Liebe Gemeinde!
Wer einen Garten hat, sollte hin und wieder Unkraut jäten. Wer ein Haus besitzt, sollte es hin und wieder renovieren. Wer einen Staat führt, sollte hin und wieder sinnvolle Reformen durchführen. Wer in der Kirche etwas zu sagen hat, sollte sich für notwendige Erneuerungen einsetzen. Wer ein Christ ist, sollte in ständiger Buße und Herzenserneuerung leben, wie Martin Luther es am Anfang seiner berühmten 95 Thesen forderte, die er heute vor genau 489 Jahren in Wittenberg erstmals veröffentlichte.
Wir sehen: Renovierungen, Reformen und Reformationen tun überall not. Ein biblisches Vorbild ist Josia, König in Jerusalem im 7. Jahrhundert vor Christus, ein Zeitgenosse der Propheten Zefanja und Jeremia. Bereits im zarten Alter von acht Jahren wurde er gekrönt, hatte freilich zunächst noch nicht viel zu sagen. Mit 16 begann er, selbständig nach Gott zu fragen und nach den Grundlagen, die ihn beim Regieren leiten können.
Das sollte immer der erste Schritt einer Reform sein: dass man sich auf die Grundwerte besinnt. Wer im Garten arbeitet, sollte eine klare Vorstellung haben, wo was hingehört: Blumen, Gemüse, Rasen und der Komposthaufen. Wer ein Haus renoviert, sollte wissen, in welchem Stil er das tut und welche Farben zusammenpassen. Wer einen Staat führt, sollte sich im Klaren sein, was er den Bürgern schuldig ist. Für Martin Luther war Grundlage und Ausgangspunkt der Reformation, dass er durch fleißiges Bibelstudium den gnädigen Gott gefunden hatte, der viel lieber Sünden vergibt als sie bestraft. Heute täte es der Kirche gut, sich wieder stärker darauf zu besinnen, dass Gottes Liebe nur in seinem Sohn Jesus Christus zu finden ist. Und was die tägliche Herzensreform des Christen angeht, so ist es gut, grundsätzlich zu fragen: Lebe ich liebevoll und wahrhaftig?
Nach der Besinnung auf die Grundlagen machte sich König Josia zweitens daran, Götzendienst und Aberglauben aus seinem Land auszurotten. Er begann damit, als er zwanzig war. Er verbrannte Götzenbilder, riss heidnische Kultstätten ab, verbot Wahrsagerei und Zauberei. Es ist bei jeder Reform wichtig, alles Unbrauchbare und Schlechte aus dem Weg zu räumen. Wie gesagt, wer einen Garten hat, muss Unkraut jäten. Wer ein Haus renoviert, sollte es vorher entrümpeln. Wer staatliche Reformen durchführen will, sollte erst einmal unter den bestehenden Gesetzen aufräumen: Was darin ungerecht und zu kompliziert ist, muss weg, auch alles, was auf verflossene gesellschaftliche Verhältnisse zugeschnitten war und darum heute nicht mehr passt. Martin Luther hat sich bei der Reformation dafür eingesetzt, dass das Unkraut des Ablasshandels in der Kirche ausgejätet wird, denn ihm war klar: Wo der Erlass von Sündenstrafen für Geld verkauft wird, da kann man nicht glaubwürdig die Vergebung der Sünden als Gottes Gnadengeschenk predigen. Auch heute gäbe es allerhand Unkraut in der Kirche auszujäten, zum Beispiel die Bibelkritik, die unter dem Vorwand der Wissenschaft Gottes Wort in Zweifel zieht. Und was die tägliche Herzensreform angeht, da weiß hoffentlich jeder, was ausgejätet werden muss: Egoismus, Neid, Hass, Unversöhnlichkeit und dergleichen.
