Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Manchmal werde ich gefragt: Warum tut Gott heute keine Wunder mehr? Dann antworte ich: Er tut auch heute noch Wunder, das können viele Christen bezeugen. Und besonders fleißige Beter erleben wunderbare Erhörungen. Dennoch muss ich zugeben, dass Gott sich oft verborgen hält und nicht zu antworten scheint. Vor allem zeigt er seine große Macht nicht mehr in der Öffentlichkeit, so wie er zum Beispiel damals die zehn Plagen über Ägypten brachte. Wir leben, so scheint es, in einer Dürrezeit der Gottesoffenbarungen vor der Welt. Das hat wahrscheinlich mit dem Abnehmen des Glaubens und der Liebe zu tun, was Jesus selbst für die Endzeit angekündigt hat. Und doch schenkt uns Gott auch in dieser Dürrezeit das, was für unseren Glauben nötig ist: Er schenkt uns sein Wort, das uns von den vergangenen Sternstunden der Gottesoffenbarung Kunde gibt. Wenn wir eben vom Vorabend des Auszugs der Israeliten aus Ägypten gehört haben, dann ist das so eine Sternstunde der Gottesoffenbarung. Dieses „Passa“ Gottes, wie es genannt wird, möchte ich mit zwei weiteren Sternstunden der Gottesoffenbarung in Verbindung bringen, die ich das zweite und das dritte Passa nenne.
Beim ersten Passa zeigte Gott mit Machterweisen sowohl seinen Zorn als auch seine Gnade. Es hatte seinen guten Grund, dass die Ägypter in dieser Nacht Gottes Zorn zu spüren bekamen: Ihr König, der Pharao, ließ nicht zu, dass die Hebräer von ihrem Sklavendienst beurlaubt werden. Genau das aber forderte Gott von ihm. „Lass mein Volk ziehen!“, lautete Gottes Befehl durch Mose und Aaron. Doch der Pharao beugt sich diesem Befehl nicht. Er erkannte die Autorität Gottes nicht an und nahm den Machtkampf mit ihm auf. Neunmal hatte Gott bereits mit Plagen gewarnt, die immer härter wurden, und neunmal hatte der Pharao nein gesagt und sein Herz verstockt. Jetzt, beim zehnten Mal, schlug Gott unbarmherzig zu: In dieser Nacht vertilgte er alle Erstgeborenen unter Mensch und Vieh in Ägypten. Leichengeruch und Klageschreie lagen über dem Land. Gott zeigte, wer er ist: Ein Gott, der sich nicht zum Narren halten lässt und der keine leeren Drohungen von sich gibt. Er ist zwar sehr geduldig und hatte neunmal vorgewarnt, am Tag X aber, als seine Stunde gekommen war, zeigte er sich als Richter und Herr über Leben und Tod.
Ja, dieses erste Passa, diese Sternstunde der Gottesoffenbarung, zeigte seinen Zorn. Aber sie zeigte auch seine Gnade. Denn das große Leid der Ägypter wurde Gottes auserwähltem Volk, den Israeliten, zur Befreiung aus der Sklaverei und zum Aufbruch in das versprochene Land – ein fruchtbares Land, fast ein Schlaraffenland, ein „Land, wo Milch und Honig fließt“. So durften die Hebräer die Nacht des Passa, diese Sternstunde Gottes, in freudiger Erwartung verbringen. Sie spürten: Jetzt ist die Stunde da, Abschied zu nehmen von Ägypten und von einer verhassten Arbeit. Jetzt ist die Stunde da, aufzubrechen in eine Zukunft, die bisher nur in vagen Vorstellungen und Träumen existiert hatte. Diese Aufbruchstimmung, diese Vorahnung von etwas Besonderem, lag in der Luft, als die Hebräer Moses Anweisungen empfingen. Ein Fest sollten sie feiern – mitten zwischen den gepackten Bündeln ein Fest, das erste Passafest. Blut sollten sie an den Querbalken und die Pfosten ihrer Türen streichen, das Blut der Passalämmer; und dieses Blut würde die Grenze bilden zwischen dem Leichengeruch von Gottes Zorneshandeln draußen und dem Bratengeruch von Gottes Fest und Gnadenhandeln drinnen. Am Blut an der Tür zeigten sich das Vertrauen zu Gott und der Gehorsam seiner Anweisung gegenüber. Dort würde Gottes tödlicher Zorn vorübergehen, passieren und sie überspringen; dort würde Gottes Gnade im Passa deutlich werden, denn Passa heißt „überspringen“. Das galt nicht nur für die Sternstunde des Passa, sondern auch für die Zeit danach, in der das Passafest nach Gottes Anweisung jährlich wiederholt werden sollte. Eine Generation sollte der nächsten erklären: So wunderbar hat sich Gott damals erwiesen; so furchtbar ist sein Zorn für die, die sich gegen ihn auflehnen, und so herrlich seine Gnade für die, die ihm vertrauen und gehorchen. Mit dem Wiederholungsgebot sorgte Gott dafür, dass die Israeliten auch in geistlichen Dürrezeiten an diese Sternstunde denken und Gott vertrauen konnten.
