Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Die Jünger baten Jesus, dass er sie beten lehrt. Eine gute Bitte. Auch wir sind Jünger, auch wir wollen von Jesus das Beten lernen. Selbst wenn wir schon jahrelang, jahrzehntelang beten: Man lernt nie aus, man bleibt sein Leben lang ein Gebetsschüler. Ein Jünger ist ja nichts anders als ein Schüler – einer, der vom Meister lernt.
Wie lehrt Jesus uns beten? Wie lehrte er seine Jünger damals? Wir haben es eben gehört: Auf drei Weisen lehrt er seine Jünger beten. Erstens lehrt er sie durch sein Vorbild: Er selbst betete regelmäßig, nahm sich Zeit dafür, suchte die Einsamkeit, um ungestört mit seinem Vater im Himmel reden zu können. Wir tun gut daran, diesem Vorbild nachzueifern. Wir tun gut daran, täglich eine stille Zeit zu reservieren und einen ungestörten Ort aufzusuchen, um mit unserem Vater im Himmel zu reden. Zweitens gibt Jesus seinen Jüngern ein Mustergebet vor, das Vaterunser. Wir tun gut daran, wenn dieses Mustergebet in unserer täglichen Gebetszeit einen festen Platz hat. Zum Inhalt des Vaterunsers will ich jetzt nichts sagen, denn das würde den Rahmen der Predigt sprengen; über das Vaterunser könnte man eine ganze Predigtreihe halten. Drittens – und das ist der ausführlichste Teil von Jesu Gebetsunterricht – spricht Jesus über das Beten in einer Weise, dass das Vertrauen der Jünger beim Beten gestärkt wird: Jesus möchte, dass seine Jünger beim Beten zuversichtlich auf Erhörung hoffen. Diese Herzenshaltung ist das Allerwichtigste beim Beten, wichtiger noch als bestimmte Zeiten, Orte oder Worte. Darum wollen wir diese dritte Lektion Jesu jetzt näher betrachten.
Der dritte Teil von Jesu Gebetsunterricht lässt sich noch einmal in drei Abschnitte gliedern: das Gleichnis vom bittenden Freund, das Wort von der Gebetserhörung und das Gleichnis vom bittenden Sohn. Die beiden Gleichnisse rahmen das Wort von der Gebetserhörung gewissermaßen ein, erhellen und vertiefen es gleichzeitig. Darum lasst uns zunächst genau auf diesen Mittelteil hören, das berühmte Wort von der Gebetserhörung: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ Wieder fällt uns eine Dreiteilung auf; wir haben es hier mit drei Paaren von Gebot und Verheißung zu tun. Die drei Gebote lauten: „bittet“, „suchet“, „klopfet an“; die drei Verheißungen lauten: „Wer bittet, empfängt.“ – „Wer sucht, der findet.“ – „Wer anklopft, dem wird geöffnet.“ Gebot und Verheißung – das sind die beiden Pfeiler, auf denen unser Gebetsleben ruht. Wir müssen beten, wir sollen Gottes Namen anrufen, egal ob wir das Bedürfnis verspüren oder nicht. Wir sollen Gott nicht die kalte Schulter zeigen, sondern, wie Luther es im Kleinen Katechismus beim 2. Gebot auslegt, ihn „in allen Nöten anrufen, loben und danken.“ Wer nicht betet, der beleidigt Gott und verfehlt den göttlichen Willen. Nun gab uns Jesus dieses Gebot aber nicht, um uns zu ärgern oder zu belasten, sondern um uns zu erfülltem Leben zu verhelfen, das macht die Verheißung deutlich. Wir dürfen uns gute Dinge erbitten und gewiss sein, dass der Vater im Himmel uns wohlwollend hört und diese guten Dinge auch geben wird. Was für eine großartige und liebevolle Einladung ist das, zumal wenn wir bedenken, dass wir dieses Vorrecht keineswegs verdient haben!
Kommen wir nun zum Rahmen, zu den beiden Gleichnissen. Da ist zunächst der Mann, der zu später Stunde Besuch bekommt von seinem Freund und der nun in großer Verlegenheit ist, weil er ihm nichts vorsetzen kann. Darum klopft er den Nachbarn aus dem Schlaf, mit dem er ebenfalls befreundet ist, und bittet ihn, ihm drei Brote zu leihen. Die Situation kommt uns heute ungewöhnlich vor, war aber zu Jesu Zeiten durchaus normal. Denn Gasthäuser waren damals spärlich gesät, und es gab auch keine Tankstelle, wo man rund um die Uhr notfalls noch etwas einkaufen konnte. Andererseits war die Gastfreundschaft etwas Heiliges; es war ganz selbstverständlich, dass man einen Bekannten, der überraschend zu Besuch kam, beherbergte und bewirtete. Die einfachen Lebensverhältnisse haben die Leute damals viel mehr zusammengeschweißt als es heute der Fall ist. Vielleicht war es ein bisschen wie zu DDR-Zeiten: Da gab es auch vieles nicht einfach so zu kaufen, darum war man viel mehr auf Beziehungen angewiesen, auf Freunde, die einem hier und da aushalfen. Die selbstverständliche Hilfe unter Freunden kleidet Jesus in eine rhetorische Frage: Ja, sollte es etwa einen Freund geben, der dem andern in dieser Situation nicht aus der Verlegenheit helfen würde, und sei es auch zu nachtschlafender Zeit? Würde er wirklich ein paar fadenscheinige Entschuldigungen durchs Fenster rufen und im Bett liegen bleiben? Undenkbar! Unmöglich! Und sei es nur, um Ärger zu vermeiden: Er würde der Bitte nachkommen und die Brote ausleihen.
