Wenn Gott zum Feind wird…

Predigt über Hesekiel 22,29‑31 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kann Gott zum Feind von Menschen werden? Zu einem Gegner, der sie mit glühendem Zorn angreift? Ja, er kann – die Bibel führt uns diese er­schreckende Tatsache vor Augen, auch wenn es vielen Menschen nicht in ihr Gottesbild passt. Bei der Sintflut ist Gott zum Feind von Menschen geworden und hat alle bis auf Noah und seine Familie vernichtet. Auf die Städte Sodom und Gomorra hat er Feuer regnen lassen, sodass sie in einem flammenden Inferno vergingen; und hätte nicht Abraham inständig gebetet, dann wären vielleicht nicht einmal Lot und seine Töchter entkommen. Am Berg Sinai war Gott drauf und dran, sein aus­erwähltes Volk Israel zu vertilgen wegen der Sünde mit dem goldenen Kalb; Mose konnte ihn nur mit knapper Not durch seine Fürbitte umstimmen. Ja, Gott kann zum gefähr­lichen Feind der Menschen werden, wenn sie ihm ungehorsam sind. Wie ein König in alter Zeit gegen abtrünnige Städte zu Felde zog, wie er sie belagerte, beschoss, eine Lücke beziehungs­weise Bresche in die Stadtmauer brach und dann die Bewohner strafte, so kann Gott an Menschen handeln – und hat es mehr als einmal auch wirklich getan.

Zur Zeit des Propheten Hesekiel war es wieder so weit. Der Staat Juda, der Rest des großen Reiches Israel, hatte durch Götzen­dienst, Abfall und soziale Ungerechtig­keit Gottes Zorn auf sich gezogen. Hesekiel predigte im Namen des Herrn: „Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauf los und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht.“ Nun holte Gott zum zornigen Schlag gegen sie aus mithilfe des mächtigen Babylonier-Heeres. Würde Gott es so weit kommen lassen, dass das Land verwüstet und die Hauptstadt Jerusalem mit dem herrlichen Salomo-Tempel in Schutt und Asche gelegt würde? Oder gab es da noch einen Gerechten, einen Fürsprecher, einen Abraham oder Mose, der mit flehender Fürbitte Gottes Zorn abwenden konnte? Hesekiel predigte im Namen des Herrn: „Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich's nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen.“ Und so kam es denn tatsächlich zu Gottes Straf­gericht, zur schreck­lichen Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier und zur Babylo­nischen Gefangen­schaft für die Rest­bevölkerung – wie der Herr es durch den Propheten Hesekiel gesagt hatte: „Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus, und mit dem Feuer meines Grimms machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Treiben auf ihren Kopf kommen.“

Das ist nun schon über zweieinhalb­tausend Jahre her, das ist alt­testament­lich. Wie steht es heute? Ist unser Volk so schlecht wie die Menschen, die Gott einst strafte? Und wenn ja, springt heute jemand in die Bresche und bittet um Ver­schonung? Und wenn ja, wird Gott deshalb darauf verzichten, unser Volk zu strafen? Der Buß- und Bettag ist dazu da, dass wir uns als deutsches Volk gemeinschaft­lich mit diesen Fragen be­schäftigen. Es geht dabei nicht nur um unser persön­liches Leben und um unsere persönliche Schuld, es geht auch nicht um die deutsche Vergangen­heit vor 60 oder 70 Jahren, sondern es geht um unsere Gesell­schaft heute. Also noch einmal die Frage: Ist unser Volk so schlecht wie die Menschen, die Gott einst strafte?

„Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauf los und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht“, so lautete Gottes Schuld­spruch über den Staat Juda. Und er meinte damit nicht nur eine bestimmte Menschen­gruppe, nicht nur Reiche und Herrschen­de, sondern alle. Diese Anklage ist höchst aktuell. Dass auch heute viele Reiche schnell und rücksichts­los noch reicher werden wollen, ist allgemein bekannt. Steuer­flucht, legale und illegale Tricks der Bereiche­rung sind überall an der Tages­ordnung. Von Politikern will ich hier gar nicht reden. Aber auch bei vielen Ärmeren herrscht eine skrupellose Mitnahme-Mentalität. Wie viele Bezieher staatlicher Hilfen zum Lebens­unterhalt arbeiten nebenher schwarz und tragen auf diese Weise dazu bei, dass für die wirklich Bedürftigen noch weniger Geld in den öffent­lichen Kassen ist! Wie viele Hartz-IV-Bezieher meinen, sie dürften sich durch falsche Angaben ein größeres Stück vom Kuchen sichern, nur weil sie mit dieser Form der Unter­stützung nicht ein­verstanden sind! Und wie viele Deutsche missgönnen den „Fremd­lingen“ in unserem Land ihren Arbeits­platz, ihre finazielle Unter­stützung oder überhaupt das Recht, bei uns zu leben! Wie viele möchten sie am liebsten in ihre Herkunfts­länder zurück­befördern, wo sie teilweise kaum genug zu essen haben oder wo ihr Leben durch politische Schreckens­herrschaf­ten bedroht ist! Was für eine Schuld lädt unser Volk auf sich, dass es Jahr für Jahr die Tötung von 130.000 ungeborenen Kindern zulässt – das ist jedes sechste Kind, das gezeugt wird! Und das in den aller­meisten Fällen nur deshalb, weil die Eltern dieser Kinder nicht bereit sind, sich finanziell und mit ihrer Lebens­planung um dieser Kinder willen ein­zuschrän­ken. Erschwerend kommt hinzu, dass neun von zehn dieser Ab­treibungen aus Steuer­mitteln finanziert werden. Das kostet unseren hoch ver­schuldeten Staat Jahr für Jahr ganze 40 Millionen Euro! Sehen wir es doch ein: Unser Volk ist nicht besser als die Menschen, denen Gott einst um ihrer Sünde willen Feind geworden ist.

