, was Versuchung zur Sünde ist. Und er hat auch die Folgen der Sünde am eigenen Leib erfahren: das Leid, den Tod. Nur in einem einzigen Punkt unter­scheidet sich sein Leben von unserer aller Leben: „Er ist versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ Ohne Sünde – das ist das Ent­scheidende! Er hat der Versuchung nicht nach­gegeben. Aus diesem Grund hat er auch keine Strafe verdient, er als einziger. Als er litt und starb, war das also nicht die Strafe für eigene Sünde, sondern die Strafe für fremde Sünde – für unsere Sünde. Genau darin aber erweist sich seine Barm­herzigkeit: dass er freiwillig fremde Strafe auf sich nahm, um stell­vertretend unsere Schuld zu sühnen und uns damit das Tor in ein neues Leben mit Gott aufzutun – ein Leben ohne Tod; ein Leben, das einmal auch ganz vom Leid befreit sein wird; das ewige Leben.

Für dieses sein Sühne­handeln wird Jesus in unserem Textwort „Hoher­priester“ genannt. In diesem Wort klingen reiche und tiefe theo­logische Konzepte an, vor allem die Heils­geschichte Gottes mit Israel im alten Bund. Der Hebräer­brief entfaltet das sehr aus­führlich. Es würde den Rahmen sprengen, hier darauf näher einzugehen. Stattdessen möchte ich an das lateinische Wort für Priester erinnern, denn das zeigt uns ganz deutlich, was Jesus in seiner großen Barm­herzigkeit eigentlich getan hat. Das lateinische Wort für Priester heißt „Pontifex“, zu deutsch „Brücken­macher“ oder „Brücken­bauer“. Wir Menschen haben mit unserer Sünde einen tiefen Riss zwischen uns und Gott herbei­geführt, aber Jesus hat diesen Riss mit seinem Leiden und Sterben überbrückt. Er ist der Brücken­bauer, der Pontifex, der Hohe­priester.

Bei diesem göttlichen Erlösungs­werk fällt auf, dass es keine herab­lassende Hilfe ist, sondern eine herab­steigende Hilfe, im wahrsten Sinne des Wortes. Jesus ist vom Himmel herab­gestiegen, hat sich erniedrigt, wurde Mensch, wurde versucht, litt und starb. Hören wir's noch einmal: „Darum musste Jesus in allem seinen Brüdern gleich werden …“ – er wurde einer von uns; er half nicht von oben herab, sondern er kam selbst herab.

Christsein ist darum zweierlei: Es bedeutet erstens, die Hilfe des Hohen­priesters Jesus im Glauben anzunehmen. Das ist das Wichtigste und Ent­scheidende, denn nur über die Brück des Kreuzes gelangen wir zu Gott, nur so wird unsere Schuld getilgt, nur so werden wir die Sünden­strafe Leid und Tod los. Es bedeutet aber auch zweitens, dass wir Jünger Jesu werden. Dass wir ihm nachfolgen, dass wir ihn uns zum Vorbild nehmen für unser Leben in dieser Welt. Auch uns drängt es ja nun, barmherzig zu sein, zu helfen, zu lieben – besonders da, wo wir Menschen leiden sehen. Jesus selbst ist es, der uns zu solcher barm­herzigen Hilfe zurüstet und befähigt. Jünger sein heißt ja eigentlich Schüler sein, beim Meister in die Schule gehen. Und in dieser Schule des Herrn Jesus Christus lernen wir, unser Leiden in der Welt anders anzusehen. Wir empfinden es nun nicht mehr in erster Linie als Strafe, denn wir wissen, dass Jesus die Sache mit der Strafe längst für uns erledigt hat. Wir empfinden das Leid nun als etwas, was uns mit Jesus verbindet, ja, zusammen­schweißt. Jesus selbst hat es seinen Jüngern so erklärt: Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich. „Kreuz“ nennen wir das Leid im Christen­leben, manchmal auch „das liebe Kreuz“, denn auch wenn es drückt und schmerzt, wissen wir doch gerade auf diese Weise: Wir gehören zum Meister, der selber für uns gelitten hat, sogar mehr noch, als je einer seiner Nachfolger leiden muss. Die Apostel haben es uns vorgelebt: Petrus und Johannes empfanden es als eine Ehre, für ihren Herrn und Meister zu leiden. Und Paulus schrieb, er trage die Nägelmale Jesu an seinem Leib.

