Abrahahm hat unangenehm recht, liebe Gemeinde!
Auch wenn jemand von den Toten aufersteht, lassen sich die meisten Menschen nicht aus der Ruhe bringen. Sie kümmern sich nicht darum, ob der Zug ihres Lebens in die richtige Richtung fährt, sondern sorgen vielmehr dafür, dass sie bequem sitzen und im Speisewagen die besten Sachen aufgetafelt bekommen. Den Beweis hat Jesus selbst geliefert: Er ist von den Toten auferstanden! Trotzdem hält sich bis heute die ebenso dumme wie falsche Redensart: „Es ist noch niemand von den Toten zurückgekommen“. Dazu haben wir die klaren Worte des Neuen Testaments, die noch deutlicher bezeugen als das Alte Testament, also als „Mose und die Propheten“, worum es geht.
Das Gleichnis von Lazarus und dem reichen Mann sagt klipp und klar jedem Menschen, worauf ihr Leben hinläuft: auf ein Weiterexistieren entweder im Himmel oder in der Hölle. Was sich hier im Leben noch ändert, ist dann fest zementiert: ewige Freude oder ewiges Leid. So einfach ist das. Und darum geht es letztlich in der Bibel, und darum muss es auch in der Kirche gehen. Himmel oder Hölle warten auf jeden Menschen; da gibt es keinen Notausgang und kein Zwischending und keine Neutralität, auch nicht für Menschen, die „nicht religiös“ sind. Wer von Gottes Wort und vom Jenseits nichts wissen will, betreibt eine Vogel-Strauß-Politik: Er steckt den Kopf in den Sand vor einer Zukunft, die ihn unausweichlich erwartet. Himmel oder Hölle warten; so einfach ist das.
Vielen ist das zu einfach, zu erschreckend einfach, und sie diskutieren diese Tatsache weg. In unserer Zeit gibt es sogar in theologischen und kirchlichen Kreisen immer mehr solcher Wegdiskutierer, die mit scheinbar großer Gelehrsamkeit daherkommen. Sie drehen und wenden das Bibelwort so lange in ihren Köpfen herum, bis es keine Hölle mehr gibt. Und der Himmel wird ihnen oft auch nur noch zum Symbol für harmonisches, friedvolles Leben, das sich bereits hier auf Erden ausbreiten soll.
Da wissen sogar die Anhänger heidnischer Religionen besser als mancher Theologieprofessor, worum es geht. Wie sehr sie auch dem Götzendienst und Aberglauben verfallen sind: dass es einen Himmel und eine Hölle gibt, ist den meisten von ihnen ganz selbstverständlich klar. Gott hat den Menschen aller Zeiten eine Ahnung davon ins Herz gegeben, und das findet seinen Niederschlag in praktisch allen Kulturen. Nur die armen Menschen, die ihr eigenes Denken und ihre eigene Erfahrung über alles setzen, behaupten gegen die Stimme ihres Gewissens: „Mit dem Tod ist alles aus“.
Kehren wir aber zu der Geschichte mit Lazarus und dem Reichen zurück. Was erfahren wir da über den Himmel? Zunächst mal ist der Transport dorthin ganz interessant: „Die Engel trugen ihn zu Abraham in den Himmel.“ Der arme Lazarus, den man wahrscheinlich ohne großes Aufsehen in irgendeinem Armengrab verscharrt hatte, kommt unter dem festlichem Geleit von Gottes Ehrengarde in den Himmel. Das bekannte Spiritual „Swing low, sweet chariot“ malt das ausführlich aus: Eine Engelschar – „a band of angels“ – kommt vom anderen Ufer des Jordan herüber; also vom gelobten Land Kanaan her, um die Seele des Gläubigen mit der herrlichen, sanft swingenden Kutsche, mit der „sweet chariot“, abzuholen. Dann bekommt Lazarus einen Ehrenplatz beim himmlischen Festbankett: Er darf bei Abraham sitzen, der als Vater aller Gläubigen ganz obenan tafelt. Ja, er darf sogar in Abrahams Schoß ruhen, geborgen wie ein kleines Kind bei seiner Mutter. „Rock my soul in the bosom of Abraham“, „Wiege meine Seele in Abrahams Schoß“, heißt es in einem anderen Spiritual aufgrund dieser Bibelworte. Natürlich sind solche Worte und Beschreibungen nur ein ganz schwacher Abglanz von der Festfreude, dem Frieden und der ewigen Geborgenheit im Himmel. Wie schön es wirklich wird, übersteigt ganz und gar unser Vorstellungsvermögen.
