Gott ist in Christus offenbar

Predigt über Johannes 1,15‑18 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Epi­phanias“ heißt „Er­scheinung“. Das Er­scheinungs­fest am 6. Januar ist das Weihnachten der alten Kirche, das Fest der Erscheinung des Gottessohns auf Erden.

Wenn wir in diesem Jahr Epiphanias feiern, so könnten wir uns fragen: Wo tritt denn Gott in unseren Tagen in Erscheinung? Wo ist er denn gewesen, als die gewaltige Flutwelle über 100.000 Menschen in den Tod riss, dazu Unzählige verletzte, Unzählige arm und obdachlos machte? Warum hat er denn nicht die Wasser­massen auf­gehalten, wie einst am Schilfmeer, als sich die Hebräer durch das Meer hindurch vor den feindlichen Ägyptern in Sicherheit brachten? Wir verstehen nicht, warum Gott dieses Unglück zugelassen hat, er bleibt uns da als lieber Gott verborgen.

Zu allen Zeiten waren die Menschen verstört und ratlos darüber, dass Gott großes Unglück und Leid zulässt. Auch Martin Luther hat in diesem Zusammen­hang vom „ver­borgenen Gott“ gesprochen, von dem Gott, dessen Handeln uns verborgen und rätselhaft erscheint. Dasselbe ist auch bereits in der Bibel aus­gedrückt, zum Beispiel am Ende unseres Predigtexts im ersten Kapitel des Johannes-Evan­geliums, wo es heißt: „Niemand hat Gott je gesehen.“ Da geht es nicht nur um das Aussehen Gottes, sondern auch um sein Wesen und sein Handeln in der Welt: Verborgen ist Gottes Gesicht und verborgen ist der Sinn seiner Wege mit uns Menschen­kindern.

Nun klagen ja viele Gott deswegen an, nennen ihn wegen all des Leids und Elends in der Welt, das er zulässt, grausam oder ungerecht. Dazu, liebe Brüder und Schwestern, haben wir freilich kein Recht und auch keine Ver­anlassung. Denn wie sich der Ton beim Töpfer nicht darüber beschweren darf, zu was für einem Gefäß dieser ihn formt, ebenso wenig darf sich das Geschöpf beim Schöpfer be­schweren. Vor allem dann nicht, wenn das Geschöpf unter dem Gesetz des Schöpfers erkennen muss, dass der Schöpfer mit Recht enttäuscht und zornig ist. „Das Gesetz ist durch Mose geworden“, lesen wir in unserem Predigt­text, und im Spiegel der Zehn Gebote können wir erkennen, dass nicht Gott ungerecht ist, sondern dass wir ungerecht sind, dass wir Sünder sind. Gottes Zorn über die Sünde ist nur allzu berechtigt. Wir verdienten Killer­wellen und Schlim­meres, ja den ewigen Tod, wenn Gott uns unsere Sünden nach dem Maßstab seines Gesetzes heimzahlen würde.

Freilich ver­schließen die meisten Menschen heute die Augen davor. Die Sünde hat keineswegs abgenommen unter den Menschen, wohl aber ihr Sünden­bewusst­sein. Wie anders ist es zu erklären, dass die über 100.000 Todesopfer der Flut­katastrophe die Welt er­schüttern, nicht aber die über 100.000 toten Kinder in Deutsch­land, die im vergangenen Jahr ermordet wurden, noch ehe sie das Licht der Welt erblickten? Nur wenige Zeilen standen über sie in der Zeitung, kaum einer ist er­schüttert, kaum einer klagt an, dass so ein Verbrechen im Deutschland unserer Tage unter dem Anschein des Rechts möglich ist. Und das nur, weil wir die Schmerzens­schreie dieser Kinder nicht hören und ihre zer­schundenen Leichen nicht sehen.

