Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Unser Predigttext ist ein Werbetext mit Einleitung. Die Weisheit macht Reklame für sich. Wenn man den Predigttext in die Gegenwart übersetzt, dann hört er sich ungefähr so an: „Die Werbung der Weisheit tönt aus Lautsprechern, flimmert über Bildschirme und prangt auf Plakatwänden. Das ist ihre Botschaft: Schluss mit der Dummheit! Lassen Sie sich von der Weisheit beraten und finden Sie erfülltes Leben! Die Weisheit – Ihr unverzichtbarer Partner. Wer nicht zugreift, hat am Ende das Nachsehen.“
Ja, Gott selbst wirbt in seinem Wort für Weisheit, ernsthaft. Lassen wir uns bewerben und trachten wir nach Weisheit! Aber was ist das eigentlich?
Weisheit ist nicht einfach nur gespeichertes Wissen. In einem Computer kann viel Wissen gespeichert sein, trotzdem bleibt der Computer dumm. Weisheit ist auch nicht einfach eine gute Allgemeinbildung oder Schulbildung. Der große Pisa-Irrtum in Deutschland besteht darin zu meinen, man könne mit mehr Schulstunden die Jugend weiser machen, man müsse einfach nur mehr in sie hineinstopfen. Brauchen wir wirklich Schüler, die noch mehr Stoff lernen? Nein, die Schüler sollten lieber das Lernen lernen. Dann könnten sie den bereits gebotenen Stoff viel besser behalten und wären in der Lage, ihr Leben lang weiter zu lernen. Brauchen wir wirklich Lehrer, die die Schüler dauernd fragen und prüfen, ob sie denn auch genug wissen? Nein, wir brauchen Lehrer, die die Schüler neugierig machen aufs Leben und die ihr Vertrauen gewinnen, sodass vor allem die Schüler ihre Lehrer fragen. Die Schüler müssten aus lauter Neugier und Interesse die Lehrer Löcher in den Bauch fragen, und die Lehrer müssten sich geduldig darauf einlassen, dann würde Bildung gelingen.
Und da sind wir bei der Weisheit, wie die Bibel sie versteht. Bei der Weisheit, die hier Werbung macht. Weisheit nach biblischem Verständnis heißt neugierig sein, offen sein, mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen. Der berühmte König Salomo war weise wie kein Zweiter, heißt es. Und was tat er? Nun, zum Beispiel ging er spazieren und machte dabei seine Augen auf. Da sah er am Wegesrand einen Ameisenhaufen – eigentlich nichts Besonderes. Aber er blieb stehen, schaute ganz genau hin – und staunte. Er staunte über den Fleiß der kleinen Krabbeltiere: Wie sie unverdrossen ein Krümelchen nach dem anderen durch die Gegend schleppen und damit schließlich ein Bauwerk von erstaunlicher Größe zustande bringen. Und das alles aus innerem Antrieb, ohne dass sie von irgendwelchen Aufpassern oder Sklaventreibern dazu gezwungen werden!
So, damit ist aber erst die Hälfte der Weisheit erklärt: das Beobachten, die Neugier, das Hinhören. Die zweite Hälfte der Weisheit im biblischen Sinn besteht darin, aus der Beobachtung Lehren zu ziehen und sie im eigenen Leben umzusetzen. Auch das tat Salomo. Er wird sich beim Anblick der Ameisen gedacht haben: „Nur so kann ich etwas Großes zuwege bringen: Wenn ich fleißig und ausdauernd aus eigenem Antrieb viele kleine Schritte tue und viele kleine Krümelchen zielstrebig zusammenhäufe. Wenn ich mich nicht entmutigen lasse von der Größe des Vorhabens angesichts der kleinen Arbeitsleistung des Augenblicks. Und wenn ich mit anderen zusammenarbeite, wenn ich möglichst viele habe, die für dasselbe Ziel zusammenarbeiten.“ Ja, das sind die Lehren, die der weise König Salomo aus der Beobachtung des Ameisenhaufens gezogen hat und die er in dem Satz zusammenfasste: „Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr!“ (Spr. 6,6). Der Satz steht in der Bibel, in den Sprüchen Salomos, in derselben Schrift also, in der die Weisheit mit unserem Predigttext Werbung für sich macht.
