Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Fast jeder zweite Deutsche ist inzwischen ein „Senior“, also ein älterer oder alter Mensch. Und man rechnet damit, dass in nicht allzu ferner Zukunft viele Menschen die Hälfte ihres Lebens als „Senioren“ verbringen werden – so sehr soll die durchschnittliche Lebenserwartung steigen. Daher ist es kein Wunder, wenn über das Alter gegenwärtig viel nachgedacht und noch mehr geredet wird. Unsere Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche hat sogar einen eigenen Seniorenpastor benannt, den Pfarrer im Ruhestand Horst Nickisch. Auf der Kirchenbezirkssynode im Mai hat er überzeugend dargelegt: „Altenarbeit ist heute die halbe Gemeindearbeit!“ Wir liegen also voll im Trend, wenn wir uns jetzt mit dem Alt-Werden beschäftigen und mit dem, was danach kommt, mit dem Sterben nämlich. Das Sterben darf man ehrlicherweise nicht verschweigen, wenn man übers Alter spricht. Holen wir uns nun Anleitung für das Alt-Werden und Sterben vom König Salomo, dem Verfasser unseres Predigttextes und des ganzen Bibelbuches „Prediger Salomo“ bzw. „Kohelet“. Da finden wir guten Rat – nicht nur, weil Salomo selbst schon ein Senior war, als er diese Worte schrieb, und nicht nur, weil er einer der weisesten Menschen der Weltgeschichte war, sondern vor allem deshalb, weil Gottes Geist ihm diese Erkenntnisse geschenkt hat und weil das, was er aufgeschrieben hat, Gottes Wort ist. Lasst uns unter diesem Gotteswort jetzt drei Dinge bedenken: 1. Wie Salomo über das Altwerden und Sterben schreibt, 2. Wozu Salomo über das Altwerden und Sterben schreibt, 3. Was Salomos Worte über das Altwerden und Sterben für uns bedeuten.
Erstens: Wie schreibt Salomo über das Altwerden und Sterben? Salomo schreibt wunderschöne, aber schwer verständliche Worte. Und er beschönigt nichts, er sagt nicht: „Man ist so jung, wie man sich fühlt.“ Nüchtern schreibt er über das Alter als Problem, als Belastung und Herausforderung. Wir lesen: „Es kommen schwere Tage / und es nahen Jahre, da du wirst sagen: ‚Sie gefallen mir nicht.‘“ Er vergleicht das Alter mit dem Winterhalbjahr in Palästina, das im Gegensatz zum Sommer ungemütlich, kalt und regnerisch ist. Sonne, Mond und Sterne bleiben dann hinter dicken Wolken verborgen, und ein Regenschauer jagt den anderen. Das ist der Lebensabschnitt, „wenn die Hüter des Hauses zittern“: Die starken Arme, mit denen man früher für den Broterwerb gearbeitet und sich gegen Feinde verteidigt hat, sind schwach und zittrig geworden. Das ist der Lebensabschnitt, „wenn die Starken sich krümmen“; gemeint sind die Beine, die schon unzählige Kilometer hinter sich gebracht haben; nun sind sie krumm geworden, die Kniegelenke schmerzen, und das Laufen fällt schwer. Das ist der Lebensabschnitt, „wenn müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind“; gemeint sind die Zähne, von denen die meisten schon ausgefallen sind; der Rest ist kaum mehr in der Lage, feste Nahrung zu zerkleinern. (Da merken wir, dass wir im Zeitalter der Zahnprothese doch einen wesentlichen Vorteil haben gegenüber Salomo!) Das ist der Lebensabschnitt, „wenn finster werden, die durch die Fenster sehen“; die Augen werden schwach und trübe. Das ist der Lebensabschnitt, wenn man schlecht hört und die Stimme brüchig wird, „wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leiser wird, und wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesangs sich neigen.“ Klettern, Treppen steigen, wandern, in der Jugend ein Kinderspiel, ist auch nicht mehr drin: Man fürchtet sich jetzt vor Höhen, es wird einem unterwegs schwindlig. Ja, und dann kommt der Zeitpunkt, wo das Leben nur für die anderen weitergeht, wo es nur für die anderen wieder Frühling und Sommer wird: „Wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich wieder regt und die Kapernfrüchte aufbrechen“, aber der Sterbende muss für immer Abschied nehmen, er kann nicht mehr neue Tage und Jahre aus dem Brunnen der Zeit schöpfen. Der Strick reißt, die Schöpfgeräte zerbrechen, und die morsche Seilwinde zerfällt. Als Gott den Menschen schuf, hat er den Elementen der Erde seinen Geist eingeblasen, er hat dem toten Leib eine Seele gegeben. Im Sterben macht er das wieder rückgängig: „Der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, / und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat“, so formuliert es Salomo. Und er fügt hinzu, was sich wie ein Refrain durch sein Buch zieht: „Es ist alles ganz eitel, spricht der Prediger, ganz eitel.“ Eitel, nichtig, sinnlos, belanglos – das sagt der König Salomo, der weiseste und reichste Mensch seiner Zeit! Aber er hat im Laufe seines Lebens festgestellt: Weisheit ist belanglos – man wird alt, man stirbt, und die Welt bleibt im Wesentlichen so verrückt, wie sie ist. Reichtum und Genuss sind ebenfalls belanglos – wer jeden Tag Sahnetorte isst, dem macht das schließlich keine Freude mehr, und er wird wie jeder andere alt und stirbt. „Es ist alles ganz eitel“ – so schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben.
