Das Sündopfer am Kreuz

Predigt über Hebräer 9,27‑28 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir denken heute daran, dass der Mensch Jesus von Nazareth vor langer Zeit am Kreuz gestorben ist. Und während wir in diesem Gottes­dienst daran denken, sterben in derselben Stunde auf der ganzen Welt ungefähr zehntausend Menschen, viele davon unter großen Qualen und Schmerzen. Wie kommen wir dazu, besonders an den Einen zu denken, dessen Tod schon so lange her ist, und nicht an die vielen, die auch gestorben sind oder gerade jetzt sterben?

Wir tun es deshalb, weil der Tod des Jesus von Nazareth einmalig ist, einzigartig unter allen Todesfällen der Welt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass er Gottes Sohn war, wahrer und ewiger Gott, nicht nur ein Mensch. Vor allen Dingen ist sein Tod aber deshalb einzig­artig, weil sein Tod eine einzig­artige Bedeutung hat. Diese Bedeutung beschreibt unser Gotteswort aus dem Hebräer­brief so: „Christus ist einmal geopfert worden, die Sünden vieler weg­zunehmen.“

Der eine oder andere von uns war schon mal in der „Kirche zum Heiligen Kreuz“ in Berlin-Wilmers­dorf, der Kirche unserer luthe­rischen Schwester­gemeinde dort. In dieser Kirche besteht die Wand hinter dem Altar aus einem riesigen Fenster, und mit buntem Glas ist darin ein Kreuz dar­gestellt. Die Besonder­heit: Das Kreuz hat nicht schmale Balken, sondern sehr breite Balken, so breit, dass es eher wie eine Platte mit ein­gekerbten Ecken wirkt. Das Kruzifix auf dem Altar nimmt diese Form auf: Es sieht so aus, als ob Jesus nicht an einem Kreuz hängt, sondern auf einem Tisch liegt. Auch in anderen Kirchen gibt es diese besondere Art von Kreuzen. Sie wollen an einen Altar erinnern, einen Opfertisch. Sie sind eine stumme Auslegung unseres Bibel­wortes, das von der einzig­artigen Bedeutung des Todes Jesu redet: „Christus ist einmal geopfert worden, die Sünden vieler weg­zunehmen.“

Was ein Opfer im biblischen Sinn ist, das ist dem heutigen Menschen freilich weitgehend fremd geworden. Wenn wir im Alltag von „Opfern“ hören, dann handelt es sich meistens um Opfer von Unglücks­fällen oder um Opfer von Gewalt­verbrechen. Nun ist Jesus ja auch in solcher Weise Opfer geworden, ein Opfer des Hasses seiner Feinde, ein Opfer der Ungerechtig­keit des Pontius Pilatus, aber das macht seinen Tod nicht einzigartig und das wird der biblsichen Bedeutung des Wortes „Opfer“ auch nicht gerecht. Wenn wir die Einzigartig­keit des Todes Jesu verstehen wollen, dann müssen wir zum Ursprung des Wortes „Opfer“ gehen, zu der Bedeutung des Wortes, die beim Volk Israel und bei den ersten Christen verstanden wurde.

Ein Opfer ist ursprüng­lich nichts anderes als ein Geschenk für Gott. Geschenke werden aus unter­schiedlichen Gründen gemacht, das kennen wir von Geschenken unter Menschen: Es gibt Dankeschön-Geschenke, es gibt berechnende Geschenke (man nennt sie auch Be­stechung), und es gibt Beziehungs-Geschenke zwischen Freunden, Verwandten und Liebenden. Ein Dankeschön-Geschenk für Gott nennt man ein Dankopfer. Solche Dankopfer können und sollen wir ihm gern und reichlich bringen, nicht nur mit Geld und materiellen Dingen, sondern vor allem auch als lebendige Opfer mit Lobpreis und guten Taten. Bei den be­rechnenden Geschenke spüren wir: das ist ein Missbrauch der an sich schönen Sitte zu schenken. Auch Gott ist ein Feind der Bestechung; er möchte nicht, dass wir ihm Opfer bringen, damit er uns etwas Bestimmtes gibt; Bestechungs-Opfer sind etwas zutiefst Heid­nisches. Aber die Beziehungs-Geschenke, die haben bei Gott wieder ihren guten Sinn. Das Alte Testament spricht häufig von Opfern, die Beziehungs-Geschenke sind, also Gaben, die die Gemein­schaft zwischen Gott und Mensch fördern und auch wieder­herstellen. Dazu gehört das sogenannte Sündopfer. Mit ihm wird der Riss geheilt, den menschliche Schuld in die Beziehung zwischen Mensch und Gott gebracht hat.

