Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
„Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer!“, so hat Jesus es gesagt (Lukas 6,20). Die gute Nachricht von Gottes herrlichem Reich gilt ganz besonders den einfachen und armen Leuten. Gottes Propheten haben das Himmelreichs bereits in derselben Weise angekündigt; wir haben es eben aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Die Elenden werden Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“
Aber wer sind die Armen? Können wir uns dazu rechnen? Können wir die Verheißung auf uns beziehen? Ob man jemanden als arm bezeichnen kann oder nicht, das kommt auf den Blickwinkel an. Die Statistiker nennen in Deutschland all jene Menschen arm, die weniger als die Hälfte vom Durchschnittseinkommen kriegen. Aber ist ein einzelner Erwachsener, der mit etwa 800 Euro im Monat auskommen muss, wirklich arm? Nicht im Vergleich zum Obdachlosen, der einfach nicht genug Antrieb und Ausdauer hat, um alle ihm zustehenden Hilfen und Förderungen in Anspruch zu nehmen. Der statistisch Arme kann auch einen besseren Lebensstandard haben als ein Mensch mit durchschnittlichem Einkommen, wenn dieser hoch verschuldet ist und ihm darum nicht genug zum Leben übrig bleibt. Und verglichen mit den Armen in Indien, Afrika oder Südamerika geht es den Armen in Deutschland blendend. Wenn wir sagen: Arm ist nur der, dem es an den allernotwendigsten Dingen zum Leben fehlt, dann gibt es in Deutschland praktisch keine Armen. Man könnte natürlich auch andersherum sagen: Arm ist jeder, der sich arm fühlt; der also meint, dass er nicht genug zum Leben hat. Das muss dann nicht unbedingt daran liegen, dass er zuwenig Geld hat, das kann auch daran liegen, dass er nicht richtig wirtschaften kann. Mancher fühlt sich arm, weil er sein Mittagessen in der Suppenküche einnimmt, aber sein Problem besteht eigentlich darin, dass er nie gelernt hat, für wenig Geld eine schmackhafte Mahlzeit zu kochen. (Das ist übrigens schon für deutlich weniger als einen Euro pro Person möglich.) Ja, und dann gibt es auch Menschen, die fühlen sich aus dem Grund arm, weil sie auf die Unterstützung anderer angewiesen sind. Sie fühlen sich so, wie wenn sie von Almosen leben müssen. Und hier kommen wir dem biblischen Veständnis von Armut am nächsten: In der Bibel werden meistens solche Leute als arm bezeichnet, die auf die Hilfe und Barmherzigkeit anderer angewiesen sind. Das gilt auch im übertragenen Sinn; das gilt letztlich auch im Verhältnis zu Gott. Arm im Verhältnis zu Gott ist jeder, der sich Gottes Wohlgefallen nicht durch eigene Leistungen und Frömmigkeit verdienen kann. Mit anderen Worten: Arm im Verhältnis zu Gott ist jeder Sünder, also jeder Mensch. Wir alle sind vor Gott geistlich arm, gleich wie hoch oder niedrig unser Kontostand bei der Bank ist. Wir alle sind auf Gottes Hilfe und Barmherzigkeit angewiesen, denn wir selbst können uns aus dieser Armut nicht befreien. Wohl dem Menschen, der das einsieht. Wohl dem, der sich nicht hochmütig einbildet, er sei ganz okay und könne als unabhängige Persönlichkeit Gott gegenübertreten. Genau das meinte Jesus, als er sagte: „Selig seid ihr Armen“, oder genauer: „Selig sind, die da geistlich arm sind“, in ihrem Verhältnis zu Gott nämlich (Matth. 5,3)
Nicht nur den materiell Armen, sondern uns allen, die wir geistlich arm sind, gilt das Verheißungswort: „Die Elenden werden Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“ Dabei geht es nicht um irgendwelche Freude, nicht um irgendeine nette Unterhaltung oder den Humor, der das Leben würzt, es geht hier um die Freude „am Herrn“, genauer: am Herrn Jesus Christus. Denn in Jesus ist Gottes Reich des neuen Bundes angebrochen, in Jesus kommt Gottes Hilfe und Barmherzigkeit zu uns. Wer an Jesus glaubt, der steht bei Gott gut da, denn Jesus vergibt alle Sünden. Das ist das Evangelium, auf deutsch die „frohe Botschaft“. Und das Beste: Wer so, nämlich als geistlich Armer und Elender, demütig zu Jesus kommt und sich von ihm helfen lässt, der bleibt nicht arm, der wird nicht einfach mit einem notdürftigen Almosen abgespeist. Nein, sondern der wird ein Königskind, ein Gotteskind. Er wird reich, er erbt das Himmelreich! Es ist so, als ob ein Milliardär ein Straßenkind aus Kalkutta adoptieren würde. Wir brauchen uns nicht zu schämen, dass wir von Gottes Hilfe und Barmherzigkeit leben, sondern wir können stolz darauf sein und uns über alle Maßen freuen.
