Den schweren Weg wählen

Predigt über 1. Mose 22,1‑13 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Nicht immer überrollt das Leid den Menschen un­entrinnbar wie eine Flutwelle. Es kann auch sein, dass da jemand vor einer Weggabelung steht und die Wahl hat zwischen dem Weg des Leides und dem Weg der Bequemlich­keit. Und wenn er dann den Weg des Leides als Gottes Willen erkennt und wenn er Gott fürchtet, dann geht er freiwillig und bewusst diesen schweren Weg.

Zu DDR-Zeiten standen viele Christen vor solchen Ent­scheidun­gen: Entweder Jugendweihe und FDJ-Mitglied­schaft, die den Weg zu Studium und Karriere öffneten, oder Verzicht darauf mit Rücksicht auf das christliche Gewissen und ent­sprechende Nachteile. Viel schwerer noch war die Situation für Christen im heidnischen Römerreich: Entweder sie opferten dem kaiser­lichen Standbild ein paar Weihrauch­körner und wurden in Ruhe gelassen, oder sie ver­weigerten diesen Götzen­dienst und mussten mit der schlimmsten Bestrafung rechnen.

Am schwersten aber hatte es wohl Abraham. Gott selbst wollte prüfen, wie belastbar Abrahams Glaube und Gottesfurcht war. Darum stellte er ihn vor die schwere Ent­scheidung: Entweder du gehorchst mir und tötest deinen einzigen geliebten Sohn, oder du ziehst deinen eigenen Willen dem göttlichen Willen vor. Was kann es für Eltern Schlimmeres geben, als das eigene Kind in den Tod zu schicken, noch dazu das einzige, noch dazu das heiß geliebte, das erst nach langem Warten und Flehen geschenkt wurde! Abraham stand vor einer qualvollen Weg­gabelung: Da gab es einerseits den guten aber schweren Weg des Gehorsams, da gab es anderer­seits den bequemen aber falschen Weg des Un­gehorsams. Menschlich gesehen hätte er gute Gründe gehabt, den bequemen Weg zu wählen und diesen auch vor Gott zu recht­fertigen: „Gott, das kannst du nicht von mir verlangen! Kein Mensch soll doch einen anderen töten! Du selbst hast mir und Sara diesen Isaak durch ein Wunder geschenkt, in einem Alter, wo sonst niemand mehr Kinder bekommt! Und du selbst hast doch Großes mit ihm vor, das hast du mir selbst ver­sprochen: Aus ihm soll doch das Volk werden, das so zahlreich ist wie die Sterne des Himmels!“ Aber Abraham diskutiert nicht mit Gott, sondern er gehorcht. Gegen alle menschliche Vernunft und gegen alles menschliche Gefühl sagt er: „Dein Wille geschehe“, und schickt sich an, Gottes schweren, leidvollen Befehl aus­zuführen.

Gott lässt Abraham wissen, auf welchem Berg im Lande Kanaan das Menschen­opfer dargebracht werden soll. Bis dahin ist es eine mehrtägige Reise. Mit quälender Ausführlich­keit wird von den Vor­bereitungen berichtet: Der Esel wird aufgezäumt, Holz wird gehackt, und zwei Knechte werden als Begleiter mit­genommen, denn man wusste damals nie, wer oder was einem unterwegs so alles begegnete.

Am Fuße des bewussten Berges lässt Abraham die Begleiter warten. Er will mit Isaak allein das letzte Stück des schweren Weges antreten. Er sagt zu den beiden Knechten: „Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.“ – „Wir wollen wieder zu euch kommen“, sagt er, nicht „Ich will wieder zu euch kommen“. Traut Abraham sich nicht, den Knechten die Wahrheit zu sagen? Oder will er im letzten Moment doch noch einen Rückzieher machen und Isaak nicht opfern? Sieht er irgendeinen Ausweg?

Ja, Abraham sieht einen Ausweg. Er hat einen felsen­festen Glauben, ein un­erschütter­liches Gott­vertrauen. Er glaubt, dass er mit einem lebendigen Isaak zurück­kommen wird, auch wenn er ihn opfert. Im Hebräer­brief lesen wir von Abraham: „Er dachte: Gott kann auch von den Toten erwecken“ (Hebr. 11,19). Abraham zweifelte nicht an Gottes Verheißung, dass aus Isaak ein großes Volk werden würde. Auch der Opfertod Isaaks kann diese Verheißung Gottes nicht ungültig machen – Gott wird ihn wieder zum Leben erwecken und Nachkommen haben lassen.

