Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Manche Leute meinen, das empfindlichste Organ des Menschen ist sein Portmonee. Deshalb ist es eine gefährliche Sache, über das Geld zu predigen. Normalerweise rede ich nicht viel über Geld in der Gemeinde. Es wäre nämlich denkbar schlecht, wenn die Kirche in den Ruf geriete, habgierig zu sein. Und es wäre geradezu katastrophal, wenn der Eindruck entstünde, die Kirche hätte etwas zu verkaufen. Nein, sie hat nur etwas zu verschenken: Das Evangelium, die gute Nachricht von Jesus Christus, und durch sie Vergebung der Sünden, Heil und Seligkeit. In der Kirche zählt nicht die kapitalkräftige Geberhand etwas, sondern die leere Nehmerhand: Bettler sind wir vor Gott; nie im Leben könnten wir den reichen Schatz bezahlen, den er uns hier schenken will. Dennoch will ich es wagen, jetzt eine Geldpredigt zu halten. Das Christsein betrifft nämlich den ganzen Menschen mit Leib und Seele einschließlich seines „empfindlichsten Organs“, seines Portmonees.
Jesus sitzt im Tempelvorhof und tut etwas, das man normalerweise nicht tun sollte: Er sieht zu, wie die Tempelbesucher Opfergaben in den Kollektenkasten werfen. Das Geld, das in diesem Kasten zusammenkommt, ist für die Unkosten der Tempelgottesdienste bestimmt, entspricht also etwa unseren Gaben und Kollekten für die Gemeinde. Jesus macht dabei eine Beobachtung: Viele Reiche geben ein bisschen von ihrem Überfluss ab; aber manche arme Leute haben erstaunliche Beträge für die Kirche übrig. Jesus gibt diese Beobachtung an seine Jünger weiter und zeigt ihnen daran, dass bei Gott eine andere Mathematik gilt als bei den Menschen: Die Größe der Gabe hängt keineswegs von der Höhe des Geldbetrages ab! Die arme Witwe opferte keine Gold- oder Silbermünzen, sondern Kleingeld, zwei der kleinsten Kupfermünzen, die es damals in Israel gab. Jesu Kommentar: „Diese arme Witwe hat mehr eingelegt als alle, die etwas eingelegt haben.“ Man beachte: Der Kleckerbetrag ist nach Gottes Mathematik mehr als das Gold und Silber der Reichen. Warum?
Das liegt zum einen am Empfänger des Opfers, zum anderen am Geber. Richten wir unseren Blick erstens auf den Empfänger. In der heutigen Situation ist es die Kirche, die Gemeinde Jesu Christi. Sie ist kein Wirtschaftsbetrieb, der mit seinem Kapital, Umsatz oder Gewinn steht und fällt. Grundsätzlich braucht die Kirche überhaupt kein Geld, denn der Herr der Kirche ist unendlich reich: Ihm gehört sowieso schon alles, die ganze Welt. Die Kirche ist eine Einrichtung, in der dieser Herr frei und umsonst seine kostbarsten Gaben austeilt: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Wie gesagt, grundsätzlich braucht die Kirche kein Geld. Daher ist es falsch zu meinen: Wenn die Finanzsituation immer schlechter wird, dann geht die Kirche daran kaputt. Nein, sie geht nicht kaputt, nicht bei dem Herrn. Allerdings: Vielleicht müssen wir uns in Zukunft umstellen. Vielleicht müssen wir Pastoren uns einmal in anderen Berufen etwas dazuverdienen. Vielleicht können wir auch unser Kirchgebäude einmal nicht mehr halten und müssen uns reihum in den Wohnzimmern der Gemeindeglieder versammeln. Aber auch dann will Gott uns weiter mit Wort und Sakrament beschenken, und davon lebt die Kirche. Das ist der eine Grund, warum bei einer Opfergabe nicht die Höhe des Geldbetrags entscheidend ist: Der Empfänger, die Kirche, lebt nicht vom Geld.
Der zweite Grund liegt auf Seiten des Gebers. Warum ist Jesus der Meinung, dass die Witwe mehr eingelegt hat als die vielen Reichen? Weil sie alles eingelegt hat, was sie besaß. Und weil darin ihr grenzenloses Gottvertrauen zum Ausdruck kam. Sie wusste: Ob ich morgen noch etwas zu essen haben werde, hängt nicht von meinem Wirtschaften ab, sondern von Gottes Barmherzigkeit! Sie handelte ganz einfältig nach Jesu Weisung: „Ihr sollt nicht sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit sollen wir uns kleiden?“ (Matth. 6,31) Sie bewies Vertrauen, sie bewies Glauben. Und zwar mehr Glauben als die, die aus ihrem Überfluss ein paar entbehrliche Gold- und Silbermünzen springen ließen. Um dieses Glaubens willen hat die Witwe in Gottes Augen mehr gegeben als alle Reichen. In der Gemeinde Jesu Christi zählt nicht das Haben, sondern das Glauben! Liebe Gemeinde, das sollten wir uns zu Herzen nehmen: Gott ist es egal, wieviel Geld wir haben; er möchte aber, dass wir viel Vetrauen zu ihm haben. Er möchte, dass wir nicht sorgen und meinen, in dieser Welt große Reichtümer ansammeln zu müssen. Er möchte, dass wir getrost im einfältigen Vetrauen auf seine Liebe leben. Und so sollen wir auch unsere Mitgemeindeglieder ansehen: Nicht diejenigen sind besonderer Ehre wert, die viel haben und hohe Kirchenbeiträge zahlen, sondern diejenigen, die viel Gottvertrauen haben und damit uns allen zu Vorbildern werden. Die geben der Gemeinde mehr als alle anderen – nach Gottes Mathematik!
Wenn nun solches Vertrauen, solcher Glaube vorbildlich ist, was bedeutet es dann, im finanziellen Bereich diesem Vorbild nachzueifern? Sollen wir wie die arme Witwe wirklich alles geben, unser gesamtes Barvermögen? Ja, in der Tat, alles, l00 Prozent! Alles Geld, das wir verdienen – oder das wir bekommen, ohne es zu verdienen – ‚ alles Geld sollen wir Gott geben. Hundert Prozent zur Ehre Gottes!
Wie aber soll das praktisch aussehen? Es bedeutet natürlich nicht, dass du all dein Geld der Kirche geben sollst. Man kann auch auf anderen Wegen Geld zur Ehre Gottes ausgeben. Wenn du Kindern eine Freude machst und ihnen ein Eis kaufst, gibst du das Geld dabei auch zur Ehre Gottes aus. Ebenso, wenn du das Dach deines Hauses reparieren lässt, damit es nicht hineinregnet. Oder wenn du dir ein neues Auto kaufst, ehe das alte zusammenbricht. Oder wenn du dich und deine Angehörigen mit Kleidung und Nahrung versorgst. Oder wenn du dich sinnvoll versicherst. Oder wenn du Rücklagen bildest für besondere Anschaffungen und Unvorhergesehenes. Gott hat vielen von uns Verantwortung für andere gegeben, zum Beispiel als Vater oder Mutter oder Arbeitgeber. Alles, was du mit gutem Gewissen vor Gott und den Menschen ausgibst, alles, was Nutzen und Freude bringt, geschieht zu Gottes Ehre. „Alles, was ihr tut, das tut alles im Namen Jesu und danket Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol. 3,17).
Aber hundert Prozent zur Ehre Gottes geben schließt ein, dass du einen Teil deines Geldes auch für Arme und Bedürftige gibst, einen Teil auch für die Ausbreitung des Evangeliums durch Kirche und Mission. Denn wenn auch die Kirche grundsätzlich kein Geld braucht, so hilft doch Geld bei den äußeren Voraussetzungen für gute Verkündigungsarbeit. Und dass das Geben in diesen Bereichen ein wichtiger Ausdruck christlichen Glaubens ist, dafür gibt es viele gute Beispiele und liebevolle Ermahnungen in der Bibel. Die Epheser mahnte der Apostel Paulus zum Beispiel, mit der eigenen Hände Arbeit Geld zu verdienen. Warum? Damit sie niemandem zur Last fallen? Paulus schreibt: „Damit ihr den Bedürftigen abgeben könnt“ (Eph. 4,28)! Die Korinther forderte er auf, jeden Sonntag etwas Geld für die Jerusalem-Kollekte beiseite zu legen, damit nicht erst in letzter Minute, wenn Paulus die Kollekte abholt, jeder schnell ein paar Pfennige zusammenkratzt. Für die alttestamentliche Gemeinde bestand die Ordnung, den Zehnten zu geben: Zehn Prozent von allen landwirtschaftlichen Erträgen wurden den Priestern und Tempeldienern zum Lebensunterhalt übergeben. Dabei wurden sogenannte „Erstlinge“ geopfert; die ersten Früchte, die ersten Garben und die ersten Jungtiere, die ein Muttertier zur Welt brachte.
Fasst man alle praktischen Opfer-Anleitungen der Heiligen Schrift zusammen, so kann man viel daraus für das eigene Geben lernen. Dabei sollten wir aber hüten, allgemein gültige Gesetze und Regeln aufstellen zu wollen. Ich könnte natürlich sagen: Für jedes konfirmierte Gemeindeglied muss unsere Gemeinde einen bestimmten Betrag im Jahr an die Gesamtkirche abführen, wenigstens das sollte jeder geben. Ich könnte sagen: Nach dem Haushaltsplan braucht die Gemeinde im kommenden Jahr durchschnittlich eine bestimmte Summe pro Gemeindeglied, wenigstens das sollte jeder geben. Ich könnte sagen: Viele konfirmierte Gemeindeglieder haben kein eigenes Einkommen; da sollten dann andere für sie einspringen… Aber ich betone noch einmal: Gottes Mathematik läuft anders; nicht die Höhe der Summen zählt, sondern das Maß des Glaubens. Wer freilich großes Vertrauen auf Gott setzt, er wird einen entsprechend großen Prozentsatz opfern können, denn er ist gewiss: Gott lässt mich nicht hängen! Ja, Geben ist Glaubens- und Herzenssache.
Wenn ich jetzt also eine praktische Anleitung für das finanzielle Dankopfer gebe, dann seht es bitte nicht als Gesetz an, sondern lediglich als gut gemeinte Hilfe zum fröhlichen Geben. Es ist gut, wenn du dir für deine regelmäßigen Gaben einen bestimmten Prozentsatz vornimmst, zum Beispiel zehn Prozent vom Netto-Einkommen, vom Taschengeld, von der Rente oder was auch immer du kriegst. Diesen Prozentsatz teilst du dir dann auf, etwa so: fünf Prozent Kirchenbeitrag, drei Prozent für die Mission und zwei Prozent für hilfsbedürftige Menschen über eine vertrauenswürdige Hilfsorganisation. Die entsprechenden Beträge überweist du dann monatlich per Dauerauftrag, oder du legst sie gleich nach Erhalt deines Geldes beiseite, um sie dann in die entsprechenden Kollekten zu tun. Das entspricht dem Erstlings-Geben im Alten Testament; du kommst dann gar nicht erst in die Versuchung, für die Armen oder für das Reich Gottes nur irgendeinen Restbetrag zu opfern, wie es die Reichen in unserem Predigttext taten. Zu diesen regelmäßigen Gaben solltest du dann immer noch eine offene Hand haben für den Fall, dass eine besondere Not an dich herangetragen wird. Da sollte dann die Linke nicht wissen, was die Rechte tut. Die zehn Prozent habe ich übrigens nur als Beispiel herausgegriffen. Wir leben in einer Zeit, in der es vielen gut geht, sodass sie auch einen höheren Prozentsatz verkraften können. Andererseits wird mancher vielleicht beim besten Willen nicht einmal die zehn Prozent aufbringen können.
Zum Schluss möchte ich unser Augenmerk auf den letzten Vers des Predigttextes lenken. Jesus erkannte etwas, das den anderen Tempelbesuchern verborgen bleiben musste: Die Frau hatte ihren ganzen Lebensunterhalt in den Kasten geworfen, „alles, was sie zum Leben hatte“. Wörtlich übersetzt steht da: „ihr ganzes Leben“. Und damit deutete Jesus an, dass christliches Geben und Opfern nicht auf den finanziellen Bereich beschränkt bleibt, sondern dass in allen Lebensbereichen Gott zu hundert Prozent geehrt werden soll. Ich könnte jetzt also eine entsprechende Predigt halten über die Zeiteinteilung eines Christen, ich könnte über Talente und Fähigkeiten sprechen, die wir von Gott bekommen haben. Aber, liebe Brüder und Schwestern, ihr werdet euch diese Predigten auch selbst halten können, wenn ihr eben aufgepasst habt. Ich wünsche euch jedenfalls solches Vertrauen zu Gott, dass ihr euer ganzes Leben, hundert Prozent, zu einem Dankopfer für Gottes wunderbares Evangelium macht. Amen.
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