König Josia sorgte drittens auch äußerlich für Ordnung: Er ließ den ziemlich heruntergekommenen Jerusalemer Tempel renovieren. Im Alter von 26 Jahren beauftragte er den Hohenpriester Hilkija, die Tempelbaukasse zu holen, in der sich inzwischen ein ansehnlicher Betrag angesammelt hatte. Dann gab er Anweisungen für die nötigen Arbeiten an Mauerwerk und Balken. Er tat es, weil er überzeugt war: Die inneren Reformen an Staat und Gottesdienst müssen sich auch äußerlich an den Gebäuden zeigen; wo innere Ordnung herrschen soll, muss auch äußere Ordnung herrschen. Man sieht das auch beim Hobby-Gärtner: Wer drinnen im Geräteschuppen aufräumt, hat meistens auch draußen einen ansehnlichen Garten. Und wer draußen an seinem Haus Dach und Fassaden instand setzt, wird drinnen nicht mehr mit der zwanzig Jahre alten Tapete vorlieb nehmen. Im Staat ist es heute eine Binsenweisheit, dass die äußere Präsentation von Politik und Reformen in den Medien ganz wichtig ist; manchmal scheint das den Politikern sogar wichtiger zu sein als die Inhalte. Dagegen ging es Martin Luther bei der Reformation fast ausschließlich um Inhalte – aber es lag in der Natur der Sache, dass dies auch äußerliche Auswirkungen hatte, zum Beispiel auf die Gottesdienstgestaltung: Da wurde plötzlich nicht mehr lateinisch, sondern deutsch gesprochen; und alle Gemeindeglieder tranken aus dem Abendmahlskelch, nicht nur die Priester. In der Gegenwart ist der aufwändige Wiederaufbau der Frauenkirche äußeres Symbol für das innerlich erstarkte kirchliche Selbstbewusstsein. Und für die tägliche Herzensreform der Christen ist es schließlich auch empfehlenswert, sie mit äußerer Ordnung zu verbinden, etwa mit festen täglichen Zeiten für Andacht und Gebet.
In der Bibel ist ausführlich dokumentiert, welche Mitarbeiter König Josia mit der Tempelsanierung beauftragte: Der Priester Hilkija sollte die Oberaufsicht haben, verschiedene Handwerksmeister sollten ihren jeweiligen Fachbereich leiten und die einfachen Arbeiter beaufsichtigen. Wir sehen also viertens: Es ist gut, wenn Menschen bei Reformen zusammenarbeiten und dabei gut aufgestellt sind. Auch bei der Gartenarbeit geht es besser voran, wenn viele Hände mithelfen, ebenso wie bei der Renovierung eines Hauses. Bei staatlichen Reformen ist die personelle Organisation eine der wichtigsten Bedingungen, von denen das Gelingen abhängt; was wäre z. B. eine Bildungsreform, wenn die Lehrer dabei nicht richtig mitziehen? Auch die Reformation war keineswegs das Werk eines Einzelnen, sondern Luther hatte viele tüchtige Mitstreiter, allen voran das Sprachengenie Philipp Melanchthon. Weil die Kirche der Leib Christi mit vielen verschiedenen Gliedern ist, versteht es sich bei Kirchenreformen von selbst, dass man gut zusammenarbeiten sollte. Sogar bei der ganz persönlichen Herzensreform des Einzelnen können andere mithelfen: Ich kann andere bitten, für mich zu beten, oder ich kann sie um Rat fragen.
Bei König Josias Tempelrenovierung wurde eine alte Schriftrolle gefunden. In ihr stand das Gesetz, das Gott durch Mose dem Volk Israel gegeben hatte. Diese Gottesworte waren zu der Zeit gänzlich verschollen gewesen. Als Josia sie sich vorlesen ließ, wurde er sehr bestürzt, denn er merkte: In vieler Hinsicht leben wir ja nicht nach Gottes Willen; wenn wir dieses Gesetz ernst nehmen, dann müssen wir uns ändern! Das gab Josias Reformeifer noch einmal einen ganz neuen Anschub. Er nahm die Androhung von Gottes Strafe in der Gesetzesschrift ernst. Er suchte auch Weisung von Gott durch die Prophetin Hulda. Er wusste nämlich fünftens: Ich muss mich bei allem von Gott und seinem Wort leiten lassen! Das soll auch das Leitmotiv für uns Christen sein bei allem, was wir anpacken, und sei es auch nur die Gartenarbeit oder eine Wohnungsrenovierung. Im Christenleben sollte stets die Frage gegenwärtig sein (und sei es auch nur im Hintergrund): Ehrt es Gott und hilft es den Menschen? Auch ein christlicher Politiker wird sich das bei staatlichen Reformen fragen, und er liegt damit ganz auf der Linie unserer deutschen Verfassung, in deren Präambel von der Verantwortung vor Gott und den Menschen die Rede ist. Luther gab für den Glauben die Losung „sola scriptura“ aus, „allein durch die Heilige Schrift“, und die lutherische Kirche sieht in der Bibel bis heute Gottes Wort, das für alles Lehren, Leben und Bekennen maßgeblich ist. So sind auch heute in der Kirche Reformen in erster Linie dort nötig, wo man sich über Gottes Gebote und über eine bibeltreue Auslegung der Schrift hinweggesetzt hat. Der einzelne Christ kann für seine Herzensreform froh sein, dass er Gottes Wort leicht zugänglich hat, er braucht nur an seinen Bücherschrank zu gehen, oder wo er sonst seine Bibel hat; sie ist hoffentlich nicht unter allerlei Gerümpel verloren gegangen wie damals die Schriftrolle im Tempel.
