Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Zum neuen Jahr haben wir eine neue Jahreslosung. Sie handelt von etwas Neuem, das Gott schaffen will. Ein Spötter könnte sagen: „Diese Jahreslosung ist nichts für Altlutheraner. Altlutheraner sind konservativ, hängen am Alten und sind Neuheiten gegenüber sehr skeptisch.“ Ein langjähriger Kenner unserer Gemeinde hat mir verraten, dass gerade auch hier in Fürstenwalde die Gemeindeglieder, die den Ton angaben, schon immer Neuerungen eher skeptisch gegenüberstanden. Nun, mag da auch ein Körnchen Wahrheit dran sein – ich denke, das ist doch ein ziemlich einseitiges Bild vom Altlutheraner! Die Väter unserer Kirche haben den Begriff „altlutherisch“ übrigens gar nicht selbst erfunden, sondern er ist ihnen eher wie ein Spottname angehängt worden. Die Väter unserer Kirche wollten ganz einfach bibeltreue lutherische Christen sein. So heißt es in einem Büchlein, das Pastor Albert Burgdorf im Jahre 1891 herausgegben hat: „Der Name Altlutheraner ist insofern nicht richtig, als es keine ‚Neulutheraner‘ gibt, im übrigem wollen wir uns des Namens aber nicht schämen, denn wir wollen eben gegenüber der neuen Union an der alten lutherischen Kirche festhalten.“ Wir sehen: Nur im Blick auf das Bekenntnis wollen Altlutheraner am Alten festhalten, weil es das Vermächtnis unseres Herrn Jesus Christus und seiner Apostel ist; in jeder anderen Hinsicht können wir allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen sein. Darum freuen wir uns im neuen Jahr auch über Gottes wunderbare Verheißung, die uns als Jahreslosung begleiten soll: „Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?“
„Ich“, sagt Gott, „ich will ein Neues schaffen.“ Es handelt sich also nicht um menschliche Neuheiten, um Mode-Neuheiten, mit denen sich Menschen interessant machen wollen. Das Neue, das Gott geschaffen hat, ist der neue Bund in seinem Sohn Jesus Christus. Mit seinem alten Bund im Volk Israel hat Gott den neuen Bund vorbereitet, die Propheten des Alten Testaments haben ihn angekündigt, und zu Weihnachten ist er angebrochen. Mit Jesus ist Gottes neuer Bund zur Welt gekommen, der Bund der Liebe, der Bund der Gnade, der Bund der Seligkeit für Sünder. Dieser neue Bund hat auch dir und mir neues Leben gebracht. In der Taufe hat Gott für jeden von uns das Neue geschaffen, das er bereits durch Jesaja ankündigen ließ, denn die Taufe ist die neue Geburt zum neuen Leben. Und wie Gott mit dem Sakrament der Taufe den neuen Bund an uns begonnen hat, so befestigt er ihn stets aufs neue durch das Sakrament des Altars und durch sein Wort. Nicht wir schaffen uns also dieses neue Leben selbst – das können wir gar nicht – , Gott schafft es durch sein Wort und Sakrament.
Ich habe viele Wünsche für das neue Jahr. Ich wünsche mir, dass vieles besser, neu und anders wird, nicht zuletzt auch in unserer Gemeinde. Ich wünsche mir, dass ein frischer Wind in dieser Kirche bläst, der Windhauch des Heiligen Geistes. Ich wünsche mir, dass er uns aus unserer Müdigkeit und Lauheit aufweckt, dass er vielen Gemeindegliedern Glaubenseifer schenkt und Freude und Liebe und Phantasie, um den Mitmenschen die Liebe Gottes nahezubringen. Ich wünsche mir neue Aufgeschlossenheit in festgefahrenen Beziehungen; neue Aufmerksamkeit, aufeinander zu hören; neue Freudigkeit zum Einsatz von Zeit und Geld für das Reich Gottes. Aber ich weiß zugleich: Ich kann mir diese Wünsche nicht erfüllen, auch als Pastor kann ich das nicht. Nur Gott kann es. Und er verheißt: „Ich will ein Neues schaffen.“ Darum wollen wir ihn bitten, dass er auch in unserer Gemeinde wieder neues Leben schafft.