Was lehrt uns das über das Gebet? Gott ist unser Freund. Wir können uns mit unseren Nöten und Problemen jederzeit an ihn wenden, und sei es auch zu nachtschlafender Zeit. Und wir können sicher sein: Er hört und hilft. Durch Jesus Christus stehen wir in einem engen Vertrauensverhältnis zu Gott. Es wäre unmöglich und undenkbar, dass er uns antwortete: „Lasst mich in Ruhe mit eueren Bitten!“ Nein, er hört und hilft.
Im zweiten Gleichnis bittet ein Sohn seinen Vater um Essen, um das tägliche Brot. Er hat Hunger. Er will einen Fisch essen und ein Ei. Der Vater hat diese guten und nahrhaften Lebensmittel vorrätig. Wieder stellt Jesus die rhetorische Frage: Könnte es sein, dass der Vater dem Sohn nun etwas Schlechtes, Schädliches und sogar Gefährliches gibt anstelle der erbetenen Nahrungsmittel? Wäre irgendein Vater auf der ganzen Welt so gemein, anstelle des Fisches eine Giftschlange herauszugeben und anstelle es Eis einen Skorpion? Undenkbar! Unmöglich! Und wenn schon alle fehlerhaften, sündigen Väter nicht so handeln würden, wie könnte dann erst der vollkommen gute Vater im Himmel so sein? Nein, wir können uns darauf verlassen: Er gibt es uns alles Gute, worum wir ihn bitten, und er behütet uns vor allem Schlechten, Schädlichen und Gefährlichen.
Wieder geht es bei dem Gleichnis um die Beziehung: Gott ist durch Jesus Christus unser lieber Vater, und wir sind seine lieben Kinder, darum können wir ihn vertrauensvoll bitten. Allerdings sollten wir dabei die übergeordnete Stellung Gottes beachten – bei dem Freundes-Gleichnis kommt das nicht zum Ausdruck, wohl aber beim Vater-Sohn-Gleichnis. Demütig sollen wir ihn bitten, mit kindlichem Vertrauen. Und worum sollen wir ihn bitten? Um gute und notwendige Dinge. Immerhin bat der Sohn im Gleichnis nicht um einen bunten Rock oder um ein Rennpferd, auch nicht um ein Handy oder eine Spielkonsole. Er bat um das tägliche Brot. So hat Jesus es auch im Vaterunser vorgebetet: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – das, was notwendig ist, nicht Überfluss und Luxus! Und wo wir nun gerade wieder beim Vaterunser sind, fällt auf: Nur eine von sieben Bitten des Herrengebets dreht sich um die Dinge dieser Welt, ums tägliche Brot nämlich; die anderen sechs Bitte drehen sich um das Reich Gottes, um das Lebensbrot Jesus Christus also, das zum ewigen Leben sättigt und stärkt. Wir merken: Die Lebensbrot-Bitten sind wichtiger als die Täglich-Brot-Bitten! Nach Gottes Reich sollen wir zuerst trachten, dann erst nach den Dingen dieser Welt. Und darum schließt Jesus seinen Gebetsunterricht ganz bewusst mit der Zusage: „Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen die ihn bitten.“
Nun mag mancher noch unausgesprochen eine Frage haben zum Gebetsunterricht, eine wichtige, brennende, notvolle Frage: „Was hat es zu bedeuten, wenn ich bete und dann doch nicht bekomme, was ich wollte?“ Diese Erfahrung machen ja Beter hin und wieder. Sogar der Apostel Paulus hat sie gemacht, der um Befreiung von einer Krankheit flehte, die ihn dann doch bis an sein Lebensende begleitete. Auf diese Frage habe ich keine Patentantwort bereit. Aber ich bin gewiss: Wer trotz dieser Frage am kindlichen Vertrauen zum himmlischen Vater festhält, der wird nach und nach verstehen lernen, warum das so ist. Warum uns Gott manchmal auf harte Geduldsproben stellt und erst nach langem Warten das Gebet erhört. Warum Gott manchmal unsere Bitten auf überraschend andere Weise erhört, als wir das erwartet haben. Warum manche vermeintlich guten Bitten dann doch eigentlich schädliche Bitten waren und etwas anderes für uns besser ist. Und warum Gott nicht alle Bitten zugleich erfüllen kann. Wenn der eine Christ um Regen für die Pflanzen in seinem Garten betet und der andere um Sonnenschein für das geplante Picknick, kann Gott nicht beides zugleich geben.
Aber wir sollten uns nicht zu sehr den Kopf zergrübeln über solche Fragen. Wir sollten einfach fröhlich weiterbitten, mit kindlichem Vertrauen. Und wir sollten einmal darüber nachdenken, wie ungeheuer viele unserer Bitten Gott denn schon erfüllt hat! Wie oft hat er es genau so kommen lassen, wie wir es erbaten! Ich selbst habe sogar zweimal in meinem Leben erlebt, dass Gott meine Bitten auf wunderbare Weise erfüllt hat, also gegen jede menschliche Erwartung. Lasst uns also bewusster wahrnehmen, wie Gott unsere Gebete erhört und erfüllt, und lasst uns nicht versäumen, ihm dafür dann auch reichlich zu danken. Amen.
PREDIGTKASTEN |