Bleiben und wachsen

Predigt über 2. Timotheus 3,14‑17 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer zu Gott gehört, der ist wie ein Baum – „wie ein Baum, gepflanzt an den Wasser­bächen“, so heißt es im ersten Psalm. Es gehört zum Wesen eines Baumes, dass er immer am selben Fleck bleibt. Wie gut, wenn es da viel Wasser gibt und der Boden die nötigen Nährstoffe enthält. Der Baum wird dort über sein Wurzelwerk mit allem Lebens­notwendigen versorgt; darum stirbt er nicht, sondern bleibt bestehen, wächst, bildet eine Krone, bringt Blüten und Früchte hervor. Ein gesunder Baum bleibt und wächst, das sind seine Merkmale.

Ebenso ist es bei einem geistlich gesunden Christen: Er bleibt und wächst. Darum schrieb der Apostel Paulus an seinen jungen Mitarbeiter Timotheus: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir vertraut ist.“ Er bezieht sich damit auf Gottes Wort, wie es in den heiligen Schriften der Bibel überliefert ist. Da ist das lebens­spendende Wasser, da finden sich alle geistlichen Nährstoffe, die ein Mensch braucht, um an Jesus Christus zu glauben und um selig zu werden. Das gilt nicht nur für Timotheus, sondern das gilt für jeden von uns: Bleibe an Gottes Wort! Bleibe bei der Heiligen Schrift! Lies und höre, lerne Gottes Wort, denke darüber nach! Lass dir die Vergebung der Sünden zusprechen und lass dich stärken mit dem Mahl, dessen Kraft aus Gottes Wort kommt! Wenn du dabei bleibst, dann bleibt der Glaube an Jesus Christus in dir lebendig, und du wirst selig werden.

Wenn wir am Wort bleiben, bedeutet das nun aber nicht, dass wir dieselben bleiben sollen. „Bleib, wie du bist“ ist kein guter christ­licher Ratschlag, wohl aber: „Bleib, wo du bist!“ Denn noch einmal: Wir Christen gleichen Bäumen. Wir bleiben beim Wort, aber wir verändern uns durch die Kraft des Wortes, wir wachsen, wir reifen, wir bringen Frucht. Auch das hat der Apostel Paulus dem Timotheus und allen Christen mit auf den Weg gegeben: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurecht­weisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtig­keit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“ Lehre, Zurecht­weisung, Besserung, Erziehung in der Gerechtig­keit – alles Worte, die auf Veränderung und auf geistliches Wachstum abzielen. Wir sollen immer besser lernen, als Christen zu leben. Wir sollen selbst­kritisch unsere Fehler erkennen, unsere Schuld vor Gott bringen, im Namen Jesu Vergebung empfangen und dann durch die Kraft des Heiligen Geistes diese Fehler künftig vermeiden. Das ist Buße – eben die Buße, von der Jesus will, dass das ganze Christen­leben eine ständige Buße sei (so hat es Martin Luther am Anfang seiner 95 Thesen formu­liert). Buße ist also nichts anderes als geistliches Wachstum aus der Kraft von Gottes Wort. Das Ziel ist dabei die Vollkommen­heit, wie Paulus schrieb: „… dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“ Dieses Ziel mag manchen er­schrecken, der sich in seiner Un­vollkommen­heit ganz wohl fühlt. Nun, Paulus hat ja nicht gesagt, dass wir das Ziel der Vollkommen­heit in dieser Welt je erreichen werden, aber er hat gesagt, dass wir in diese Richtung hin wachsen sollen! Bäume wachsen immer in Richtung Himmel. Wir brauchen uns dabei keine Sorgen zu machen, dass wir zu vollkommen werden, dafür sorgt schon das Leben.

Am Wort bleiben, im Glauben wachsen, das ist das Wesen unseres Christen­lebens. Das gilt nicht nur für den einzelnen Christen, sondern auch für die christliche Familie. In Botswana war ich oft bei Familie Papana in Mabule, einem abgelegenen Dorf. Diese Familie hatte in ihrem Wohnzimmer folgenden Spruch hängen: „The family that prays together, stays together.“ – „Die Familie, die zusammen betet, hält zusammen.“ Was für ein wunderbares Zeugnis! Zusammen beten und zusammen an Gottes Wort bleiben, zusammen zur Kirche gehen – das ist die beste Familien­politik. Und dann wird sich auch Wachstum einstellen: Eine Generation sagt der anderen weiter von der Liebe Gottes in Jesus Christus, den Kindern werden biblische Geschichte erzählt und vorgelesen, die Jungen orientieren sich am Vorbild der Alten und wachsen ins Christen­leben hinein. Wieder ist es wie bei einem Baum: bleiben und wachsen, über viele Gene­rationen hinweg. Und kein christ­liches Elternpaar sollte sich darum die Erziehung von anderen aus der Hand nehmen lassen, schon gar nicht von Menschen, die nichts von Gottes Wort und Jesus Chrsitus wissen!