Richtige, gute, hilfreiche, lebensfreundliche Weisheit – darum geht es hier. Wir habe gesehen, dass sie aus zwei Teilen besteht: Erstens mit offenen Augen und neugierigen Ohren durchs Leben gehen, zweitens das eigene Verhalten nach den so gewonnenen Einsichten richten. Also: „Lassen Sie sich von der Weisheit beraten und finden Sie erfülltes Leben!“ Oder, wie Luther es wortgetreu übersetzt hat: „Kehrt euch zu meiner Zurechtweisung! Siehe, ich will über euch strömen lassen meinen Geist und euch meine Worte kundtun.“ Wer sich aber verweigert, wer stumpfsinnige Unterhaltung dem Lernen durch Beobachten vorzieht und wer nicht bereit ist, sich zu ändern und sein Verhalten zu verbessern, bei dem läuft das Leben schief, und die Weisheit wird ihn am Ende auslachen. Unser Predigttext endet mit den Worten: „Dann werden sie nach mir rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden mich suchen und nicht finden.“ Anders ausgedrückt: Wer bei der Weisheit nicht zugreift, der hat am Ende das Nachsehen.
Nun erfahren wir im Buch der Sprüche Salomos aber auch, dass Gott der Urheber der Weisheit ist. Gott hat ja unsere Welt geschaffen und sie so weise geordnet, dass wir Menschen durch bloße Beobachtung der Schöfpfung viel lernen können. Freilich müssen wir, wenn wir die Schöpfung betrachten, zugleich auch den Schöpfern beachten – voller Ehrfurcht, voller Staunen, voller Dank. Und darum gilt als Grundsatz aller Weisheitslehre: „Der Weisheit Anfang ist die Furcht des HERRN; und den Heiligen erkennen, das ist Verstand“ (Spr. 9,10). Dieser Grundsatz hat jahrhundertelang das gesamte Schul- und Bildungswesen in Europa geprägt. Für Martin Luther war klar, dass er sein Kind niemals auf eine Schule schicken würde, in der die Lehrer keine Christen sind. Leider haben wir uns davon heute weit entfernt. Glaube und Gottesfurcht gehören heute nicht mehr zu den grundlegenden Werten, die die Schule vermittelt, und ich bin überzeugt davon, dass das zu unserer Schul- und Bildungsmisere spürbar beiträgt. Aber das wagt natürlich kaum einer mit dem negativen Ergebnis der Pisa-Studie in Verbindung zu bringen. Um so mehr sind wir als christliche Eltern und als Gemeindeglieder gefordert, unseren Kindern beziehungsweise unseren jungen Mitchristen die Grundlage echter Weisheit vorzuleben und zu vermitteln, die Gottesfurcht nämlich.
Diese Gottesfurcht ist es dann auch, die unseren Geist über die beobachtbare Weisheit der Schöpfung hinausführen kann. Die Gottesfurcht vertraut dem Wort Gottes in der Bibel. Die Gottesfurcht ist offen für Gottes Geist, der in der Bibel zu uns redet – wie es auch in unserem Textwort heißt: „Siehe, ich will über euch strömen lassen meinen Geist und euch meine Worte kundtun.“ Die Gottesfurcht schaut besonders intensiv auf den Gottessohn Jesus Christus, das Fleisch gewordene Gotteswort. Was er gesagt hat, was er getan hat, was er erlitten hat, das offenbart uns Gottes Weisheit in seiner tiefsten Tiefe. So tief ist Gottes Weisheit am Kreuz Jesu, dass sie von Ungläubigen schon wieder für Dummeit gehalten wird – wie der Apostel Paulus schrieb: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ists eine Gotteskraft“ (1. Kor. 1,18).
Durch Jesus Christus empfangen wir dann auch Gottes Weisheit in ihrem tiefsten Sinn – und zwar genau wieder mit den beiden Seiten, die ich vorhin erläutert habe: beobachten und Lehren draus ziehen; hinhören und sich verändern. Wer sorgfältig und ehrlich darauf hört, was Gottes Gesetz fordert, der merkt sehr schnell, was alles in seinem Leben nicht in Ordnung ist. Und wer dann Jesus um Hilfe bittet, dem vergibt Jesus und schenkt ihm ein neues Herz. So lehrt ihn der Heilige Geist, richtig zu leben. Ja, nur durch solche gottgewirkte Umkehr können wir richtig leben, gut leben, ewig leben. Wer die Weisheit nicht sucht oder wer die Weisheit ohne Gottesfurcht sucht, der verfehlt das ewige Leben, und am Ende wartet nur Finsternis auf ihn. Wie heißt es doch in der Werbung der göttlichen Weisheit? „Wer nicht zugreift, hat am Ende das Nachsehen.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |