Wenn Steine reden

Predigt über Lukas 19,40 zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jesu Jünger hatten Lärm gemacht. Sie hatten laut gesungen und gejubelt, als Jesus in Jerusalem einzog. Sie hatten ihn als den Messias und als ihren König gefeiert. Einigen Pharisäern war das un­erträglich. Sie forderten Jesus auf, die Jünger zum Schweigen zu bringen. Aber Jesus antwortete ihnen: „Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

Gott muss gelobt werden, von Gott muss geredet werden. Wenn die Menschen es nicht tun, dann tun es eben die Steine. Für den Allmäch­tigen wäre es ein Leichtes, Steinen menschliche Stimmen zu geben. Und selbst wenn sie akustisch nicht zu hören sind, könnten sie dennoch reden. Und sie tun es. Jawohl, auch heute reden Steine, loben Gott, bezeugen seinen Namen und mahnen die Menschen. Zum Beispiel die Steine, aus denen Kirchen gebaut sind. Zum Beispiel auch die Steine unseres Gottes­hauses, dessen Kirchweih­gedenktag wir heute feiern. Lasst uns diese drei Dinge jetzt näher bedenken: erstens, wie die Steine Gott loben; zweitens, wie die Steine den Glauben bezeugen; drittens, wie die Steine die Menschen mahnen.

Erstens: Die Steine der Kirchen loben Gott. Vor zwei Wochen wurde die Frauen­kirche in Dresden eingeweiht. Was für ein prächtiges Gotteshaus! Und auch wenn nicht alle, die zum Bau und zum Wieder­aufbau beigetragen haben, es so sehen, müssen wir doch sagen: Es ist ein Gebäude, das zu Gottes Ehre errichtet wurde, zu seinem Lob. Ein Gebäude wie ein Gemälde von Michel­angelo; ein Gebäude wie ein Oratorium von Bach.

Auch die Steine unserer Kirche loben Gott. Das ist eine große Freude und ein großer Trost: Auch wenn der Gesang unserer Gemeinde zuweilen schwach und kläglich klingt, so schreien die Steine doch immer noch so kräftig wie vor 122 Jahren. Wie schön, dass es dieses prächtige steinerne Gotteslob in Fürsten­walde gibt, an gut sichtbarer Stelle. Und wie gut, dass die Gemeinde damals, beim Neubau der Kirche, nicht knauserig war. Man hat nicht gespart an dieser Kirche, hat sie schön hoch gebaut, hat sie mit neo­gotischen Fenster­bögen und einer herrlichen Giebelwand versehen, hat sie mit bunten Scheiben verglast und mit goldenen Kreuzen gekrönt. Ob wir wohl heute noch in der Lage wären, so großzügig zu Gottes Ehre zu bauen? Wie schön, dass es damals möglich war und dass dieses steinerne Gotteslob bis heute so herrlich fortwirkt.

Stimmen wir ein in das Lob der Steine! Lassen wir uns von unserer schönen Kirche zu schönen Gottes­diensten anregen, zu schönem Singen und Musizieren! Und sorgen wir dafür, dass dieser Edelstein des Gotteslobs in einer würdigen Fassung bleibt. Ich bin froh und dankbar, dass wir mit der Ver­schönerung des Vorgartens in diesem Jahr einen guten Beitrag dazu leisten konnten. Lasst uns auch weiterhin unsere Zeit, unsere Kraft, unser Geld und unser Herz dafür einsetzen, dass das steinerne Gotteslob unserer Kirche in einem würdigen Rahmen bleibt!

Zweitens: Die Steine der Kirchen bezeugen den Glauben. Wer richtig hinhört, dem haben die Steine unserer Kirche viel zu sagen.

Hoch ist das Kirchen­schiff gebaut worden; man hat nicht an Steinen gespart. Sie sagen auf diese Weise: Hebe deine Augen empor zu Gott! Richte deine Gedanken und Sinne jetzt auf ihn! Und vergiss nicht, dass du klein und gering bist vor ihm! Bedenke deine Sünde und bleib demütig!

Fest ist das Kirchen­schiff gemauert worden, mit dicken Wänden und mit Stütz­pfeilern, fast wie eine Burg. So singt unser Gotteshaus mit Martin Luther: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Die Steine bezeugen, dass wir bei Gott sicher und geborgen sind bei allem Krieg und Terror in der Welt, bei allem Leid und Elend, das uns persönlich betreffen mag. Wir wissen: Durch Jesus sind wir erlöst, und wir finden durch ihn Zuflucht bei Gott in allen Problemen unseres Lebens. So wie unser Gotteshaus zwei Weltkriege kaum beschädigt überstanden hat, so wird Gott uns durchs Leben tragen, auch durch den Tod hindurch in seine ewige Herrlich­keit.

Hoch ist die Giebelwand gemauert, fast wie ein Kirchturm, aber eben doch kein Kirchturm. Auch das ist ein steinernes Bekenntnis. Als nämlich die lutherische Kirche in Brandenburg nach Jahren der Verfolgung endlich staatlich anerkannt wurde – das geschah in der Mitte des neunzehnten Jahr­hunderts – , da wurde ihr verboten, Kirchtürme und Glocken zu haben; die sollten den Gottes­häusern der unierten Landes­kirche vorbehalten bleiben. Trotz dieser Ein­schränkung ist es dem Baumeister gelungen, mit den Steinen zu bekennen: Wir sind eine richtige Kirche, die Kirche Jesu Christi, die Gemeinde der Heiligen, gegründet auf der Apostel­lehre und auf dem Wort Gottes, wie es in der lutheri­schen Reformation wieder klar ans Licht gebracht wurde! Hören wir auf das Zeugnis der Steine und bleiben wir fest und unbeirrt am Bekenntnis zur Wahrheit, am Bekenntnis zu Gottes Wort. Dies ist besonders nötig in einer Zeit, wo viele dieses Bekenntnis verwässern, verdrehen, ablehnen oder gar überhaupt nicht mehr kennen.

Drittens: Die Steine der Kirchen mahnen die Menschen. Auch als die Frauen­kirche noch eine Ruine war, haben die Steine geschrien. Sie haben gezeigt, was Sünde und Krieg anrichten können. Sie haben zum Frieden gemahnt. Und sie haben in vierzig Jahren Sozialismus zugleich daran erinnert, dass sich die Christen­heit zwar verfolgen und beschädigen lässt, nicht aber gänzlich auslöschen. Und was für eine herrliche Auf­erstehung ist nun aus diesen Ruinen geschehen – Sinnbild dafür, dass auch unsere anfälligen und leid­geplagten Körper eines Tages auferstehen werden zu herrlichem neuen Leben durch den Herrn Jesus Christus.

Auch die Steine unserer Kirche mahnen die Menschen. Auch sie hat die über­mächtige atheis­tische Welt­anschauung nicht zum Schweigen bringen können. Aber darüber hinaus mahnt unsere Kirche noch heute. Sie ermahnt die Gemeinde, die sich in dieser Kirche versammelt beziehungs­weise versammeln soll. Die Steine sagen: Seht her, es ist noch viel Platz in diesem Haus, wenn wir Gottes­dienst feiern. Setzen wir alles daran, dass diese Plätze gefüllt werden? Ermuntern wir liebevoll die Mit­christen, die nicht mehr oft kommen? Gehen wir den Gemeinde­gliedern nach, die sich schon lange gänzlich fern halten? Laden wir Außen­stehende ein? Und sind wir als liebevolle christliche Gemein­schaft so einladend, dass sie gern wieder­kommen? Denken wir dabei auch an die Mühseligen und Beladenen? An die schwierigen Menschen? An die Ausländer, die anders reden und anders aussehen als wir? An die Behin­derten? Lassen wir uns durch die Steine dieses Gottes­hauses heute darin erinnern: Es ist noch viel Platz in Gottes Reich, jeder ist willkommen!

Und wie die Steine stumm predigen, loben, bekennen und mahnen, so sollen wir als Gottes Kinder es mit Herz und Mund tun. Gott schenke uns dazu Freudigkeit und seinen Heiligen Geist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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