Bleiben und Wachsen sind auch die Merkmale der christ­lichen Gemeinde und der ganzen christ­lichen Kirche. Ich bin froh und dankbar, dass in unserer Kirche der gesunde Standort bewusst beibehalten wird. Die Grund­ordnung der Selbstän­digen Evangelisch-Luthe­rischen Kirche bekennt sich zur Bibel als Gottes unfehlbarem Wort, von dem die ganze Kirche lebt und nach dem sie sich richten soll. Wir bezeugen, dass die Bibel inspiriert ist, auf deutsch „ein­gehaucht“, „vom heiligen Geist ein­gegeben“. Diese Erkenntnis kommt genau aus dem Bibelwort, das wir jetzt betrachten. Paulus nannte ja als christ­lichen Lebensgrund und Quelle des Wachstums die „Schrift, von Gott ein­gegeben“, „ein-gehaucht“, „ein-gegeistet“. Aber wenn es nun darum geht, aus dieser Quelle Wasser und Nahrung zu ziehen, dann müssen wir uns auch in unserer Kirche immer wieder darum bemühen, wie das denn am besten geschieht. Wir leben ja in einer Zeit, wo viele Menschen und sogar viele Christen meinen, die Bibel sei nicht mehr zeitgemäß und müsse in der Auslegung dem heutigen Menschen angepasst werden. Manche wollen nicht mehr glauben, dass Gott die Welt so geschaffen hat, wie es in der Bibel steht, sondern sie versuchen eine Anpassung an die Evolutions­theorie. Andere meinen, man könne heute nicht mehr eine Unter­ordnung der Frauen unter ihre Ehemänner verlangen, wie es in der Bibel steht, weil doch die moderne Gesell­schaft von der Eman­zipation der Frau geprägt ist. Wieder andere denken, man könne sowieso nichts Verbind­liches aus der Bibel heraus­lesen, es sei letztlich alles eine Frage der per­sönlichen Deutung, und sie benutzen dann die Bibel wie einen Steinbruch, aus dem sich jeder das heraus­bricht, was ihm gerade angenehm tröstlich und hilfreich erscheint. Wir aber wollen beim Bewährten bleiben und ernst nehmen, was Paulus geschrieben hat: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurecht­weisung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtig­keit.“

Bleiben und wachsen wie ein Baum – das gilt für den einzelnen Christen, das gilt für die christliche Familie, das gilt für die christliche Kirche und das lässt sich auch auf das ganze Volk übertragen. Wir müssen dankbar fest­stellen: Vieles Segens­reiche in unserem Volk ist Frucht des christ­lichen Glaubens, der viele Jahr­hunderte lang das Zusammen­leben geprägt hat. Viele Gesetze spiegeln das wieder, die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die Sozial­ordnung, die Fürsorge für Alte und Kranke. Wenn man eine Zeit lang in einem Volk lebt, dass so eine lange christliche Prägung nicht hatte, lernt man diese Segnungen erst richtig schätzen. Aber mit Sorge sehe ich in unserem deutschen Volk, dass der Baum krank geworden ist, dass viele Wurzeln nicht mehr Wasser und Nährstoffe aus dem Wort Gottes saugen. Und man sieht auch schon die Folgen: Die Blätter werden welk, und es gibt weniger Früchte. Es ist zum Beispiel er­schreckend fest­zustellen, dass die meisten Deutschen die Zehn Gebote nicht einmal mehr kennen, geschweige denn beherzigen. Die Haltung vieler Menschen ist nicht mehr geprägt von Nächsten­liebe, Gemeinsinn und Familien­sinn, sondern von Eigensinn und Habgier.

Aber es wäre falsch, wenn wir beim Jammern stecken­blieben. Wir selbst wollen vielmehr an Gottes Wort bleiben, aus der Kraft dieses Wortes wachsen, vor unseren Mitmenschen den Glauben fröhlich bekennen und dafür beten, dass wieder mehr Menschen in unserem Land Bäume werden – geistliche Bäume, verwurzelt in Gottes Wort. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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