Wenn das nun aber so ist, springt heute jemand in die Bresche? Fällt jemand Gott in seinen zornigen Arm? Fleht und bittet jemand um Gnade? Haben wir heute einen Abraham oder Mose, der mit Gott um Menschen­seelen feilscht? Ja, Gott sei Dank, diese Menschen haben wir. Sie sitzen heute am Buß- und Bettag in den Kirchen unseres Landes und falten ihre Hände. Wir, die wir hier versammelt sind, gehören dazu. Wir wollen dazwischen treten, wenn wir spüren, dass Gott unserm Volk mit Recht zürnt und es schwer strafen könnte. Wir wollen bitten und flehen, dass er uns nicht nach unserem Tun vergilt, dass er nicht das Treiben unseres Volkes auf unseren Kopf kommen lässt, wie er es damals beim Staat Juda getan hat. Wir wollen es in Demut und mit Buße tun. Wir wollen uns nicht über andere erheben, sondern ehrlich selbst erkennen und bekennen, wo unser Anteil an Schuld liegt für die Missstände in unserem Volk. Und sei es nur, dass wir geschwiegen haben, wo wir hätten reden sollen. Und sei es nur, dass wir uns nicht eingemischt haben, wo Habgier oder Ausländer­feindlich­keit ihre Stimmen erhoben.

Wenn wir so in die Bresche treten, wird Gott dann aber ablassen von seinem Zorn? Wird er sich von uns besänftigen lassen? Können wir das wohl verdiente Straf­gericht von unserem Volk abwenden? Liebe Gemeinde, ich weiß es nicht. Ich kann euch nicht garan­tieren, dass es für das deutsche Volk glimpflich ausgehen wird, dass uns große Not erspart bleibt und der Aufschwung vor der Tür steht. Niemand kann wissen, ob Gott uns seinen Zorn ersparen wird. Und es wäre auch falsch, wenn wir den Buß- und Bettag mit kühler Berechnung begehen würden. Wenn wir sagen würden: Lasst uns Gott einfach mal bei seiner schwachen Seite angreifen, bei seiner Gnade und Barmherzig­keit nämlich, dann wird er schon nicht so sein und Gnade vor Recht ergehen lassen. Das wäre keine wahre Buße, das wäre kein rechtes Flehen, das wäre bloß Heuchelei. Nein wir bekennen unsere Schuld, bitten, hoffen – und warten ab, wie Gott reagiert.

Eines aber darf ich euch in jedem Fall mit fröhlicher Gewissheit ver­kündigen: Wenn auch Gott viele Staaten und Völker schon im Zorn gestraft und vernichtet hat, so wird sein eigenes Reich doch im Frieden bleiben, das Reich seines Sohnes Jesus Christus. Denn der ist der eine große Mittler, der für alle Menschen in die Bresche getreten ist. Er hat stell­vertretend für alle Menschen die Schuld abgebüßt und bittet seinen himmlischen Vater für sie. Jedem, der an ihn glaubt, hat er ewiges Leben ver­sprochen. Durch ihn haben wir Frieden und ewige Seligkeit. „Das Reich muss uns doch bleiben.“ Mögen wir in dieser Zeit und Welt auch noch so viel an Gottes Straf­gerichten mit zu leiden haben: Zerstören und vernichten kann uns das nicht, die Seele bleibt unverloren. Denn mit seinem Sohn Jesus Christus hat Gott den einen gefunden, der die „Stadt“ der Christen­heit vor seinem Zorn beschützt, der eine Schutzmauer um sie baut und der mit seinem eigenen Leib in die Bresche gesprungen ist. Um seinet­willen können wir bei allem Ernst der Lage dennoch froh und zu­versicht­lich den Buß- und Bettag begehen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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