Wie werden Schwerter zu Pflugscharen?

Predigt über Jesaja 2,1‑5 zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Mann mit starken Muskeln schwingt einen Schmiede­hammer. Er bearbeitet ein großes Schwert. Die Spitze des Schwerts hat er bereits breit geschlagen und leicht gekrümmt, sodass sie wie ein Pflug aussieht. „Schwerter zu Pflug­scharen“, so heißt diese berühmte Bronze-Plastik, die der russische Bildhauer Wutschetisch im Jahre 1959 schuf. Sie steht in einem Museum in Moskau. Die in­offizielle kirchliche Friedens­bewegung der DDR hat sich dieses Bild Anfang der Achtziger Jahre als Motto gewählt. Schwerter zu Pflug­scharen, Abrüstung, Ver­schrottung der Atomwaffen in Ost und West – das war damals der sehnliche Wunsch und schöne Traum der meisten Menschen gewesen, nicht nur der Friedens­bewegten und nicht nur in der DDR. Aber nur wenige hatten zu hoffen gewagt, dass sich dieser Traum so bald erfüllen würde: Zehn Jahre später zogen alle aus­ländischen Streit­kräfte aus Deutschland ab, Atomwaffen wurden ver­schrottet und Rüstungs­etats verringert. Heute steht eine Kopie der Schwerter-zu-Pflug­scharen-Plastik auch in New York vor dem Haupt­quartier der UNO – ein Geschenk der Sowjet­union, ein Zeichen des Friedens.

„Da werden sie ihre Schwerter zu Pflug­scharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ So hat es der Prophet Jesaja vor fast dreitausend Jahren geweissagt. Hat sich das mit dem Ende des Kalten Kriegs zwischen Ost und West endlich erfüllt? Bei aller Freude über die friedliche Wende und das Ende des kalten Krieges zwischen Ost und West müssen wir doch nüchtern bleiben: Es gibt immer noch Atomwaffen und Panzer auf Erden sowie Raketen und Kanonen und miteinander verfeindete Nationen. Und selbst wenn die großen Waffen alle schwiegen und zu friedlicher Nutzung umgebaut würden, wäre denn dann wirklich Friede auf Erden?

Wir wissen es besser. Es gäbe dann immer noch die Terro­risten, die Fanatiker, die Verrückten, die sich Bomben an den Leib binden und viele Unschuldige mit sich in den Tod reißen. Es gäbe die vielen Krimi­nellen, die Menschen­leben in Kauf nehmen, um sich selbst zu bereichern. Was wäre denn, wenn man denen nicht den Krieg erklärte, sie nicht verfolgte und bekämpfte? Was wäre denn, wenn die Polizei aus ihren Hand­schellen Armbänder machte und wenn man die Gefängnis­gitter zu Garten­grills umbauen würde? Nicht Frieden würde dann einkehren, sondern Chaos! Aber selbst wenn es gelänge, die Kriminali­tät in den Griff zu bekommen, gäbe es immer noch die unzähligen all­täglichen Kleinkriege von uns ganz normalen Menschen: der rücksichts­lose Konkurrenz­kampf zwischen Geschäfts­leuten, Ehe- und Familien­krach hinter unseren schönen Haus­fassaden, Mobbing am Arbeits­platz, Schikane auf dem Schulhof, hand­greiflicher geschwister­licher Streit im Kinder­zimmer und, und, und …

„Schwerter zu Pflug­scharen“ – wie soll das gehen? Oder handelt es sich nur um einen schönen, aber un­realisti­schen Traum des Propheten Jesaja?

Nun, es sind ja nicht des Propheten Gedanken, die hier zum Ausdruck kommen, sondern es handelt sich um Gottes Botschaft. Die ist wahr und ver­lässlich. Freilich dürfen wir dieses Wort von den Schwertern und den Pflugscharen nicht isoliert sehen, müssen es vielmehr in seinem Zusammen­hang betrachten. Der Zusammen­hang macht dann ganz deutlich, unter welchen Bedingungen Krieg und Streit ein Ende finden können.