Weiterhin schrieb der Apostel Paulus, dass das Leid, das er in der Nachfolge Jesu am eigenen Leib erfährt, ihn befähigt, andere Leidende zu trösten, weil er selbst im Leiden den Trost Jesu erfahren hat. Und damit geht das Lernen der Nachfolge in das Tun der Nachfolge über. Auch wir können anderen Leidenden dann am besten helfen, wenn wir nicht herab­lassend aus einer Position der Stärke helfen, sondern wenn wir als vom Leid Mit­betroffene helfen. Das meint ja der Begriff Mitleid im positiven Sinn: Dass man nach­empfinden kann, wie es dem anderen geht, sich auf ihn einstellt und auf gleicher Ebene für ihn da ist – ebenso, wie Jesus einer von uns wurde und sich dem Leid der Welt ausgesetzt hat.

Aber wie können wir dann dem Leidenden helfen? Was können wir tun für den alten Menschen im Pflegeheim, für den Krebs­patienten im Kranken­haus, für die trauernde Witwe, für den frustrier­ten Jugend­lichen, für die Eltern eines behinderten Kindes, für den hoffnungs­los ver­schuldeten Arbeits­losen? Schon das Dasein ist Hilfe – so, wie Gott durch Jesus einfach zu uns gekommen ist in unsere Welt. Schon das ist eine Hilfe, wenn wir den anderen spüren lassen: Ich leide ein Stück weit mit dir mit. Und man kann es den anderen wirklich körperlich spüren lassen, zum Beispiel wenn man seine Hand hält oder ihn in den Arm nimmt. Weiterhin können wir uns überlegen, ob wir nicht die Mittel und Gaben haben, das Problem des anderen zu lösen oder sein Leid zu lindern. Wenn wir's können, sollten wir nicht zögern es zu tun, auch wenn es für uns selbst schmerzhaft sein mag. Wie schmerzhaft war es für Jesus gewesen, uns zu helfen! Was uns schmerzt, wenn wir anderen helfen, muss nicht unbedingt unser Körper sein. Bei manchen Menschen ist das Portmonee das emp­findlichste „Körper­teil“, und genau da kann es manchmal auch schmerzen, wenn wir anderen helfen. Allerdings stoßen wir oft auch an natürliche Grenzen mit unserer Hilfs­bereit­schaft. Als Pastor bin ich zum Beispiel in der Seelsorge immer wieder mit Problemen kon­frontiert, die ich selbst nicht lösen kann. Aber ich kann dann den Leidenden an jemanden verweisen, bei dem Hilfe zu finden ist – vielleicht ein Arzt, ein Therapeut oder ein Rechts­anwalt. Ich fühle mich dann keineswegs über­flüssig, denn es ist ja gut, wenn man sozuagen als allgemeine Anlauf­stelle für Leidende eine Hilfe wenigstens vermitteln kann. Und in jedem Fall können wir alle Leidenden natürlich an unsern Herrn verweisen, der alle Mühseligen und Beladenen zu sich lädt und ihnen Hilfe und Heil verspricht. Das ist ja unsere Haupt­aufgabe als christliche Gemeinde, dass wir alle Menschen wissen lassen: Da gibt es einen, der kann alles Leid heilen, jedes Problem, denn er ist der Heiland. Und nach dem Vorbild dieses Heilands können wir dann selbst zu Priestern werden, zu Brücken­bauern, indem wir für die Leidenden eine Brücke bauen, eine Brücke des Gebets, auf der wir sie vor Gottes Thron bringen. Wir können mit ihnen beten, wir können für sie beten. Darüber ist nicht not viel zu reden, das will einfach getan werden, und das wollen wir jetzt auch tun. Und wir wollen uns dazu anreizen lassen mit dem letzten Satz aus unserem Textwort: „Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzig­keit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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