Und einst, in der Zukunft, wird er uns eine neue Welt schaffen, das Reich seiner Herrlichkeit, wo er dann auch die letzten unserer guten Wünsche erfüllen wird. Menschen haben immer wieder davon geträumt, sich diese neue Welt zu bauen, und sind stets dabei gescheitert. Das Paradies auf Erden wird es nicht mehr geben, wohl aber das himmlische Paradies, das Gott selbst neu erschaffen wird.
„Jetzt wächst es auf“, sagt Gott. Das Neue, das Gott schafft, wächst wie eine Pflanze. Wie neues Grün im Frühjahr. Wie neue Getreidehalme, die zur Ernte reifen. Oder wie ein neuer Zweig an einem Baumstumpf – so ist es ja auf unserem Januar-Gemeindebrief abgebildet. Wenn in der Natur etwas Neues entsteht, dann wächst es immer aus dem Alten heraus, es hat immer eine Geschichte, eine Beziehung zum Gewesenen. Nur am Anfang der Welt hat Gott die Lebewesen durch sein Wort aus dem Nichts geschaffen, danach kommt alles Neue aus dem Alten. Auch ein neues Menschenkind trägt das Leben seiner Eltern und Vorfahren in sich. Das ist Gottes Handschrift, das ist Gottes Art, etwas Neues zu schaffen. Der neue Bund in Jesus Christus erwuchs aus dem alten; Jesus ist der Sproß, das „Ros“, „Reis“ oder „Zweiglein“ aus dem Stamm Davids bzw. Isais. Darum hören wir Christen auch auf Gottes Wort im Alten Testament, nicht nur im Neuen. Ja, wir könnten das Neue Testament ohne das Alte gar nicht richtig verstehen, denn etwa ein Drittel des Neuen Testaments ist direkt oder indirekt aus dem Alten entnommen.
Auch das neuen Leben eines Christenmenschen wächst allmählich wie eine Pflanze. Bei der Taufe ist da erst das Samenkorn des Glaubens im Herzen eines Menschen, das nach und nach wächst und dann auch Frucht bringt. Diese Frucht zeigt sich dann wieder bei anderen Festen, die in der Kirche gefeiert werden, wie bei der Konfirmation und bei der Trauung. Da geschieht es dann, dass Gottes Wort zu besonderen Lebensabschnitten das neue Leben eines Christen stärkt und wachsen lässt. Nehmen wir doch zum Beispiel mal die Trauung: Da haben sich zwei Christenmenschen ineinander verliebt, da haben sie sich kennengelernt und da haben sie beschlossen, ihren weiteren Lebensweg in der Ehe weiterzugehen. Sie lassen etwas Altes hinter sich, und etwas Neues fängt an. Die Bibel sagt: Sie sind nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Für Christen sollte es da selbstverständlich sein, dieses Neue unter Gottes Wort und Segen zu stellen in der Trauung. Denn wenn das Neue auf unserem Lebensweg gelingen soll, dann muss Gott es schaffen, sonst gelingt es nicht. Eine Ehe ist wie eine Pflanze; Wachstum und Gedeihen kommt von Gott. Dasselbe können wir von jedem neuen Lebensabschnitt sagen – bis hin zur letzten Krankheit, die zum Tode führt. Wer das neue Leben, das er seit der Taufe hat, nicht mit Füßen tritt, der wird jeden neuen Abschnitt unter Gottes Wort und Segen stellen wollen, der wird ihm alles übergeben und machen lassen – damit es gut und richtig wächst.