Und was sagt die Lazarus-Geschichte über die Hölle? Zunächst einmal erfahren wir, dass die Hölle ganz selbstverständlich der Ort ist, wo ein Mensch normalerweise nach seinem Tod hinkommt. „Der Reiche starb und wurde begraben“ heißt es – wahrscheinlich mit großem Pomp und unter rührenden Worten – und findet sich unversehens in der Hölle wieder. „Drunten in der Hölle litt er große Qualen“, erzählt Jesus weiter – ohne erklärenden Übergang! Das ist das normale Schicksal der Menschen seit Adam und Eva: Wen Gott nicht herausreißt aus dem Tod und per Engelkutsche in den Himmel bringt, der kommt automatisch ins Totenreich, von dem schon das Alte Testament ausführlich zu berichten weiß. Dort ist es unangenehm heiß und trocken; der Reiche leidet entsetzlich. Besonders schlimm aber muss für ihn der Anblick der himmlischen Tafel gewesen sei, an der plötzlich der kaum beachtete Bettler von seiner Haustür einen Ehrenplatz hat. Ein klein wenig möchte er an den Erfrischungen des Festmenüs Anteil haben, ein klein wenig möchte er wieder bedient werden, und sagt deshalb zu Abraham: „Schick mir doch Lazarus! Er soll seine Fingerspitze ins Wasser tauchen und meine Zunge ein wenig kühlen.“
So beginnt die Diskussion mit Abraham, aus der zwei Drittel der Geschichte bestehen. Im Verlauf dieser Diskussion wird klar, dass es keinerlei Querverbindungen zwischen Himmel und Hölle geben kann und dass dieser Zustand auf ewig so festgelegt ist. Es ist müßig darüber nachzudenken, wieviel Grad Celsius denn in der Hölle herrschen und aufgrund welcher physikalischen Gesetze die Menschen in ihr nicht verbrennen und nicht verdursten. Was an der Hölle das Quälende ist, wird in der Geschichte ganz deutlich. Es ist erstens die Erkenntnis: Gott und den Himmel gibt es wirklich, aber ich bin getrennt davon (auf der Erde dagegen fühlen sich viele recht wohl dabei, nichts mit Gott zu tun zu haben). Es ist zweitens die Erkenntnis: diese Trennung ist endgültig; ich muss für immer hier in der Qual bleiben. Und es ist drittens der ständige Selbstvorwurf: Hätte ich doch nur rechtzeitig auf Gottes Wort gehört! Der zeigt sich beim reichen Mann darin, dass er wenigstens seine noch lebenden Brüder warnen lassen will.
Die Geschichte mit Lazarus und dem Reichen zeigt uns also klipp und klar, was es mit Himmel und Hölle auf sich hat. Und jeder, der jetzt nicht den Kopf in den Sand steckt wie die fünf Brüder des Reichen, sondern auf Mose und die Propheten und die Bibel und den auferstandenen Christus hört, muss sich jetzt fragen, wie er der Hölle entgehen und in den Himmel kommen kann. Um das aus der Geschichte zu lernen, muss man freilich dreimal hinsehen.
Auf den ersten flüchtigen Blick könnte man denken, nach dem Tod gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit. Der Arme lebt dann in Saus und Braus, der Reiche guckt dumm aus der Wäsche. Die Verhältnisse sind ganz einfach auf den Kopf gestellt. Und so antwortet ja auch Abraham auf das Gejammere des Reichen: „Denk daran, dass es dir im Leben immer gut gegangen ist, Lazarus aber schlecht.“ Mancher Theologe der Neuzeit will die Botschaft der Bibel auf diese Formel bringen: Die bösen Reichen werden nach dem Tod bestraft, die lieben Armen belohnt. Aber so einfach ist das nicht, wie es der erste flüchtige Blick erscheinen lässt.
Beim zweiten, ausführlicheren Blick merken wir nämlich, dass der Reiche nicht nur reich war, sondern auch von Gottes Geboten nichts wissen wollte. Ihn ließ der Arme vor der Haustür kalt. Der musste mit den Brotfladen vorliebnehmen, die die Reichen damals zum Händeabwischen verwendeten (die Serviette war noch nicht erfunden) und die sie dann einfach unter den Tisch fallen ließen. Dass Gottes Gebot Barmherzigkeit und Mildtätigkeit fordert, wusste er zwar, richtete sich aber nicht danach. Er wusste, er hätte nach Gottes Willen anders leben müssen, denn in der Hölle will er ja nun erreichen, dass sich wenigstens noch seine Brüder ändern, die genauso leben wie er lebte. Sein Problem war demnach nicht der Reichtum an sich, sondern dass er nichts davon abgeben wollte. Dieser zweite Blick muss uns eigentlich ungeheuer erschrecken. Oder gibt es hier einen einzigen unter uns, der von sich sagen kann, dass er von seinen materiellen Gütern genug weitergibt an Arme und Bedürftige? Steht also der Himmel für uns auf dem Spiel?
Dieses Erschrecken ist gut, wenn es uns zum dritten Blick auf die Geschichte führt. Der arme Lazarus kam nicht deshalb in den Himmel, weil er so mildtätig war. Er konnte es ja auch gar nicht sein. Aber auch seine Armut und sein Leiden an sich waren nicht der Grund. Das Geheimnis, warum Lazarus in den Himmel kam, steckt vielmehr in seinem Namen drin. Es ist ganz und gar ungewöhnlich, dass Personen in Jesu Gleichnissen Namen tragen; also muss es mit dem Namen „Lazarus“ etwas Besonderes auf sich haben. „Lazarus“ bedeutet „Gott hilft“. Lazarus war ein Mann, der darauf vertraute, dass Gott hilft. Er glaubte also! Das allein ist es, was einen Menschen in den Himmel bringt: Das Vertrauen auf Gottes Hilfe! Gottes Hilfe aber gipfelt in Jesu Tod am Kreuz für alle Menschen. Der Glaube an Jesus, der bringt in den Himmel, das ist die eindeutige Botschaft, die wir aus der Geschichte mitnehmen können. Die Moral von der Geschichte lautet also: Wenn jemand in die Hölle kommt, dann wegen seines schlechten Lebenswandels, wegen seiner Sünde. Wenn jemand in den Himmel kommt, dann nicht aufgrund seines guten Lebenswandels – den sucht Gott bei allen Menschen vergeblich! – , sondern aufgrund seines Vertrauens in Gottes Hilfe, seines Glaubens an Jesus Christus.
Zufall ist es nun aber keineswegs, dass der Arme in der Geschichte glaubt und gerettet wird, der Reiche dagegen nicht glaubt und aufgrund seiner unvergebenen Schuld in die Hölle kommt. Zwar könnte es auch umgekehrt sein, aber das wäre die große Ausnahme. „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt“, sagte Jesus. Der Grund: Ein Reicher hängt sein Herz an den Reichtum. Sein Herz ist besetzt; es ist nicht frei, Jesus zu lieben und ihm zu vertrauen. Ein Reicher ist viel zu beschäftigt mit sich und seinem Reichtum: Er muss ja Geld 'ranschaffen, es bei Festgelagen wieder ausgeben, Haus und Garten in Schuss halten, dauernd was Neues kaufen. Er hat viel zu verlieren und macht sich darum ständig Sorgen um seinen Besitz, schließt Versicherungen ab, baut Alarmanlagen ein, bildet Rücklagen, informiert sich über sichere Vermögensanlagen. Meistens hat er dann keine Zeit und kein Interesse für Gottes Wort oder zum Beten oder zur Gemeinschaft mit Glaubensgeschwistern. Der Arme dagegen weiß, dass er nichts zu verlieren hat. Er weiß, dass er sich nicht selbst helfen kann, und ist darum viel bereiter, Hilfe anzunehmen.
Liebe Gemeinde: Vorsicht, wenn wir reich sind! Wie sehr stehen wir in der Gefahr, unseren Glauben zu verlieren, uns über der Beschäftigung mit unserem Reichtum die Zeit zur Gemeinschaft mit Gott und den Glaubensgeschwistern zu stehlen! Da wird dann plötzlich der Urlaub in den Oster- oder Weihnachtsferien wichtiger als die Feier dieser hohen Feste in der eigenen Gemeinde. Der Kopf ist voll mit Urlaubsplänen, Mode, Kosmetik, wünschenswerten Anschaffungen oder raffinierten Kochrezepten. Ach, dass wir doch arm wären! Wieviel kleiner wäre die Gefahr, vom Glauben abzufallen und den Himmel zu verspielen. Darum lasst uns von unserem Reichtum reichlich abgeben – nicht nur den Armen zuliebe, sondern auch uns selbst zuliebe, damit wir frei werden für richtiges Gottvertrauen. Denn nur mit dem rechten Glauben werden wir eines Tages Lazarus und Abraham Gesellschaft leisten können. Amen.
PREDIGTKASTEN |