Nein, niemand darf Gott ungerecht nennen, wenn er uns Menschen hart bestraft. Trotzdem erscheint uns sein Handeln dabei verborgen und un­verständ­lich; wir kriegen das nicht mit seiner Liebe und Gnade zusammen. Um die zu finden, müssen wir auf den Gottessohn Jesus Christus sehen. „Von ihm haben wir alle genommen Gnade um Gnade“, Gnade ohne Ende. Er hat die harte Gesetzes-Gerechtig­keit überwunden, die nur dem Gerechten Lohn verheißt, dem Übertreter aber Strafe und dem Sünder Elend und Tod. „Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Der Sünder, der sich in seiner Todesnot an Jesus klammert, erfährt Begnadigung in Gottes Gericht, weil Jesus die Strafe stell­vertretend für ihn abgebüßt hat. Und so finden wir den offenbaren Gott nur in Jesus Christus und im neuen Bund. „Niemand hat Gott je gesehen; der Ein­geborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns ver­kündigt.“ Bleibt uns Gottes wahres Wesen in seinem strafenden Zorn verborgen, so offenbart sich seine ganze große und über­wältigende Liebe in Jesus Christus und in der Vergebung der Sünden, die er uns erworben hat.

Freilich ist der in Jesus offenbare Gott und seine große Liebe verhüllt in Menschen­gestalt, verhüllt in Niedrieg­keit. Gott kam als einfacher Mensch zur Welt, als Kind armer Leute. Sein Sieg über die Sünde geschah in der scheinbaren Niederlage am Kreuz. Nur das Wort Gottes zeigt uns, mit wem wir es in Wahrheit zu tun haben und was er in Wahrheit für uns getan hat. Dieses Wort aber hat Gott uns in aller Deutlich­keit gegeben. Die Propheten haben alle diesen Heiland voraus­gesagt.

Als letzter in der Reihe der Propheten hat Johannes der Täufer bezeugt, dass mit Jesus Gott selbst zur Welt gekommen ist, Gott selbst in der Fülle seiner Liebe und Gnade. Johannes war ein halbes Jahr älter als Jesus, und er hat auch wesentlich früher als Jesus öffentlich gepredigt. Aber er bezeugte von ihm laut und deutlich: „Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen; denn er war eher als ich.“ Der später geborene Jesus ist in Wahrheit der ewige Gott, den es schon gab, bevor unsere Welt geschaffen wurde. Und in ihm war die ganze Fülle Gottes, wie es auch der Apostel Paulus im Kolosserbrief aus­führlicher ausgedrückt hat: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol. 2,9).

Noch heute sehen wir den offenbaren Gott in Jesus nur durch das Wort, nur mit Glaubens­augen. Was wir mit leiblichen Augen sehen, das kann uns nicht weiter bringen als bis zum verborgenen Gott. Es ist nicht so, dass die Herrlich­keit der Gottes­kindschaft und die Herrlich­keit der christ­lichen Kirche an Schönheit, Reichtum, und Glück erkennbar wäre oder sonst einer äußerlichen Pracht. Aber an das Wort können wir uns halten, da haben wir Christus in der Fülle seiner Gottheit, da empfangen wir Gnade um Gnade, da ist uns Gottes Liebe ganz nah.

Wenn wir uns an dieses Wort halten, dann erscheinen uns auch die schreck­lichen Dinge in der Welt um uns herum in einem ganz anderen Licht. Jesus hat sie ja voraus­gesagt, die Kriege, die Hungersnöte und die Erdbeben, die bis zum Jüngsten Tag nicht aufhören werden. Und er hat uns auf­getragen, dass wir darüber nicht erschrecken sollen. Vielmehr sollen wir diese Zeichen als Anfang der Geburts­wehen von Gottes neuer Welt ansehen. Wenn eine schwangere Frau nicht wüsste, was mit ihr los ist, sie würde meinen, sie wäre krank: Ihr wird schlecht, der Leib schwillt an, schließen treten schlimme krampf­artige Schmerzen auf. Kennt die Frau aber den Sinn ihres Zustands, dann weiß sie, sie ist gar nicht krank, sondern ein sehr freudiges Ereignis bahnt sich an: neues Leben soll geboren werden! So können wir im Licht des Evangeliums von Jesus Christus auch die Flut­kata­strophen und alle anderen Welt­katas­trophen deuten: Es ist nicht so, dass Gottes Zorn das letzte Wort behält und uns endgültig verderben will. Vielmehr sind es Geburts­wehen für Gottes neue Welt, für seinen neuen Himmel und seine neue Erde. So schmerzlich solche Geburts­wehen auch sind zu der Zeit, da sie erlitten werden, so wissen wir doch: Sie münden in Freude über neues Leben und werden dann gänzlich vergessen sein. Dann wird Gott alle Tränen abwischen von den Gesichtern derer, die durch Jesus Christus erlöst sind – auch bei denen, die jetzt tief erschüttert sind durch die Flut­katastrophe und meinen, nie mehr froh werden zu können. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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