Eine wichtige Neuerung, die Josia nach Kenntnisnahme der Gesetzesschrift einführte, war die jährliche Feier des Passafests. Jahrhundertelang war nämlich in Vergessenheit geraten, die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei mit dem Passafest zu begehen. Diese Reform war streng genommen keine Neuerung, sondern eine Rückbesinnung auf verloren gegangenes Alte; das ist der sechste Reform-Aspekt. Nur bei ganz wenigen Reformen wird etwas absolut Neues, nie Dagewesenes gewagt, und es ist dann auch zweifelhaft, ob damit wirklich etwas gewonnen wird. Das meiste, was bei Reformen scheinbar „neu“ eingeführt wird, hat es so oder ähnlich schon einmal gegeben. Der Gärtner kann keine neuen Pflanzen erfinden und sie anpflanzen, der Renovierer wird sich an bereits existierenden Mustern orientieren. Der Politiker informiert sich, welche Erfahrungen man in anderen Staaten mit bestimmten Modellen gesammelt hat. Luther wollte zurück zur Kirche des ursprünglichen biblischen Evangeliums, die unter allerlei mittelalterlichen Entartungen verschüttet war. Und wenn wir heute im Gottesdienst „Ein feste Burg ist unser Gott“ nach einer Melodie gesungen haben, die vielen fremd und neu erschien, so ist es doch eigentlich nur die alte und ursprüngliche Originalmelodie, die Luther selbst komponiert hat. Auch bei der täglichen Herzensreform ist die Umkehr eine Rückbesinnung, eine geistliche Rückkehr zur Taufe nämlich, mit der Gott uns ganz rein und heilig gemacht hat.
König Josia ist nur 39 Jahre alt geworden. Er fiel im Kampf gegen die Ägypter. Der Reformer-König hat sich also siebentens für sein Volk aufgeopfert. Nur vordergründig mag es so erscheinen, als hätte Gott seinen Eifer nicht belohnt, ihn vielmehr mit einem frühen Tod gestraft. In Wahrheit hat er ihm viel Leid erspart. Denn wäre Josia auch nur 51 Jahre alt geworden, dann hätte er mit ansehen müssen, wie die Babylonier Jerusalem erobern. Gott hatte ihn aber wissen lassen, dass er das beschlossene Strafgericht über das Volk nicht werde miterleben müssen. Jetzt ist Josia im Frieden, bei Gott geborgen. Das ist das Ziel, das Gott allen Gläubigen verheißen hat. Aber vorher müssen wir den guten Kampf des Glaubens kämpfen, müssen uns einsetzen und aufopfern. Wer einen Garten pflegt, wer ein Haus renoviert, wer einen Staat lenkt, wer in der Kirche Gottes Wort durchsetzen will oder wer auch nur sein eigenes Leben nach Gottes Willen gestalten möchte, der muss sich anstrengen, muss unter Umständen auch kämpfen und Opfer bringen. Gute Reformen sind solchen Einsatz wert. Wenn sie auch, wie alles in dieser Welt, unvollkommen bleiben. Aber das letzte gute und vollkommene Ziel leuchtet schon am Horizont auf. Amen.
PREDIGTKASTEN |