So ein Passamahl, so eine Erinnerungsfeier an das erste Passa, bildete auch den Rahmen für Gottes zweites Passa, für die zweite Sternstunde der Gottesoffenbarung, um die es hier gehen soll. Jesus feierte dieses Passamahl mit seinen Jüngern. Und weil er ihr Gastgeber und Hausvater war, deutete er ihnen das Fest. Aber erst zu dieser Sternstunde kam die eigentliche tiefe und geistliche Bedeutung des Festes an die Oberfläche: Er, Jesus selbst, war das Passalamm; er selbst war das Brot, das den Jüngern zugute zerbrochen wurde; er selbst vergoss das Blut, das nun nicht an den Balken der Haustür, sondern an den Balken des Kreuzes vor Gottes Zorn rettete — nicht nur einmal, sondern ein für alle Mal, durch die Vergebung aller Sünden. Auch in diesem großen Machterweis Gottes zeigten sich sowohl sein Zorn als auch seine Gnade: Es zeigte sich der Zorn über die verkehrte, verstockte und ungehorsame Menschheit, der sich — so wahr Gott lebt — entladen musste, denn Gott steht zu seinem Gebot und Warnen. Aber dieser Zorn entlud sich wunderbarerweise auf Gottes eigenen Sohn, der wie ein Blitzableiter alle Strafe auf sich zog. Seht, wie er leiden musste an Leib und Seele! Wie die Dornen in seine Kopfhaut stachen! Wie Blut aus seinen Wunden floss! Wie er sich vehöhnen und verurteilen ließ, während er genau wusste, dass er nichts Böses getan hat! Wie er mit ansehen musste, dass ihn alle Freunde verließen! Wie er qualvoll den ach so bitteren Kelch des Todes kosten musste, der Sünde Sold!
Aber gerade darin zeigte sich Gottes wunderbares Gnadenhandeln: Wie beim ersten Passa zur Feier die besten Lämmer geschlachtet wurden (einjährig, männlich und ohne Fehler), so gab Gott beim zweiten Passa das Beste und Liebste, was er hatte, als sein Lamm, als das Lamm Gottes, und weitete zugleich im neuen Bund seine Gnade vom erwählten Volk Israel auf die ganze Menschheit aus. Darüber hinaus sorgte Gott für die Erinnerung an diese Sternstunde des zweiten Passa im Hinblick auf folgende Dürrezeiten – nicht nur in der Predigt des Evangeliums unter allen Völkern, sondern auch in der Stärkung durch das neue Passamahl, das Heilige Abendmahl, in dem sich Christus selbst zu essen und zu trinken gibt. Er hat es eingesetzt mit den Worten: „Solches tut zu meinem Gedächtnis.“
Diese Mahlzeit und die Erinnerung an das zweite Passa, das Kreuzes-Passa, soll uns zum dritten Passa geleiten, der letzten Sternstunde der Gottesoffenbarung, die diese Welt sehen wird. Auch dann wird sich Gott durch den wiederkommenden Jesus Christus in Zorn und Gnade herrlich erweisen. Der Zorn wird dann diejenigen treffen, die sich nicht seiner Macht beugen wollten, sondern die wie Pharao ihr Herz verstockten und meinten, auch ohne Christus und ohne sein Blut mit ihrer Schuld fertig zu werden. Dann wird ihr Klagegeschrei zu hören sein. Denkt nicht, Gott würde dann sagen „Schwamm drüber!“ und alle Menschen in den Himmel nehmen. Er hat es anders angekündigt, und das Passafest macht es deutlich: Gott steht zu seinem Wort. Gottes Geduldsfaden ist lang, und er warnt auch vor dem dritten Passa noch mit neun oder 99 leichteren Plagen. Kriege, Erdbeben und Wirtschaftskrisen sind Vorboten dieses Tages X, der letzten Sternstunde, die Jesus angekündigt hat. Alles läuft nach Gottes Plan; seine Warnungen stehen und gelten, und sein langer Atem kann den Plan nur scheinbar hinauszögern, nicht aber ändern. Der Tag X kommt bestimmt.
Für uns aber, die wir durch die heilige Taufe in sein Volk hineingenommen worden sind, ist dieser Tag X mit Gottes großem Gnadenerweis verbunden: Er wird uns dann nämlich in das versprochene himmlische Land führen, in das vollkommene himmlische Kanaan, wo Milch und Honig und Freude und Liebe fließen werden. Gottes Endabrechnung mit seinen Feinden und besonders mit dem einen altbösen Feind, dem Satan, wird an uns vorübergehen, wenn wir unsere Herzenstür mit dem Blut des Gotteslammes bestrichen haben und glauben: „Das Blut Jesu Christi rettet uns von aller Sünde“ (1. Joh. 1,7). Noch wohnen wir in dieser Welt der Knechtschaft, die uns die Sünde gebracht hat, aber schon feiern wir die Nacht, auf die unsere völlige Befreiung folgen wird. Wir sind in freudiger Erregung, in Aufbruchstimmung. Wir wissen, dass wir nicht mehr lange hier sein werden, und richten unsere Gedanken in die wunderbare Zukunft, von der wir nur erahnen können, wie traumhaft schön sie sein wird.
Lasst uns Passa feiern am Vorabend zu Gottes letzter großer Sternstunde. Lasst uns mit dem Blut des Lammes unsere Herzenstüren bestreichen. Lasst uns an das erste und zweite Passa denken und uns auf das dritte vorbereiten. Wir wollen dabei auch an diejenigen denken, die von Gott ebenfalls zu diesem Fest berufen sind, aber nicht kommen wollen. Es ist unsere Aufgabe, sie zu mahnen, dass auch sie an das Blut Jesu glauben, denn ohne den Glauben, ohne sein Blut an der Herzenstür, wird Gottes Verderben vor ihnen nicht Halt machen. Vor allem aber wollen wir uns an Gottes Weisung halten und Passa feiern nach seinem Gebot in der Feier des Heiligen Abendmahls. Kommen wir, feiern wir, folgen wir dem Beispiel der Hebräer vor dem ersten Passa, von denen es heißt: „Da neigte sich das Volk und betete an. Und die Kinder Israel gingen hin und taten, wie der Herr es Mose und Aaron geboten hatte.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |