Gottes Familie

Predigt über Markus 3,31‑35 zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich glaube nicht, dass Jesus seiner Familie die kalte Schulter zeigen wollte. Er liebte seine leiblichen Geschwister ebenso herzlich wie alle Menschen und er ehrte seine Mutter. Bestimmt hat er sich nach seiner Äußerung über die Verwandtschaft im Reich Gottes einen Weg durch die Menge der Zuhörer gebahnt hin zum Eingang des Hauses, wo seine Mutter und seine Geschwister ihn sprechen wollten. Aber davon hat der Evangelist Markus nichts auf­geschrie­ben, denn das ist nicht von allgemeinem Interesse. Bis in die heutige Zeit bedeutungs­voll sind dagegen Jesu Worte: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Und was heißt das, „Gottes Willen tun“? Bei einer anderen Gelegenheit predigte Jesus: „Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (Joh. 6,29). Gottes Willen tun heißt an Jesus glauben und ihm nachfolgen. Wer das tut, der ist ein Jünger Jesu, mit anderen Worten: ein Christ. Simon Petrus gehörte dazu ebenso wie Johannes und Jakobus, auch Maria und Martha. Du und ich, wir gehören dazu, ebenso wie alle Christen, die heutzutage an Jesus glauben und ihm nachfolgen. Und weil das so ist, darum ist Jesus unser Bruder und darum sind wir auch unter­einander Brüder und Schwestern. Alle Christen bilden zusammen mit Jesus eine große Familie. Diese Familie wird „Christen­heit“ genannt und „Kirche“ und „Gemeinde Jesu Christi“. Wer den Willen Gottes tut, wer an Jesus glaubt und ihm nachfolgt, der ist sein Bruder und seine Schwester, der gehört zu Gottes Familie. Wenn wir das ernst nehmen, dann lässt sich daraus eine ganze Menge ableiten für unsere Gemein­schaft in der christ­lichen Gemeinde. Fünf Dinge möchte ich jetzt besonders nennen.

1. Zu einer Familie gehört man bedingungs­los dazu, ohne eigenes Zutun, denn in eine Familie wird man hinein­geboren. So ist es auch mit der christ­lichen Gemeinde: Wir wurden hinein­geboren durch das Bad der Wieder­geburt, durch unsere Taufe. Allein der Gnade Gottes ist es zu verdanken, dass wir dazu­gehören, dass wir aufgenommen wurden in sein Reich. Für diese Gabe hat unser Bruder Jesus Christus sich aufgeopfert in den Tod. Wie schön, dass wir uns den Platz in Gottes Reich nicht erarbeiten oder erkämpfen müssen, dass es hier nicht nach Ansehen und Leistung geht – eben wie in einer richtigen Familie! Wir merken dabei zugleich, dass der christliche Glaube keineswegs eine reine Privatsache ist, die jeder im stillen Herzens­kämmerlein für sich mit dem lieben Gott abmacht. Christsein und Glaube sind vielmehr immer ge­meinschafts­bezogen, immer an Gemeinde und Kirche gebunden. Wer Jesus seinen Bruder nennt, der darf die anderen Gläubigen als seine Brüder und Schwestern nicht verleugnen, darf sich nicht der Gemein­schaft mit ihnen entziehen.

2. In einer guten Familie ist man füreinander da. Die Mutter pflegt den Säugling, der Vater hilft bei den Haus­aufgaben, die großen Kinder machen mit beim Sauber­machen; erwachsene Kinder kümmern sich um alte und gebrech­liche Eltern. Ebenso ist es in einer guten christ­lichen Gemeinde: Einer ist für den anderen da, einer kümmert sich um den anderen. Wer helfen kann, der schaut sich um und erkundigt sich, wo man ihn braucht. Wer Hilfe nötig hat, der meldet sich ungeniert, denn in einer Familie kann getrost jeder den anderen um Hilfe bitten. Auch ich möchte als euer Bruder in Christus für euch da sein mit meiner Zeit und meinen Gaben, wo immer jemand Hilfe braucht. Und ich wiederhole hier noch einmal, was ich schon öfters gesagt habe: Scheut euch nicht, euch bei mir zu melden, wenn ihr Rat und Hilfe nötig habt.

3. Nach außen hin stellt eine Familie eine Einheit dar; das zeigt sich meistens an demselben Familien­namen und an derselben Wohn­anschrift. Die einzelnen Familien­mitglieder sind aber unter­einander sehr ver­schieden; jeder hat eine einmalige Persönlich­keit. Es ist zum Beispiel erstaun­lich, wie verschieden Geschwister sein können in Temperament und Charakter. Und natürlich sind da die offensicht­lichen Unter­schiede in Alter und Geschlecht. Ent­sprechend haben auch nicht alle Familien­mitglieder dieselbe Ver­antwortung und dieselben Aufgaben; vielmehr lebt und handelt die Familie in bunter Vielfalt. Ebenso ist es in der christ­lichen Gemeinde. Wir Christen sind eins im Herrn, ein Leib mit dem Haupt Jesus. Für das Dazugehören zu dieser Einheit ist es zunächst ganz un­erheblich, wer oder was wir sind: Mann oder Frau, jung oder alt, schwarz oder weiß, dick oder dünn, einfältig oder klug, laut oder still. Das bedeutet aber nicht, dass der Glaube all diese Unter­schiede aufhebt und uns alle gleich macht. Wir sind zwar eins, aber wir sind nicht gleich, und das ist gut so. Zur bunten Vielfalt der Gottes­familie gehört es, dass jeder eine einzig­artige Persönlich­keit hat mit seinen besonderen Gaben und Fähig­keiten, auch mit seinen besonderen Schwächen und Bedürf­nissen, sowie mit seinen besonderen mensch­lichen Eigen­schaften. Daraus ergibt sich, dass auch nicht alle dasselbe tun in der christ­lichen Gemeinde, sondern dass Gott jedem seinen eigenen Platz anweist.

4. In jeder Familie gibt es Konflikte und zuweilen auch Streit. Das ist in der christ­lichen Gemeinde nicht anders – jedenfalls solange sie noch nicht zur ewigen Seligkeit gelangt ist. Darum sollten wir nicht zu sehr er­schrecken, wenn es in der Gemeinde mal zu Spannungen und Auseinander­setzungen kommt. Es wäre un­realistisch anzunehmen, dass sich alle Gemeinde­glieder unter­einander auch menschlich sympathisch sein müssten und dass sie alle ein gleich enges und herzliches Verhältnis unter­einander haben. Nein, auch in Kirche und Gemeinde gibt es Ärger und Streit, und zwar nicht zu knapp. Wichtig ist, dass wir nie vergessen: Wir sind eine Familie, wir sind Brüder und Schwestern. Unter Ge­schwistern kann man sich nichts vormachen, geheuchelte Höflichkeit hat da keinen Platz. Wenn man zusammen­lebt, werden die Macken eines jeden offenbar. Da muss sich nun die geschwister­liche Liebe bewähren. Wenn wir immer einer Meinung wären und wenn wir uns ausnahmslos alle ungeheuer sympatisch wären, dann wäre die Bruderliebe ein Kinder­spiel. Weil wir aber verschieden sind, weil es ver­schiedene Meinungen und auch menschliche Spannungen gibt, darum ist die Bruderliebe eher eine Heraus­forderung als ein Kinder­spiel. Gerade in Spannungen und Schwierig­keiten muss sie sich bewähren. Sie muss sich bewähren, indem man offen über Konflikte redet, gemeinsam Lösungen sucht, Kompromisse schließt und vor allen Dingen sich immer wieder gegenseitig vergibt. Nur wo man stets bereit zur Versöhnung ist, kann die Familie gedeihen und auf Dauer zusammen­bleiben.

5. In gewisser Hinsicht ist eine Familie eine Welt für sich, nicht aber eine ab­gekapselte Welt. Es gibt immer vielfältige Bezüge nach außen. Man ist nicht nur Mutter, Vater, Bruder oder Schwester, sondern zugleich auch Nachbar, Arbeit­nehmer, Schüler und Staats­bürger. Man geht außer Haus und man empfängt Gäste. Es fällt übrigens auf, dass gerade große, kinderreich Familien besonders einladend für Gäste sind – voraus­gesetzt, dass eine heitere und relativ harmonische Atmosphäre herrscht. Dies wünsche ich mir auch von der christ­lichen Gemeinde. Es geht mir dabei nicht nur um gemeind­liche Öffentlich­keits­arbeit und besondere Aktionen. Einfach in der Weise, wie wir Gemeinde sind, sollte ein Strahlen und Leuchten nach außen gehen, dass Gäste gern kommen und sich bei uns wohlfühlen. Und das nicht nur, weil wir als Kirche auch ganz selbst­verständ­lich eine Stellung in der Gesell­schaft haben und die möglichst gut ausfüllen wollen; nein, wir haben darüber hinaus einen Auftrag, den Missions­auftrag unseres Herrn und Bruders Jesus Christus. Wir sollen Salz der Erde und Licht der Welt sein. Wir sollen die Liebe Gottes in Wort und Tat nach außen tragen. Wir möchten, dass Gottes Familie wächst und die Außen­stehenden nicht verloren werden, sondern mit uns das ewige Leben finden.

Denn anders als alle Familien der Welt wird Gottes Familie in Ewigkeit bestehen. Darum ist es so wichtig, dazuzugehören. Und darum hat Jesus, als seine Angehörigen mit ihm sprechen wollten, zuerst gesagt: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“; dann erst hat er sich um seine leibliche Muter und seine leiblichen Geschwister gekümmert. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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