Wir kommen nun zweitens zu der Frage: Wozu schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben? Er schreibt nicht, um einfach seinen Frust hinauszulassen. Er schreibt auch nicht für andere alte Leute, jedenfalls nicht ausschließlich. Er schreibt seine Erkenntnisse über das Alt-Werden und Sterben vor allem für junge Menschen auf. Der Abschnitt beginnt mit den Worten: „Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage (des Alters) kommen.“ Er möchte, dass junge Menschen nicht blindlings und gedankenlos in den Tag hineinleben – so, als würde das Leben in ewiger Jugend weitergehen. Er warnt die Jugend auch vor hochmütiger Selbstüberschätzung, als könnten sie, anders als alle Generationen vor ihnen, die Welt in Ordnung bringen. Er warnt die Jugend: Schnell sind die Kräfte weg, schnell ist das Alter da, und ehe du dich's versiehst, ist dein Leben um! Wie schnell, das erlebt man zum Beispiel bei Profi-Fußballspielern. Bei der Eröffnung der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft marschierten die Fußballhelden früherer Jahre ins Münchner Olympiastadion ein – das heißt, eigentlich gingen sie gemächlich, teilweise auch mit Mühe, oder wurden sogar im Rollstuhl geschoben. Wer als Profi-Fuballer Mitte dreißig ist, der steht schon am Ende seiner Karriere – „wenn die Starken sich krümmen“, wie Salomo es formuliert, wenn die Beine nicht mehr so wollen, wie sie sollen. Aber wozu soll die Jugend solches bedenken? Will Salomo ihnen den Spaß verderben? Keineswegs, im Gegenteil, wenige Verse vorher fordert er jeden jungen Menschen auf: „Freue dich deiner Jugend!“ Nein, Salomo bezweckt etwas ganz anderes: Er will einen Ausweg zeigen aus dem „eitlen“ Kreislauf des Erdenlebens, das im Alter seine ganze Belanglosigkeit offenbart. Er will einen Ausweg zeigen aus der scheinbaren Sinnlosigkeit unserer Welt. „Denk an deinen Schöpfer“, schreibt er, und damit gibt er der Jugend den entscheidenden Hinweis, gewissermaßen einen Link, den sie anklicken kann, um von einem belanglosen Leben zu einem sinnvollen Leben zu kommen. Denk an deinen Schöpfer! Denk an Gott, der über allen Dingen steht! Denk daran, dass er dich gemacht hat! Nimm dein Leben als sein Geschenk an, als seine Gabe! Freu dich darüber, freu dich daran, danke ihm dafür, lobe ihn! Und sieh dein Leben zugleich als seine Aufgabe an! Lebe so, wie er es von dir erwartet: Lebe aufrichtig und aufopfernd, lebe in der Wahrheit und in der Liebe! Junge Leute sollen sich nicht einbilden, dass das Leben aus sich selbst heraus befriedigt, diese Täuschung wird durch das Alt-Werden und Sterben enttarnt. Stattdessen sollen junge Leute ihr Leben schon frühzeitig als Gottes Gabe und Gottes Aufgabe betrachten lernen, und die Älteren sollen sie dazu anleiten und ihnen dabei helfen – dazu schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben!
Zum Schluss die dritte Frage: Was bedeuten Salomos Worte über das Alt-Werden und Sterben für uns? Mancher von euch mag jetzt denken, das ist doch schon mit der zweiten Frage geklärt, dazu gibt es doch nichts weiter zu sagen außer „Amen“. Aber es gibt doch noch etwas anderes dazu zu sagen, etwas Entscheidendes sogar. Mit der Aufforderung: „Denk an deinen Schöpfer!“ hat Salomo nämlich zugleich einen Link gesetzt, der weit über seine eigene Zeit hinaus verweist auf die Zeit, als der Schöpfer seinen eigenen Sohn in die Welt sandte, um diese zu erlösen. „Denk an deinen Schöpfer“, das schließt heute für Jung und Alt die Aufforderung ein: Denk daran, wie der Schöpfer ein Mensch geworden ist! Denk daran, was er durch Jesus Christus gesagt und getan hat! Denk daran, wie er durch ihn alle deine Sünden vergeben hat! Erst wenn wir so an den Schöpfer denken, können wir unser Leben als Gottes Aufgabe ansehen, ohne dabei zu verzweifeln. Denn an dieser Aufgabe scheitern letztlich alle, Junge und Alte, und finden nur dann Rettung und Frieden mit Gott, wenn sie durch Jesus seine Barmherzigkeit kennenlernen. Die aber bleibt in Ewigkeit. Alle, die zu Jesus gehören, empfangen Vergebung ihrer Sünden und werden ewig leben, das hat der Schöpfer versprochen. Und so überwinden wir mit Jesus das eitle Schicksal des Sünders, das Schicksal des Alt-Werdens und Sterbens. Und wenn der Tag kommt, an dem Gott deine Seele von deinem Leib trennen wird, dann bedeutet das nicht, dass Schöpfgefäße, Strick und Seilwinde deines Lebensbrunnens nun für immer zerbrechen. Es bedeutet nur, dass du künftig in einer neuen Welt Wasser aus dem Lebensbrunnen schöpfen wirst, mit neuem Gerät, mit einem neuen Leib – in einer Welt, wo das Alt-Werden und Sterben kein Thema mehr ist. Amen.
PREDIGTKASTEN |