So wachsen wir als Christen in Gottes Reich hinein, das uns einst in Gottes neuer Welt mit seiner ganzen gewaltigen Herrlichkeit umgeben wird. Gott wird uns dann einen neuen Leib schenken – wunderschön, ohne Krankheiten, ohne Gebrechen, unsterblich. Und doch werden wir immer noch dieselben sein, wir werden uns wiedererkennen. Denn das Neue, das Gott schafft, wächst stets aus dem Alten hervor.
„Erkennt ihr#1##s denn nicht?“, so fragt Gott im dritten Teil des Satzes unserer Jahreslosung. „Erkennt ihr denn nicht das Neue, das ich schaffe und das aus dem Alten hervorwächst?“ Es ist nicht ohne Weiteres zu erkennen. Es ist verborgen unter vielem Altem. Es ist ein Schatz, der noch halb im Acker vergraben liegt, der in einem unansehnlichen Tontopf schlummert. „Wir haben den Schatz in irdenen Gefäßen“, heißt es in der Bibel (2. Kor. 4,7). Man muss schon genau hinsehen, um den Schatz zu erkennen – den Schatz des neuen Bundes: Dass da der scheinbar so ohnmächtige Mann am Kreuz gerade durch seine Ohnmacht unseren schlimmsten Feind besiegt hat, den Teufel, und dass er uns gerade auf diese erbärmliche Weise den Himmel aufgeschlossen hat. „Erkennt ihr's denn nicht?“
Man muss sich schon die Augen des Glaubens dafür öffnen lassen von Gott, um es zu erkennen. Genau das aber tut Gott durch sein Wort. Und mit diesem Glauben möchte ich auch in das neue Jahr blicken. Ich habe vorhin von den Wünschen gesprochen, die ich für das neue Jahr habe. Ich habe natürlich auch Wünsche, die ich an mich selbst richte, gute Vorsätze nämlich, was ich alles besser machen will als im vergangenen alten Jahr. Freilich hatte ich solche guten Vorsätze auch schon im vorvorigen Jahr im Blick auf das vorige, und im vorvorvorigen Jahr im Blick auf da vorvorige. Was aus diesen guten Vorsätzen geworden ist, lässt sich leider kaum unter der Lupe erkennen. Aus dieser Erfahrung könnte ich zweifelnd fragen: Wo ist denn nun das neue Leben, das Gott schafft? Wo ist denn nun der neue Mensch, der aus der Taufe kriecht, nachdem der alte Adam dort ersäuft wurde? Er ist kaum zu erkennen! Und so könnte ich resignieren und alle guten Vorsätze für das neue Jahr fahren lassen. Tue ich aber nicht, auch gegen alle Erfahrung und allen Augenschein nicht! Denn Gott hat in seinem Wort versprochen, mir ein neues Herz zu schenken, wenn ich mich von den alten Sünden verabschiede und einen Neuanfang mit Gott wage. „Erkennt ihr's denn nicht?“ Ich will es dennoch wagen – auch wenn die Erneuerung äußerlich-menschlich betrachtet gar nicht oder kaum erkennbar ist. Ich will die Sache mit den Augen des Glaubens betrachten und Großes von Gott erbitten, erhoffen und erwarten.
Das größte aber wird die neue Welt sein, die er schafft. Auch davon ist jetzt wenig zu erkennen. Es gibt ja in unserer alten Welt keinen Fortschritt in dem Sinn, dass es den Menschen gelänge, immer besser und friedlicher miteinander auszukommen, im Gegenteil. Es gibt auch im einzelnen Menschenleben keinen Fortschritt in dem Sinne, dass der Mensch mit zunehmenden Alter immer kräftiger und gesünder würde, im Gegenteil. Aber „erkennt ihr's nicht?“ Durch das Tor des Todes hindurch und über die Schwelle des Jüngsten Tages hinweg wird es in Gottes herrliche Zukunft gehen, in Gottes neue Welt.
Darum sind unsere Blicke zuversichtlich nach vorn gewandt, auch und gerade, wenn wir Altlutheraner sind. Lassen wir uns von dem Neuen überraschen, das Gott für uns schafft! Amen.
PREDIGTKASTEN |