Wie gesagt, diese Freude der Gotteskinder und Jesus-Jünger hat Jesaja vorausgesagt, als er ankündigte: „Die Elenden werden Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“ Es ist unsere christliche Freude. Freilich kann uns diese Freude manchmal auch zur Last werden – so paradox das klingt. Wir wissen, dass wir uns als Christen freuen können und sollen, und sind doch trotzdem manchmal traurig, ja sogar richtig niedergeschlagen. Und dann können wir neidisch werden auf die anderen Christen, die so fröhlich und unbeschwert in ihrem Glauben leben. Oder wir können Schuldgefühle kriegen, weil wir die Freude, die man als Christ doch haben und zeigen sollte, nicht hinbekommen. Christen sollten doch erlöst aussehen und lächeln, aber wir merken nur allzu oft selbst, wie verdrießlich wir aussehen. Wo bleibt da die Freude am Herrn? Zunächst einmal ist festzuhalten: Freude kann man nicht befehlen und Freude kann man sich auch nicht selbst einreden. Wenn man keine Freude hat, kann man höchstens so tun, als ob man sich freut, aber wirklich freuen kann man sich dann nicht. Das erwartet Gott auch gar nicht von uns. Und jetzt ist es hilfreich, ein bisschen hebräisch zu denken, um das Verheißungswort des Jesaja richtig zu verstehen: Im hebräischen Denken ist das menschliche Gefühl und die Sache, die es hervorruft, ein und dasselbe. „Furcht“ zum Beispiel meint im Hebräischen das, was einem Angst macht, und auch die Angst selbst. „Ehre“ meint Gottes Majestät an sich und auch zugleich die Anbetung des Menschen, der ihn verehrt. Und so meint auch „Freude“ sowohl das, was uns erfreut, als auch die Freude im Herzen selbst. Beides gehört nach hebräischem Denken untrennbar zusammen. Wenn also Jesaja weissagte: „Die Elenden werden Freude haben am Herrn“, dann meinte er damit zunächst: Die Elenden werden Jesus haben und seine frohe Botschaft, das Evangelium. Und das löst dann bei ihnen auch Freude aus. Wenn es dir also an christlicher Freude fehlt, dann jage ihr nicht krampfhaft nach, sondern dann denke an das Evangelium. Dann denke über das Wunder von Weihnachten nach, wie lieb Gott dich hat, dass er seinen Sohn in die Welt schickte, um dich zu erlösen. Dann besinne dich darauf, dass du ein Königskind bist, reicher als ein Adoptivsohn jedes Milliardärs, denn der Herr des Himmels und der Erde ist dein Vater! Denke darüber nach, und lass die Probleme Probleme sein; vertraue sie deinem Vater an, er wird sie schon lösen. Wenn du das tust, dann hast du sie schon, die Freude am Herrn, wenigstens innerlich. Aber was tut's: Ob sich die Freude nun in überschwänglichem Jubel äußert oder in einem feinen Lächeln oder sogar nur in einem Seufzer der Gottergebenheit – es ist die Freude, die Jesaja geweissagt und die Jesus gebracht hat, die Freude für alle Armen und Elenden, die Freude für alle Menschen. Lass die frohe Botschaft nur unverdrossen weiter bei dir wirken. Jetzt, in den kommen Tagen des Weihnachtsfests, ist in unseren Gottesdiensten reichlich Gelegenheit dazu! Amen.
PREDIGTKASTEN |