Dieser Glaube ist Abraham bestimmt ein großer Trost gewesen. Aber die Leidens­last, seinen eigenen Sohn opfern zu müssen, drückt trotzdem hart. Das Feuerholz lädt er dem Isaak auf den Rücken, das Messer und das Tongefäß mit Glut nimmt er selber. Während die beiden unterwegs sind, kommt es zu einem un­heimlichen Dialog. Isaak: „Vater!“ Abraham: „Ja, mein Junge?“ Isaak: „Wir haben Holz und Feuer, aber wo ist denn das Lamm für das Brand­opfer?“ Abraham: „Mein Junge, – Gott wird sich selbst ein Opferlamm auswählen.“

Oben auf dem Berg angekommen, häufen sie Steine zusammen als Altar und schichten das Holz darauf. Dann merkt Isaak, wer das Opferlamm sein soll: Sein Vater fesselt ihn, legt ihn auf den Holzstoß, zieht das Messer. Was für ein schlimmer Moment – das Schlacht­messer – die angst­geweiteten Augen Isaaks… Doch Abraham schreckt nicht davor zurück, Gottes leidvollen und un­verständ­lich Befehl aus­zuführen.

Da hat er die Glaubens­prüfung bestanden. Ein Engel greift im letzten Moment ein. Er erlässt Abraham den letzten ent­scheidenden Schritt zur Opferung seines Sohnes und richtet ihm vom All­mächtigen aus: „Nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinet­willen.“

Ich möchte jetzt nicht fragen, wie wir uns denn an Abrahams Stelle verhalten hätten – ob wir auch den schweren und leidvollen Weg des Gehorsams gewählt hätten. Aber wir sollten uns trotzdem prüfen, wie es mit unserer Gottes­furcht, mit unserem Gehorsam und mit unserem Glauben bestellt ist. Was machen wir denn, wenn wir an einer Ent­scheidungs-Weggabelung stehen: der eine Weg gott­gefällig aber leidvoll, der andere Weg bequem und sogar vernünftig, aber gegen Gottes Gebot? Machen wir uns überhaupt noch im Alltag die Mühe, sorgfältig zu prüfen, was Gottes Gebot und Wille ist, oder lassen wir uns von unserem Gefühl oder von der Mehrheit der Mitmenschen leiten? Sind wir leidens­scheu? Hört die Ausübung unseres christ­lichen Glaubens da auf, wo unsere Bequem­lichkeit, unsere persön­lichen Interessen, unsere lieb gewordenen Gewohn­heiten gestört werden könnten?

Unser Versagen in diesem Bereich ist schlimm. Abrahams Beispiel ist Lichtjahre von uns entfernt. Aber Gott hat uns trotzdem noch lieb. Er will nicht, dass wir an diesen unseren Fehlern zugrunde­gehen. Und darum ist Gott selbst zum Vater Abraham geworden, und sein ein­geborener Sohn zum Isaak.

Zweitausend Jahre nach Abraham machte Gott seinen Sohn Jesus Christus zum Opferlamm, das die Sünden der Welt trägt. Zweitausend Jahre nach Abraham lud er seinem Sohn das Holz des Kreuzes auf den Rücken. Zweitausend Jahre nach Abraham opferte er ihn als Sündopfer für die ganze Welt auf dem Hügel Golgatha – direkt neben Jerusalem, direkt neben dem Tempelberg. Und der Tempelberg war eben jener Berg Moria, auf dem Abraham Isaak opfern wollte. Aber zweitausend Jahre nach Abraham war da kein Engel, der in letzter Sekunde eingriff und das Schlimmste verhinderte. Zweitausend Jahre nach Abraham tranken der himmlische Vater und sein ein­geborener Sohn den bitteren Kelch des Leids bis zum letzten Rest aus. Zweitausend Jahre nach Abrahams Glauben an die Auf­erstehung der Toten hat Gott dann seinen eigenen Sohn wirklich von den Toten auferweckt. All das war zweitausend Jahre zuvor schon in Abrahams Versuchung im Keim angelegt – ein pro­phetisches Ereignis, das Gottes un­ermessliche Liebe zu uns bezeugt.

Und heute, noch einmal zweitausend Jahre später, bekommen wir Vergebung der Sünden und ewiges Leben geschenkt, weil der Vater den Sohn für uns geopfert hat. Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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