Der Hebräer­brief lehrt uns nun in seinem Hauptteil etwas ungeheuer Großes und Wichtiges. Er sagt nämlich: Es gibt in Wahrheit nur ein einziges wahres Sündopfer in der Welt­geschichte, ein einziges Geschenk, das die zerbrochene Beziehung zwischen dem heiligen Gott und dem unheiligen Menschen­geschlecht wieder herstellen kann: das Opfer Jesu am Kreuz, die Hingabe seines Lebens. Alle Sündopfer vom Vieh, die in alt­testament­licher Zeit dargebracht wurden, sind nichts anderes als Vorzeichen des einen Opfers des Gottes­lammes, das am Kreuz die Sünde der Welt trug. Die Tieropfer des Alten Testaments sind voraus­weisende Bilder, Zeichen und Symbole für den Tod Jesu. Das Einzig­artige am Tod Jesu ist also seine Bedeutung als Sündopfer; er hat damit ein für alle Mal den Riss der Sünde zwischen Menschheit und Gott geheilt. Noch einmal unser Bibelwort: „Christus ist einmal geopfert, die Sünden vieler weg­zunehmen.“

Lasst uns diese Botschaft aber noch tiefer bedenken. Ein Opfer muss etwas Wertvolles sein, denn es ist ja immerhin ein Geschenk für Gott. Nun ist das eine, einmalig einzige Sündopfer der Welt un­ermesslich in seinem Wert: Es handelt sich nicht um Gold oder Silber, es geht nicht um wertvolle Opertiere, ja nicht einmal nur um so etwas Wertvolles wie ein Menschen­leben, es geht hier um das Leben des einzigen Sohnes, den Gott hat, es geht um das Leben seines ein­geborenen Sohnes. Hier am Kreuz wird das Wertvollste geopfert, damit unsere Sünden geheilt werden. Auch was seinen Wert betrifft, ist dieses Opfer einzig­artig. Und noch etwas ist daran besonders: Normaler­weise opfern Menschen, normaler­weise beschenken Menschen Gott. Dieses eine Sündopfer am Kreuz aber kommt von Gott selbst! Er hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um sie mit sich zu versöhnen. Der Gottessohn hat sein Leben als Opfergabe und Geschenk dahin­gegeben – und zwar eigentlich als Geschenk in zwei Richtungen: einmal für seinen Vater im Himmel als Sühne für die Sünden der Welt, zum andern aber als Liebesgabe für alle Menschen, die auf diese Weise mit dem Vater im Himmel versöhnt werden. Es ist da also ein Mittler der dieses Beziehungs­geschenk macht und damit die beiden ent­fremdeten Seiten versöhnt, den Riss zwischen ihnen heilt. „Christus ist einmal geopfert worden, die Sünden vieler weg­zunehmen.“ Das ist das Einzig­artige an seinem Tod.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, lassen wir uns versöhnen mit Gott. Nehmen wir das Opfer Jesu am Kreuz im Glauben an. Wer nicht an Jesus glaubt, der führt damit einen neuen und tieferen Riss in seiner Beziehung zu Gott herbei; der beleidigt ihn, indem er das eigens von ihm gestiftete Sündopfer nicht anerkennt. Wir aber wollen es immer wieder neu im Glauben fassen und uns an der Gemein­schaft mit Gott freuen.

Was da am Kreuz Jesu vor zweitausend Jahren geschehen ist, das ist freilich erst ein Anfang, das ist in seinen Auswirkungen noch nicht ganz zum Ziel gekommen. Unsere Beziehung zu Gott ist immer wieder neu gefährdet. Unser Glaube ist an­gefochten, unsere Liebe ist unstet, unsere Hoffnung ist mit Zweifeln befleckt. Die Sünde lauert fortwährend vor unserer Herzenstür und schafft es auch immer wieder, dass sie ihren Fuss dazwischen stellt, wenn wir nur einen Spalt öffnen. So müssen wir immer wieder neu Zuflucht suchen beim Sündopfer Jesu Christi. Immer wieder neu müssen wir das Evangelium hören, die Vergebung zu­gesprochen bekommen, uns an unsere Taufe erinnern und das Heilige Abendmahl feiern. Bis zu unserm Tod müssen wir das, bis unser Stündlein kommt.

„Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“, so heißt es am Anfang des Predigt­textes. Also keine Seelen­wanderung, keine neue Geburt in der alten Welt. Einmal müssen wir sterben und finden uns dann vor Gottes Richter­stuhl wieder. Der Gottessohn wird dann der Richter sein. Wir weden ihn dann wirklich sehen in all seiner Herrlich­keit. Dann wird er nicht wieder zum Sündopfer werden, das ist ein für alle Mal auf Golgatha geschehen. Dann wird er die Menschen scheiden, wie ein Hirt Ziegen und Schafe auseinander­sortiert. Die aber, die durch sein einmalig einzig­artiges Sündopfer mit Gott versöhnt sind, die werden dann frei­gesprochen werden, und ihre Beziehung zu Gott wird dann auf ewig ungetrübt sein. Das ist der Himmel, das ist die Vollendung des Heils. Wir haben es Jesus zu verdanken und seinem Sündopfer am Kreuz. „Wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler weg­zunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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