Bei jenen Völkern wird Frieden einziehen, heißt es, die nach Zion ziehen, zum Berg Gottes, und dort Gottes Wort hören. Dies wird „zur letzten Zeit“ geschehen, weissagte Jesaja, also im letzten Abschnitt von Gottes Heils­geschichte mit den Men­schen.Wir wissen, dass damit die Zeit des neuen Bundes gemeint ist, das Zeitalter des Messias, der Zeit­abschnitt zwischen dem ersten Kommen des Herrn und seinem Wieder­kommen in Herrlich­keit. Es ist die Zeit der Kirche; es ist die Zeit, in der wir jetzt leben. Und was ist dann der Berg Gottes? Er wird fester und höher sein als alle anderen Berge, heißt es bei Jesaja. Wir ahnen schon: Es geht hier nicht um einen Berg, den man im Atlas finden kann, es geht hier nicht um den Mount Everest, es geht hier überhaupt nicht um Geographie. Dies ist vielmehr der hoch erhabene Gottesberg: sein Wort, seine Botschaft, besonders die frohe Botschaft des Evangeliums im Neuen Testament. Im dritten Vers ist es ganz deutlich gesagt: „Von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.“ Der hohe Gottesberg ist also überall da, wo Menschen sich um Gottes Wort sammeln, ganz gleich wo sie sind, wer sie sind und welche Nationali­tät sie haben. Denn Gottes Wort übertrifft alle Worte dieser Welt: Es ist wichtiger, heiliger, verläss­licher, kräftiger, tröstlicher und heilsamer. Wir, liebe Christen­gemeinde, sind die Völker­schar, die sich heute auf den Weg gemacht hat, um in der Kirche Gottes Wort und Weisung zu hören. Und da machen wir die Erfahrung, dass Gott uns durch sein Wort richtet, wie Jesaja es voraus­gesagt hat. Nicht nur, dass Gottes Gesetz unsere Sünden aufdeckt und zeigt, wie schlimm es um uns steht, sondern vor allem, dass Gott sein Gnaden­urteil über uns fällt: „Du bist unschuldig, denn deine Sünden sind dir alle vergeben durch Jesus Christus.“

Liebe Gemeinde, nun erkennen wir die Bedin­gungen, unter denen Frieden einziehen kann: Wo Gottes Wort verkündigt wird, wo Menschen es im Glauben annehmen und danach zu leben lernen, da werden Schwerter und Spieße über­flüssig, da hört der Krieg auf, denn da regiert die Liebe. Mit der frohen Botschaft von Jesus Christus zeigt Gott uns, wie sehr er uns liebt. Diese göttliche Liebe strahlt aus auf das Leben der Gläubigen wie ein helles Licht und treibt alles Finstere aus, allen Hass, allen Streit, alle Bitterkeit.

Heißt das nun, dass wenigstens innerhalb der christ­lichen Kirche jeder Streit begraben ist? Und dass christlich geprägte Völker friedliche Völker sind? Zu einem gewissen Grad ist das so. In der Gemein­schaft mit anderen Christen kann man sich in der Regel sicher und geborgen fühlen und davon ausgehen, dass einem niemand etwas zu Leide tun will. Wir nehmen auch freudig und dankbar zur Kenntnis, dass die Ver­fassungen vieler Völker mit christ­licher Tradition von Gottes Geboten geprägt sind. Wir nehmen freudig und dankbar zur Kenntnis, dass viele christliche Regierungen sich um Frieden, Gerechtig­keit und Menschen­würde mühen. Wir nehmen freudig und dankbar zur Kenntnis, dass man heute in Deutschland ohne Angst unbewaffnet reisen kann – etwas, das vor tausend Jahren noch undenkbar war. Trotz Kreuzzügen und manch anderer schlimmen Verfehlung von Christen im Lauf der Kirchen­geschichte dürfen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Evangelium die Welt in gewisser Hinsicht tatsächlich friedlicher gemacht hat.

Und trotzdem weise ich noch einmal darauf hin, was wir oben fest­gestellt haben: Es herrscht kein solcher Friede, dass wir auf Waffen und staatlich geordnete Gewalt verzichten könnten. Ja, dass auch im normalen zwischen­mensch­lichen Bereich kein Zustand des idealen Friedens herrscht. Und da machen wir Christen leider keine Ausnahme: Auch in christ­lichen Familien wird gestritten, auch Pastoren geraten sich hin und wieder in die Wolle. Ist die Jesaja-Weissagung also zu opti­mistisch?

Hören wir noch einmal genau hin: „Alle Heiden werden herzulaufen und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! … Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ Es ist die Weissagung einer Bewegung, einer Annäherung, eines Unterwegs-Seins. Viele Menschen sind unterwegs zum Berg des Herrn, aber noch nicht ganz angekommen. Noch mehr sind eingeladen, haben sich aber noch nicht auf den Weg gemacht. Mancher lernt Gottes Wort mit Eifer, hat es aber noch nicht ganz begriffen und ver­innerlicht. Das Licht des göttlichen Wortes ist vollkommen. Das Licht des Evangeliums hat die Kraft für voll­kommenen Frieden zwischen Gott und den Menschen und für die Menschen unter­einander. Wir aber sind noch Jünger, noch Lernende, noch un­vollkommen, noch unterwegs und auf der Suche. Noch kennen wir auch die Sünde in unserem Herzen und merken ihre Folgen an mancherlei Zwietracht und Streit. Aber wir sind unterwegs in die richtige Richtung. Und wir freuen uns auf das Ziel, an dem dann wirklich rundum voll­kommener Friede herrschen wird. „Kommt, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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